Werk X-Eldorado: Im Auftrag Charles Mansons

November 21, 2017 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

 Der Verführer einer orientierungslosen Generation

Charles Manson und seine Jüngerinnen: Hanna Binder mit Michaela Schausberger, Henrietta Isabella Rauth und Naemi Latzer. Bild: © NicoleViktorik

Helter Skelter als Bühnenmusik. Natürlich. Ohne die Beatles geht es nicht, will man über ihn berichten. Spooky irgendwie, dass der selbsternannte Satan vorgestern gestorben ist. Denn Montagabend hatte im Werk X-Eldorado „Im Auftrag Charles Mansons“ von achtungsetzdich! Premiere.

Charles Manson, US-Kleinkrimineller, hat sich in den 1960er-Jahren zum Hippie-Sektenführer hochstilisiert. Frauen, vor allem rothaarige, bevölkerten seine „Ranch“ in der Nähe von Los Angeles. Manson war Rassist, wollte einen Krieg der Schwarzen gegen die Weißen heraufbeschwören, etwas, das er „Helter Skelter“ nannte, die Beatles dabei seine vier apokalyptischen Reiter. Um seine Sache in Gang zu bringen, verordnete er seiner „Family“ 1969 die Tate-LaBianca-Morde, deren berühmtestes Opfer Sharon Tate, hochschwangere Ehefrau von Roman Polanski, war. Der Mann mit dem eingebrannten Hakenkreuz auf der Stirn wurde zum Tode verurteilt, die Strafe aufgrund einer Gesetzesänderung jedoch in lebenslange Haft umgewandelt. Diese endete am 19. November …

Der Auftrag zuzustechen: Michaela Schausberger und Hanna Binder. Bild: © NicoleViktorik

Devot bis zum Töten: Naemi Latzer lernt das Messer zu lieben. Bild: © NicoleViktorik

In „Im Auftrag Charles Mansons“ spüren Ursula Leitner und Valentin Werner nun der Atmosphäre nach, aus der diese Bluttaten entstehen konnten. Sie tun dies mit einer aus dokumentarischen und literarischen Quellen erarbeiteten Textcollage in einem Mix aus Deutsch und Englisch. Hanna Binder spielt mit all ihrer Strahlkraft Manson, Naemi Latzer, Henrietta Isabella Rauth und Michaela Schausberger verkörpern die drei Jüngerinnen Leslie Van Houten, Patricia „Katie“ Krenwinkel und „Sexy Sadie“ alias Susan Atkins.

In nur 75 Minuten Spielzeit gelingt es Leitner und Werner keinen Aspekt der komplexen Figur Manson zu vernachlässigen. Sie zeigen den nur 1,57 Meter Kleinen als Musiker wie als Messias. Binder singt die Kompositionen des Gitarrespielers, „Home Is Where You’re Happy“, glänzt mit gutem Schmäh und Charme, verabreicht Brausepulver-LSD, wettert gegen „Neger“ und Unterhosen, weil beide die Welt erobern wollen – und lässt blitzschnell die Stimmung umschlagen. Die Messer sitzen locker in der Kommune. Tänzelnd verfolgt Manson seine „Girls“, in einer Hand eine scharfe Klinge.

Die Frauen bekennen ihre Liebe zu Charlie: Henrietta Isabella Rauth und Michaela Schausberger. Bild: © NicoleViktorik

So zeichnet sich allmählich ein Bild von gekonnter Manipulation, die über das Schaffen eines Zugehörigkeitsgefühls zu Abhängigkeit führt. In ihren Monologen bekennen die Frauen, sich „schön und geliebt“, „aufgehoben“ gefühlt zu haben – und ihren Charlie immer noch zu anzubeten. Dem Zuschauer dagegen präsentieren sich Demütigung und Terror, die nichtsdestotrotz zur Ekstase führen.

Immer wieder taucht Binder wie der Leibhaftige in Mansons Dreimäderlhaus auf, sekkiert und tyrannisiert von Mal zu Mal mehr, die Frauen den furchtbaren Launen eines Verrückten ausgesetzt. Ihr dritter Auftritt ist der einer entstellten Colombina. Ein passendes Synonym für den erschreckend gespenstischen Clown Manson.

Glasklar zeigt die Aufführung, wie da einer eine orientierungslose, eine „Lost Generation“ zu Blumen-des-Bösen-Kindern umpolte. Da dockt die Inszenierung am Heute an, denn die Verführer, die Gefährder sind wieder da. Den ganzen Abend über kreieren die Darstellerinnen ein Schwein aus Pappmaché. Es wird am Ende das „schwarze Tier“ sein, vor dem Manson warnte – und in einem eindrücklichen Schlussbild blutig aufgeschlitzt werden.

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  1. 11. 2017

Wiener Festwochen: Der Auftrag

Mai 24, 2016 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Mehr Heiner Müller geht nicht

Regisseur Jürgen Kuttner als Heiner Müller, Hagen Oechel, Corinna Harfouch und Janko Kahle. Bild: © Katrin Ribbe

Regisseur Jürgen Kuttner als Heiner Müller mit der drapeau tricolore: Hagen Oechel, Corinna Harfouch und Janko Kahle. Bild: © Katrin Ribbe

Das mit den Königspudel-Cheerleadern erschließt sich nur bedingt. Wegen des von der ErstenLieben verlangten Vergewaltigungsakts der „schwarzen Hündin“? Au, Hirnverstauchung, das wär‘ aber ums Eck gedacht. Na, macht ja nix. Das Regieduo Tom Kühnel und Jürgen Kuttner zeigt bei den Wiener Festwochen Heiner Müllers „Der Auftrag. Erinnerung an eine Revolution“, und die Produktion aus Hannover hat auf ihrem Weg ans Theater an der Wien nichts an Farbe eingebüßt.

Liberté, égalité, fraternité steht nicht nur in großen Lettern über der Bühne, sondern den Darstellern buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Auch das letztlich eine Ins-Konzept-Quetschung, weil, was hatten Debuisson und das Ideal der Gleichheit aller Menschen je miteinander zu tun? Aber, apropos Idee und Konzept, Unterwerfung unter beide, so noch das Wörtchen Regie- davor steht, muss sein. Und so laden Kühnel und Kuttner ins Varieté der Eitelkeiten, mitten rein also in die Politik, willkommen, bienvenue, welcome, was wird dieser Tage nicht ein Zirkus gemacht um Ideologien und politische Zeitenwenden, deren Stunde dann doch nicht schlägt. Es spricht, und zwar beinah ausschließlich, Heiner Müller himself. Die Regisseure machen den Mitschnitt einer Lesung aus dem Jahr 1980 zur Tonspur ihrer Inszenierung, das hat schon was, der DDR-Dichter und Andersdenker mit seiner nasalen, schmucklosen Stimme, die sich nie hebt und nichts hervorhebt, und man weiß spätestens jetzt, warum Heiner-Müller-Stücke als enigmatisch zu gelten haben: Die Schauspieler haben ihn mutmaßlich nicht verstanden, akustisch heißt das, übers Metaphorische lässt sich ohnedies nur orakeln.

Die Kaffeekannenbourgeoisie: Sarah Franke und Jonas Steglich. Bild: © Katrin Ribbe

Die Kaffeekannenbourgeoisie: Julia Schmalbrock und Jonas Steglich. Bild: © Katrin Ribbe

Im Theater der weißen Revolution: Corinna Harfouch beobachtet den Kampf Robespierre gegen Danton. Bild: © Katrin Ribbe

Theater der weißen Revolution: Papp-Danton gegen Karton-Robespierre. Bild: © Katrin Ribbe

Der Star in der Manege ist Corinna Harfouch als Debuisson, angetan als Weißclown und den Großteil des Abends als Müllers stumme Dienerin beschäftigt. Erst beim Fahrstuhl-Monolog darf sie die eigene Stimme erheben. Das tut sie anfangs karikaturhaft sächselnd, bis ihr das Clownesk-Komödiantische ins Grauen wegbricht. Dies ungefähr auch die beiden Temperaturen, zwischen denen die Aufführung wechselt. Wie sie ihren Debuisson mit großen, beinah stummfilmhaften Gesten, weil die Figur hier ja allegorisch-überlebensgroß erscheint, über die Bühne schiebt, ist eine Sensation. Sie hat sich selbst choreografiert, ihren Auftritt mit eckigen Bewegungen wie ein bizarres Ballett ausgestaltet. Harfouch ist der Höhepunkt des Abends. Ihre Mitrevolutionäre sind Janko Kahle als roter Löwenbändiger-Galloudec und Hagen Oechel als ein Sasportas, dem der Glaube an die Freiheit so eingebläut wurde, dass sich sogar seine Haut danach färbte. „Wir sind nicht gleich, bis wir einander nicht die Haut abgezogen haben“, sagt die Figur einmal und in diesem Fall könnte diese ihr Outfit an die Blue Man Group verleihen.

Artisten Tiere Attraktionen. In der nächsten Abteilung eine Käfignummer, ein Zaubertrick, der aber niemanden entfesselt. Der sterbende Sklave, dessen die drei Emissäre der Französischen Revolution bei ihrer Ankunft auf Jamaika als erstes ansichtig werden, muss in seinem Foltergefängnis verbleiben. Sie wissen schon, Zitat „Einem können wir nicht helfen“. Mit solcherart skurrilbunten Bildern und den sphärisch mahlenden Postrockklängen der „Tentakel von Delphi“ rund um Harfouch-Sohn Hannes Gwisdek geht es weiter. Antoine nebst Gattin sind zu biederbourgeouiser Petite-Fleur-Kaffeekanne nebst Tasse mutiert, er hat den überdimensionalen Ausgießer genau da, wo!, wenigstens das ein Glück; den Brief, der die Rückblende einleitet, überreicht ausgerechnet einer der Matrosen von Kronstadt. Rote-Fahne-Schwenken inklusive. Die ErsteLiebe lebt mit ihren Pudeln offensichtlich auf Tara, schlechte Tonqualität und Uralttechnicolor, jetzt passt das endlich, und Billie Holiday singt „Strange Fruit“. Das „Theater der weißen Revolution“ ist ein hinreißend gestalteter Livecomicfilm, in dem sich Danton und Robespierre zum „Rocky“-Theme die Pappkameradenköpfe einschlagen. Heiner Müller im Wunderlichland. Und an der Assoziationskette leuchten alle Tricolore-Lichter.

Le drapeau tricolore: Hagen Oechel, Corinna Harfouch und Janko Kahle. Bild: © Katrin Ribbe

Auch Zirkusartisten können keinen Sklaven aus seinem Käfig befreien: Hagen Oechel, Corinna Harfouch und Janko Kahle. Bild: © Katrin Ribbe

Dass die Burleske zur Müller-Pathetik über weite Strecken aufgeht, ist erstaunlich, aber Tatsache: Idee + Konzept = Regie. Kühnel und Kuttner haben ihren Auftrag erfüllt. Mehr Heiner Müller geht nicht. Nicht nur, weil Jürgen Kuttner als dessen quasi Alter Ego mit Krankenkassenbrille und zerlebter Lederjacke die Veranstaltung moderiert – ein Heiner Müller aus Karton wirft im Revolutionsring das Handtuch, ein anderer hängt als Fotografie an einer Wohnzimmerwand.

Sondern weil sie seine Botschaft aus dem Jahr 1979 konsequent weitergedacht haben. Am Ende, im Plattenbau-Verschlag, versammelt sich die linke Creme, Marx und Lenin und Stalin, Rosa Luxemburg, Mao und der Che, ihr Tun nicht einsichtig, sondern per Überwachungskamera ins außen übertragen. Sie werden für ihre Gedankenerbschaft sterben müssen. Die Revolution frisst bekanntlich ihre Kinder, um den Satz auch noch zu bemühen, manchmal aber fressen die Kinder ihre Revolution. Und immer schreien andere „Wir sind das Volk“. Debuisson sagt: „Jetzt weht der Wind aus gestern“, denn der von Heiner Müller beschriebene Krieg der Landschaften hat längst wieder begonnen. Das aufzuzeigen ist ein starkes Stück.

Video: www.youtube.com/watch?v=nFG7LyMUVEI

www.festwochen.at

Mehr Rezensionen von den Wiener Festwochen:

Látszatélet/ Scheinleben: www.mottingers-meinung.at/?p=20141

Città del Vaticano: www.mottingers-meinung.at/?p=20120

Die Passagierin: www.mottingers-meinung.at/?p=20085

Tschewengur. Die Wanderung mit offenem Herzen: www.mottingers-meinung.at/?p=19870

Wien, 24. 5. 2016