VON MICHAELA MOTTINGER
Geniestreich mit Gemüse-Coup d’État

Jetzt regiert das Gemüse: Sung-Keun Park als König Karotte mit seinem grimmigen Grünzeuggefolge. Bild: © Barbara Pálffy / Volksoper Wien
Dass jede Ähnlichkeit mit orangegesichtigen Politikern erwünscht und bestimmt nicht zufällig ist, klärt sich spätestens bei den von Marco Di Sapia gesungenen Couplets über Donald und Boris. Dem Casinos-Postenschacher ist selbstverständlich auch eine Strophe gewidmet, so frisch, dass Di Sapia sie von einem aus dem Souffleurkasten gereichten Blatt ablesen muss. Da sind die Lacher auf seiner Seite, ja, es stimmt, jedes Volks hat die Vertreter, die es via Wahl selbst verschuldet, und wieder erinnerlich wird,
dass es in Österreich sogar eine Partei oranger Farbe gibt, die politische Südfrucht, seit ihre Sonne vom Himmel fiel, freilich zu ein paar Früchtchen verschrumpelt. Die nationale Losung jedoch ist längst nicht so passé wie ihr Bündnis. Sie wird von immer neuen Schülern hoch und heilig und mittelmeerfarben gehalten, und honi soit …, wenn Regisseur Matthias Davids den Chor als biersüffelnde Burschenschafter auf die Bühne stellt, damit das Ganze von Anfang an Schmiss hat. Dies Ganze, ein Gesamtkunstwerk ist „König Karotte“, Opéra-bouffe-féerie aus den Federn von Jacques Offenbach und Librettist Victorien Sardou, die Koproduktion mit der Staatsoper Hannover gestern an der Volksoper zur Wiener Premiere gebracht.
Davids hat die Musiktheaterrarität zum 200. Geburtstag des Komponisten als durchgedrehtes Kaleidoskop voll aktueller Anspielungen inszeniert, erstaunlich außerdem, wie wenig Sardous bissige Kommentare zu Populismus, Opportunismus, Machtmissbrauch und dem schnellen Seitenwechsel der Masse an Brisanz verloren haben. Nicht nur die Corps-Geister erscheinen da beinah gegenwärtig, sondern auch Sätze von Di Sapias wendehälsischem Polizeichef Pipertrunck, der in jeder zweiten Szene sein „Ich bin zu euch übergelaufen“ verkündet, aber auch das Kabinett davor warnt: „Ohne uns kippt die Karotte nach links.“
Die Gartenmöhre also. Kommt aus ebendiesem des Regenten Fridolin XXIV., der Blaublüter ein verwöhnter Partyprinz, der sich mit seiner ruinösen Spaßgesellschaft vergnügt, so dass mit dem Hof kein Staat mehr zu machen ist. Fridolins Capricen haben das Reich in den Bankrott getrieben, der verarmte Adelsmann soll daher nach dem Willen seiner Berater mit der begüterten Prinzessin Kunigunde vor den Traualtar treten. Doch noch einer schmiedet Regierungspläne. Der gute Geist Robin will den verschwenderischen Herrscher als Erziehungs- maßnahme vom Thron stürzen, gerade Recht kommt ihm da der Rachedurst der bösen Hexe Kalebasse, die das Problem bei der Wurzel packt – und dieselbe aus ihrer finsteren Unterwelt ans Licht und zum König befördert.

Die Hexe holt die Wurzeln ans Licht: Christian Graf und Sung-Keun Park. Bild: © Barbara Pálffy / Volksoper Wien

Karotte inspiziert sein mittels Zauber erobertes Reich: Sung-Keun Park. Bild: © Barbara Pálffy / Volksoper Wien

Die Verlobte ist zum Feind übergelaufen: Julia Koci und Mirko Roschkowski. Bild: © Barbara Pálffy / Volksoper Wien
Ein Staats-Streich vom Feinsten ist das, wenn das vegetabile Gefolge mitten durch die Zuschauerreihen Richtung Palast stapft, Lauch, Rote Rübe, Radieschen und Zwiebel dabei wahrlich keine Gemüsebeetbrüder, sondern per dunkler Sonnenbrille als sinistre Geheimdienstler ausgewiesen. Mit einem Propagandazauberspruch macht Kalebasse die Einwohner von Krokodyne gefügig – et voilà: Fridolin und Freunde flüchten … Frech und frisch setzen Matthias Davids und Dirigent Guido Mancusi den Offenbach-Sardou’schen, schier uferlosen Ideenreigen um, der vom antiken Pompeji über einen Ameisenstaat bis zu einer Affeninsel, in ein Turmverlies, eine Magierwerkstatt und zu einem Aufstand der Ritterrüstungen führt. Mit Mancusi am Pult mäandern Sänger wie Orchester meisterlich durch den musikalischen Mix aus großen Arien und noch riesigeren Chorsequenzen, Auftrittscouplets, Lautmalerei, Schlagern, sinfonischen Momenten und Schubert-Zitaten.
Hinreißend sind die Grünzeugkostüme von Susanne Hubrich, in denen allen voran Hausdebütant Sung-Keun Park als König Karotte gesanglich wie darstellerisch alles gibt. Der koreanisch-stämmige Buffo-Tenor bewältigt die sehr hohe Partie sozusagen spielend, er lässt nicht nur die Stimme, sondern auch die Körpersprache zwischen Machtwahn und kühlem Kalkül changieren, oder krakeelt in einer Art Pflanz-Kauderwelsch, weil nicht viel im, wer einen Karotten-Kopf hat. Hängen ihm anfangs noch die Stängelblätter aus dem Hosenschlitz, und wieder ist jede Ähnlichkeit mit einem präsidialen Reißverschluss …, wird er die Rübe am Ende ohnedies einziehen müssen.
Mirko Roschkowski ist ein fabelhafter Fridolin, der als berufsjugendlicher Genusssüchtler mal am Megajoint, mal an der Hopfenkaltschale nuckelt, der seinen mal weich fließenden, mal strahlenden Spinto schön zur Geltung zu bringen weiß – und darüber hinaus ein grandioses Talent für verzweifelte Komik besitzt. Ihm in nichts nach steht Juli Koci, die die Prinzessin Kunigunde zum burschikosen It-Girl macht, das seine sexy Vorzüge zu seinem Vorteil einzusetzen weiß, bevor sie im Wortsinn von der Karotte verzaubert ist, und deren Pfahlwurzel, als wär’s ein Phallus, liebkost. Große Klasse, wie Kocis Temperament über weite Strecken die Aufführung dominiert! Besonderen Publikumszuspruchs durfte sich Amira Elmadfa erfreuen, die als guter Geist Robin in Windeseile durch den Bühnenparcours turnt, und dabei ihren Mezzo so kraft- wie gefühlvoll klingen lässt.

Partyprinz meets adeliges It-Girl: Julia Koci als Prinzessin Kunigunde und Mirko Roschkowski als Fridolin XXIV. Bild: © Barbara Pálffy / Volksoper Wien

Der Hofstaat steht Kopf: Josef Luftensteiner, Marco Di Sapia, Mirko Roschkowski, Jakob Semotan und Boris Eder. Bild: © Barbara Pálffy / Volksoper Wien

Man sucht Rat bei Zauberer Quiribibi: Christian Graf mit Marco Di Sapia, Johanna Arrouas, Mirko Roschkowski, Amira Elmadfa und Yasushi Hirano. Bild: © Barbara Pálffy / Volksoper Wien

Der Karotte geht allmählich der Saft aus: Sung-Keun Park, Boris Eder, Julia Koci und Franz Suhrada als Kammerherr Psitt. Bild: © Barbara Pálffy / Volksoper Wien
Johanna Arrouas gestaltet mit leichtem, luftigen Sopran das in Fridolin verliebte, von Kalebasse eingekerkerte Burgfräulein Rosée-du-Soir als herzgewinnende Optimistin, und eine drollige Pointe ist, wie sie ihre Koloraturarie à la Olympia vorträgt. Christian Graf glänzt einmal mehr als Drag Queen, als maliziöse Hexe Kalebasse, die ihr Busensausen mittels Zauberstab up-pusht, und als sich in seine Bestandteile zerlegender Zauberer Quiribibi – die Szenen mit Graf wie stets komödiantische Kabinettstücke, etwa, wenn er das Gemüse mit ausladender Geste aus der Erde dirigiert und die Pflanzenzombies so zu ihren ersten Schritten auf dieser einlädt.
Zu Marco Di Sapias großartigem Pipertrunck gesellen sich als Hofnarren-Quartett: Boris Eder als geckenhafter, dem Geld nachjammernder Schatzmeister Baron Koffre, Jakob Semotan als kriegsversehrter Schlachtenminister Marschall Track, Josef Luftensteiner als furchtsamer Geheimrat Graf Schopp – und Yasushi Hirano als Schwarzmagier Truck, wobei dessen Bassbariton im Gesprochenen – Achtung: Running Gag – auf Japanisch erdröht. „König Karotte“ an der Volksoper erweist sich als Geniestreich mit Gemüse-Coup d’État; das Ensemble erfreut, abgesehen von der sängerischen Brillanz, mit seiner überbordenden Spielfreude.
Ein kurzweiliger, dreistündiger Abend, bei dem Politsatire und absurder Witz perfekt ineinandergreifen, der aber, quietschbunt und fröhlich, wie er ist, auch für die jüngsten Volksoperngeher gut funktionieren wird. Zum Schluss wird, als das Gelbwesten-Volk endlich aufbegehrt, der seit einiger Zeit vor sich hinwelkende Wurzelschrat zurück ins Beet verbannt – eine Utopie, wie zu wünschen wäre.
Kurzeinführung: www.youtube.com/watch?v=6JEkRSYH2Q0 www.youtube.com/watch?v=JWvcbmMDHBU
Regisseur Matthias Davids und Dirigent Guido Mancusi im Gespräch: www.youtube.com/watch?v=tM9xNxYAZvo
Die Solistinnen und Solisten im Gespräch: www.youtube.com/watch?v=N4tt2i5oq4Q www.volksoper.at
- 11. 2019