Theater in der Josefstadt: Maria Stuart

Januar 7, 2018 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Ein Reclamheft hätte man mitbringen sollen

Elisabeth Rath und Sandra Cervik. Bild: Moritz Schell

Vorsicht, hier wird Theater gespielt! Auf diesen Punkt bringt es Regisseur Günter Krämer von Beginn seiner „Maria Stuart“-Inszenierung an der Josefstadt. Lautsprecherdurchsagen von der Abendregie, noch wird auf der Bühne Staub gesaugt, da tritt sie auf, die Diva, memoriert ihren Text, muss im Reclamheft nachlesen. Minuten später, mit weiß geschminktem Gesicht, wird sie Königin Elisabeth sein. Eine unerbittliche Herrscherin.

„Das ist neu“, flüstert jemand im Publikum. Und tatsächlich muss man sich in dieser Aufführung an vieles Neue gewöhnen. Manches erschließt sich, doch ebenso vieles nicht. Krämer hat sich von Schiller weitgehend gelöst, leider auch von dessen Sprache. Zwar versteht er „Maria Stuart“ sehr schön als Kammerspiel, macht daraus einen Kraftakt für eine Handvoll großartiger Schauspieler, zeigt eine durchgestylte, durchchoreografierte Arbeit, in der jede Geste sitzt – doch Motivationen? Nebbich! Wer was warum tut, geht in der würzigen Kürze unter. Vor allem die Handlungen der Herren erschließen sich nicht.

Hätte man ein Reclamheft mitbringen sollen? Krämer verzichtet auf den einleitenden ersten Akt, verzichtet auf alle guten Geister rund um Maria, die den Finsterlingen am Londoner Hof Widerpart zu geben bereit sind. Er beschränkt sich auf Leicester, Davison, Mortimer und den französischen Gesandten. Die Stuart tritt mit einer halben Stunde Verspätung auf, und zwar mit jenem Monolog aus Goethes „Iphigenie“, in dem sie das Land der Griechen mit der Seele sucht. Ein typischer Fall von „originell“ statt Original … Krämer verschiebt ganze Textpassagen, oktroyiert sie anderen Figuren auf, dichtet auch noch dazu.

Immerhin: Mit Sandra Cervik als Elisabeth und Tonio Arango als Leichester steht ihm ein erprobt großartiges Bühnenpaar zur Seite. Die Strippenzieherin und der Puppenspieler. Sie, Beherrscherin der in ihre Intrigen verstrickten Militärs, er, Politiker und Opportunist. Zu deren exaltiertem Tonfall, Cervik wird über Strecken zum Grimassenschneiden bis zur Knallchargigkeit verdammt, findet Elisabeth Rath als schottische Königin, als „die Fremde“, einen gänzlich anderen Klang. Angesiedelt zwischen fröhlicher Verzweiflung und einem Hauch Wahnsinn bietet sie ihre Sätze an, und immer hat man im Hinterkopf, dass dieser fabelhaften Schauspielerin bei mehr Anleitung mehr möglich gewesen wäre.

Sandra Cervik mit Tonio Arango. Bild: Moritz Schell

Am Höhepunkt der Aufführung treffen die beiden aufeinander, eine Wildsau blutet aus, Elisabeth kommt von der Jagd mit Armbrust und Schießbrille. Maria wird eine Gipsmaske zerbrechen, als sie von der endlich vorgesehenen Vollstreckung des Todesurteils erfährt. Was noch? Papierflieger. Sie verkünden Leichesters Flucht nach Frankreich. Roman Schmelzer als Davison ist ein sturschädeliger Uniformträger, Raphael von Bargen als Mortimer alles andere als ein hitzköpfiger Liebender und gänzlich charmebefreit, Florian Carove bleibt als Graf Aubespine blass. Der Applaus war enden wollend.

Video: www.youtube.com/watch?v=MF0F9LXWAlk

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  1. 1. 2018

Kammerspiele: Lenya Story – Ein Liebeslied

März 31, 2017 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Standing Ovations für Sona MacDonald

Psychogramm einiger komplizierter Künstlerbeziehungen: Sona MacDonald als Lotte Lenya und Tonio Arango als alle ihre Männer. Bild: Moritz Schell

Sona MacDonald in ihrem Element, dafür gab’s Donnerstagnacht in den Kammerspielen der Josefstadt Standing Ovations. Nach Marlene Dietrich und Billie Holiday widmet die wunderbare Schauspielerin und Sängerin all ihre Talente nun der Weill-Gattin und Brecht-Muse Lotto Lenya. „Lenya Story – Ein Liebeslied“ heißt der Abend, den auch diesmal Torsten Fischer und Herbert Schäfer für die Ausnahmekünstlerin geschaffen haben.

Und wieder versteht es MacDonald, ihre Sprache, ihre Stimme einer großen Diseuse anzuverwandeln, erneut gelingt es ihr, tief in deren Seele abtauchen – und nicht als Kopie, sondern als ein eigenständiger „Klangkörper“ ihre Geschichte zu erzählen. Dass Timbre und Temperament stimmen, versteht sich. MacDonald „kann“ die Lenya mit ihren eigenwilligen Tönen, die mal hell klirren wie zerstoßenes Glas, mal wund und rau sind, wie mit Sandpapier geschmirgelt. Sie kann ihren unbändigen Elan und den puren, rohen Sex-Appeal, sie changiert zwischen Schutz suchendem Mädchen und rotzfrecher Straßengöre. Wie sie da auf der Bühne steht, scheint auch sie eigens geschaffen zur Heldin der Brecht-Weillschen Gossenwelt mit ihren Lumpen, Gaunern und leichten Madämchens. „Sie kennen ja die berühmten Zwanzigerjahre. Jede Frau war eine femme fatale, und alle schliefen miteinander“, sagt Lenya launig.

MacDonald atmet den Zeitgeist dieser Zwanziger- und Dreißigerjahre; Fischer, ein Experte für solcher Art Aufführungen, fügt geschickt die Zeitgeschichte hinzu. Entlang von Lenyas Biografie und der Weill-Musik macht er die politischen Machtverhältnisse in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts greifbar. Die Bühne zeigt eine Welt in Schieflage, der Schnee, der auf den Steilhang fällt, wird mehr und mehr zu Ruß und Asche. Man ringt buchstäblich wie bildlich um Widerstandskraft und Standhaftigkeit; jeder Song gilt dazu als Zitat über gesellschaftliche Zu- und Umstände: „Denn wie man sich bettet, so liegt man“, „Berlin im Licht“ und natürlich und vor allem „Wie lange noch“. Ein hervorragendes Musikerquartett, Christian Frank, Herbert Berger, Andy Mayerl und Klaus Pérez-Salado, interpretieren einiges an Neu- und Wiederentdeckungen so stimmig, wie die Gassenhauer aus der „Dreigroschenoper“, „Mahagonny“ oder „Happy End“.

Alter Bilbaomond! Wo noch die Liebe lohnt… Bild: Moritz Schell

Du hast kein Herz, und ich liebe dich so … Bild: Moritz Schell

Was dieses Sona-MacDonald-Fest aber vor allem anderen auszeichnet, ist ihr Bühnenpartner Tonio Arango. Mit ihm wird das Solo für Sona zum Psychogramm eines komplizierten Künstlerpaares. Er schlüpft in die Rollen aller Lenya-Männer, gibt mit Glatze und Nickelbrille den Lebensmenschen Kurt Weill, mit Schiebermütze und Zigarre kurz Bert Brecht, die Ehemänner zwei und drei, George Davis und Russel Detwiler, und diverse andere Liebhaber. Spielt einen James Bond, dem die Lenya als KGB-Offizierin Rosa Klebb „Liebesgrüße aus Moskau“ schickt. Dann wieder feiert Sie mit roter Federboa und Er mit Zylinder und Strapsen – die Exzellenz der Dekadenz. Kein Wunder, erscheint ihnen später New York langweilig und Hollywood als spießiges Nest.

Es ist ein pralles, fiebriges, mitunter arg anekdotisches Dasein, das die Inszenierung zeigt. Ein Dasein, das sich den öffentlichen Blicken fast nie entzogen hat. Ein Arbeiterkind aus den ärmlichsten Verhältnissen der Penzinger Ameisgasse ist die Lenya. Das Wienerische hätte ihr die Musik ins Blut geimpft, sagt sie auf Nachfrage gern. „Wenn ich mich nach dir sehne“, schreibt Weill einmal, „so denke ich am meisten an den Klang deiner Stimme, den ich wie eine Naturkraft, wie ein Element liebe. In diesem Klang bist Du für mich ganz enthalten, alles andere ist nur ein Teil von dir, und wenn ich mich in Deine Stimme einhülle, bist Du ganz bei mir.“ Den Briefwechsel der beiden haben Fischer und Schäfer als O-Ton-Grundlage für ihre Stückdialoge verwendet.

Im New Yorker Exil: Tonio Arango als Kurt Weill mit Sona MacDonald. Bild: Moritz Schell

Man erfährt, er wollte nicht mehr sein als ihr „Lustknabe“, und: Er nennt sie seine „Mistblume“. Was die beiden auch verbindet, ist ihr Hang zu sarkastischem Humor. Zwei Menschen, einer des anderen Schicksal, zwei Mal miteinander verheiratet, trotz unzähliger Seitensprünge eine ewige Treue – und als er stirbt, stürzt sie ins Bodenlose. In diesem Moment gibt MacDonald alles, gibt sich hin und verausgabt sich.

Am Ende merkt man, sie braucht, um aus dieser intensiven Performance zu sich zu kommen. Da steht sie, Tränen glitzern in den Augen, das Makeup ist verschmiert – und wie schön ist sie so. Das Publikum hatte noch lange nicht vor, nach Hause zu gehen. Wie sich am Applaus zeigte. Grad, dass man sich’s verkniff, „Zugabe“ zu rufen …

Video: www.youtube.com/watch?v=NRzIOcGTtT0

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Wien, 31. 3. 2017

Theater in der Josefstadt: Die kleinen Füchse

April 15, 2016 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Die Cervik als das gerissenste unter den Raubtieren

Keine liebe Familie: Martina Stilp, Tonio Arango, André Pohl, Sandra Cervik, Salka Weber und Roman Schmelzer. Bild: Moritz Schell

Keine liebe Familie: Martina Stilp, Tonio Arango, André Pohl, Sandra Cervik, Salka Weber und Roman Schmelzer. Bild: Moritz Schell

André Pohl kann schön böse sein. Nicht, dass man es dem feinen Schauspieler nicht zugetraut hätte, aber er ist öfters in der Rolle der Feinnervigen, Gutmütigen, ein wenig Lebenstollpatschigen zu sehen. Nun, als beutegieriger Ben Hubbard, gibt er in gruseliger Seelenruhe die schlimmsten Dinge von sich. In diesem Sinne ist er nicht nur die Verblüffung des Abends, sondern mit den seiner Figur zugeschriebenen Sätzen über die Welttyrannei des Geldes gleichsam der dystopische Ausblick der Autorin.

Torsten Fischer hat am Theater in der Josefstadt Lillian Hellmans „Die kleinen Füchse“ inszeniert und das Stück aus dem Jahr 1939 mit dieser klugen Arbeit in die Zeitlosigkeit gehoben. Was so viel heißt, wie: er zeigt die menschliche Unbelehrbarkeit auf. Unaufgeregt, bei der Lakonie, die er dem Ensemble verschrieben hat, möchte man beinah sagen behutsam, weist er darauf hin, dass alles, was die Welt derzeit aus den Angeln hebt, schon einmal da war, mutmaßlich immer da war, und dass man gerade deshalb dringend die Richtung ändern sollte. Weg von Raubtierkapitalismus und Profitgier und der damit verbundenen Ausbeutung von Arbeitskraft und Umwelt; Wirtschaftswachstum allein ist ein fragwürdiger Erfolgsmaßstab für eine Gesellschaft. Hellman, die politisch linke Aktivistin, darf ihre Anliegen bei Fischer in den besten Händen wissen.

Hellman erzählt von den Finanzmachenschaften eines Südstaatenclans. Die Brüder Ben und Oscar Hubbard bekommen von einem New Yorker Unternehmer ein lukratives Angebot zur Zusammenarbeit unterbreitet, eine Baumwollfabrik soll gebaut werden, ihre Schwester Regina will ein Drittel des Kuchens. Doch dafür muss ihr Ehemann, der Banker, seinen Anteil leisten – und der schwer herzkranke Horace denkt gar nicht daran, seine Unterschrift unter einen Vertrag zu setzen. Es beginnt ein Hauen und Stechen, ein Kampf jeder gegen jeden. Kinder werden zu Missetaten angeleitet und nach deren Aufdeckung fallen gelassen, unanständige Hochzeiten werden angedacht, lebensnotwendige Medikamente verweigert, ein Bündel Wertpapiere ist mehr wert als ein familiäres Band – und am Ende steht Regina als Siegerin im Ring. Sie hat sich unter den Raubtieren als das gerissenste erwiesen.

Sandra Cervik beweist in der Rolle dieser Frau auf dem Weg in die Emanzipation Brillanz. Ihre Regina ist weder Schlange nach biblischem Vorbild, noch Megäre nach mythologischen, sondern ein Weib, das weiß, was es will und dies mit allen Mitteln umzusetzen versucht. Je nach den im Moment erforderlichen Mitteln kann Cerviks Regina die flirtoffensive Elegance sein – beim Nordstaaten-Investor, schmeichlerische Manipulatorin – bei der Tochter, oder bei den Brüdern handfest austeilen. Sogar Ohrfeigen. Doch in keiner Situation ist der Zuschauer in der Lage, ihr die Sympathie zu entziehen, nicht, weil die Regina irgend sympathisch wäre, sondern weil die Cervik zeigt, wie hier ein Mensch von Vater, Brüdern, Ehemann für deren Zwecke missbraucht wurde. Der Missbrauch soll nun ein Ende haben, aber Regina will kein Opfer, sondern voller Tatendrang sein. Eine starke darstellerische Leistung. Mit Tochter Alexandras „Hast du Angst, Mutter?“ hat Fischer die Handlung eingerahmt, und auch das spiegelt Cerviks Gesicht wider, hinter der sarkastisch glatten Fassade, die Ungewissheit … ob ihr Plan …

Der übliche Streit ums Geld: Tonio Arango, Matthias Franz Stein, Oama Richson, Sandra Cervik, André Pohl, Salka Weber, belauscht von Herbert Föttinger als Horace (re.). Bild: Moritz Schell

Der übliche Streit ums Geld: Tonio Arango, Matthias Franz Stein, Oama Richson, Sandra Cervik, André Pohl, Salka Weber, belauscht von Herbert Föttinger als Horace (re.). Bild: Moritz Schell

Eindeutig auseinandergelebt: Herbert Föttinger und Sandra Cervik als Ehepaar Giddens. Bild: Moritz Schell

Föttinger und Cervik als Ehepaar Giddens. Bild: Moritz Schell

Fassade ist in dieser Clique überhaupt alles. Und Fischer wirft seinen scharfen und analytischen Blick dahinter. Er enttarnt alten Geldadel wie Neureiche als niederträchtige Kleingeister, die Besitzer der Protzvilla als sittlich verkrüppelte Kleinhäusler voll Rassenhass und Standesdünkel. Dafür haben Herbert Schäfer und Vasilis Triantafillopoulos ein Bühnenbild geschaffen, so kalt wie die Charaktere, die sich darin bewegen. Diffuses Licht fällt durch die Stahlkonstruktion, alles durchschauen, nichts von sich herzeigen, alles atmet „Industrie und Fortschritt“, oder zumindest den optisch umgesetzten Glauben daran.

Die Masse wird’s herstellen, man selber davon profitieren. Wir sind die Spieler und ihr unser Einsatz. Die Hellman sagt das alles zwischen den Zeilen, in Andeutungen entwirft sie ihre Figuren, deren sexuelle und andere Vorlieben, und Fischer folgt ihr auf diesem Weg mit Fingerzeigen und anderen minimalen Gesten. Eine Umarmung erstickt vor der vollständigen Ausführung im Ekel, eine andere wird mit der Verzweiflung eines Vaters vollzogen. Das sagt mehr über ein Verhältnis Ehemann-Ehefrau-Hausdame, als es Worte könnten.

Herbert Föttinger spielt Reginas Ehemann Horace Giddens schonungslos, und er wird ihn auch ohne sich als Schauspieler zu schonen sterben lassen. Sein Horace ist immer noch Macher und Machtmensch und überspielt jede Schwäche, er ist ein Zyniker, so verletzend wie selbst verletzt durch die unerwiderte Liebe zu seiner Frau. Die Infights zwischen Föttinger und Cervik, von hoher Intensität, Intimität, fast schmerzhaft anzuschauen, sind inhaltlich die Dreh- und Angelpunkte, gestalterisch die Höhepunkte des Abends. Man merkt es an den Reaktionen. Die gesagten Gemeinheiten brauchen Zeit zum Sacken, bevor das Publikum sich mit der nächsten Unsäglichkeit befassen kann. Immerhin passiert in zwei Stunden Hellman mehr als in einer ganzen Staffel „Dallas“ bis „Dynasty“.

Neben dem großartigen André Pohl ist Tonio Arango als Reginas jüngerer Bruder Oscar Hubbard zu sehen. Ist der eine versteckt hinterlistig, ist der andere offen brutal, Ben und Oscar, der Pragmatiker und der Choleriker. Martina Stilp gestaltet Oscars Frau Birdie als durch ihre Ehehölle devastierten Menschen, als verschlampte Alkoholikerin; sie ist das Opfer, das Regina sich weigert zu sein – eine bestechende Leistung. Matthias Franz Stein wird als Oscars Sohn Leo in seinem hilflosen Ringen um die Anerkennung von Vater und Onkel zum Dieb, Stein spielt das sehr treffend, dieses halbdämliche, kleinkriminelle Um-jeden-Preis-Gefallenwollen.

Alma Hasun ist als Reginas Tochter Alexandra das Sprachrohr der Autorin und wird als solches in eine wichtige Position gesetzt werden. Roman Schmelzer gibt mit professionell charmanter Höflichkeit den New Yorker Investor. Sein Marshall, der unter Geschäftspartnern solche sucht, die die christliche Lehre befolgen, ist einer von denen, die bürgerliche Werte auf dem Rücken anderer, schutzloserer beschwören … Und dann gibt’s da mit den Bediensteten Addie und Cal, Salka Weber und Oama Richson, eine echte Allianz, die beiden sind Zuhörer und Beobachter, es wird sich klären für wen und zu welchem Zweck. Mehr über diesen Familienthriller zu verraten, wäre ein Spoiler, das Ende bleibt ohnedies offen bis auf dies:

Die Josefstadt zeigt auch mit dieser letzten Saisonpremiere eine gelungene Ensembleleistung. Regisseur Torsten Fischer hat sich intensiv mit Lillian Hellmann auseinandergesetzt und mit einem zeitlosen Stoff eine Arbeit zur Zeit abgeliefert. Es ist schön zu sehen, wie an diesem Haus immer wieder alles wie aus einem Guss ist, und wie Herbert Föttinger es versteht, einen Spielplan zu gestalten, der seinem Team diesbezüglich entgegenkommt. Mehr davon bitte ab Herbst.

Torsten Fischer im Gespräch: www.mottingers-meinung.at/?p=18740

Trailer: www.youtube.com/watch?v=Vh1AJ6QstWk

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Wien, 15. 4. 2016

Theater in der Josefstadt: Die Kameliendame

Dezember 19, 2014 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Sandra Cervik stirbt im Schnee

Katja Bellinghausen, Josef Ellers, Alexander Absenger, André Pohl, Susanne Wiegand, Sandra Cervik Bild: Moritz Schell

Katja Bellinghausen, Josef Ellers, Alexander Absenger, André Pohl, Susanne Wiegand, Sandra Cervik
Bild: Moritz Schell

Es ist der Stoff aus dem die tränentriefenden Schmonzetten sind. Ein Groschenroman getarnt als Weltliteratur. Überlebensgroß gemacht durch Verdis „La Traviata“. Paris‘ größte Kurtisane wird zur Mätresse, zur aufrichtig Liebenden eines jungen Mannes, der glaubt, zum Leben genüge Luft und Leidenschaft. Leider nein. Vom Lobgesang auf den Genuss bis zum Totenbett einer an Tuberkulose Sterbenden geht’s durch drei Akte. Generationen von Regisseuren haben sich an der „vom Weg Abgekommenen“ schon fix und fertig gekitscht.

Das Theater in der Josefstadt spielt nun „Die Kameliendame“ von Alexandre Dumas dem Jüngeren. Er selbst funktionierte sein Buch schon 1852 zum Stück um; hier ist allerdings eine grandios entstaubte Fassung von Herbert Schäfer – der gemeinsam mit Vasilis Triantafillopoulos auch für Bühnenbild und Kostüme zuständig war – zu hören. Torsten Fischer inszenierte. So haben also Fischer und Schäfer der Kunst-Gewerblichen allen Flitter und Firlefanz runtergeräumt. Eiseskalt ist diese Welt, Schnee fliegt und bleibt liegen. Die Gesellschaft vergibt nicht, was man war und nicht mehr sein will. „Hure“ ist das Wort, das Kokottische entrümpelt. Ein riesiger „Spiegel der Gesellschaft“, einmal so gedreht, dass sich das Publikum bis in den obersten Rang darin sehen kann, ist das zentrale optische Instrument. Das war mal was, hat aber mittlerweile einen Bart, länger als der vom Weihnachtsmann. Sei’s drum. Schäfer schafft dadurch auch Bildkompositionen von fantastischer Schönheit.

Die Geschichte ist wahr. Alexandre Dumas verehrte eine Käufliche namens Marie Duplessis. Sie liebte Kamelien, Luxus, war schwindsüchtig, verstarb mit 23 Jahren. Und damit beginnt auch Fischers Arbeit: Das Ende als Anfang. Zu Willy DeVilles „Heaven Stood Still“ mischen sich Fakt und Fiktion. Die erdachte Figur Marguerite Gautier (Sandra Cervik) stirbt in den Armen von Alexandre Dumas (Tonio Arango in einer seiner Funktionen). Der Totentanz kann beginnen, denn kurz darauf erscheint Figur Armand Duval (Alexander Absenger) – und A. D. sagt zu A. D.: „Das bin ja ich.“ Beginn eines Zwiegesprächs. Die beiden werden nicht mehr zu trennen sein. Etwa, wenn Marguerite mit Dumas tanzt, während sie Duval ihre Lebenssituation zu erklären sucht. Beim Beischlaf mit Zweiterem, den Ersterer bei einer Flasche Rotwein und einer Zigarette beobachtet. Viel nackte Haut und monströse Krinolinen machen die Damengarderobe aus. Die Herren sind entweder in Frack und Zylinder oder teilweise bis ganz unbekleidet.

Arango ist der Motor des Abends, über dem die Schwermut als Gedanke liegt. Viel mehr als ein „Erzähler“ ist er Teilnehmer am Geschehen, ständiger Gast im Salon der Lustpaarkeiten, übernimmt kleine Rollen vom Croupier bis zum Totengräber, ist der älter gewordene Armand Duval, der als Last die Schuld trägt, nun den Grund für das Verschwinden Marguerites zu kennen (Stichwort: Georges Duval), will seinem jüngeren Ich helfen, kann aber nicht – und ist zum Glück Humorverweser im Sinne eines Reichsverwesers. Es ist erstaunlich, aber bei Arango eigentlich logisch, dass ausgerechnet er, der keine „Rolle“ hat, am besten spielt. Ein Darsteller, wie sich wenige finden!

Sandra Cervik legt die Kameliendame als vom Leben hart gewordene Frau an, die ihre Dämonen sehr gut kennt und sich selbst von allen vielleicht am meisten verachtet. Was sie mit Champagner kompensiert. „Ich bin ein blutspuckender Geldraffautomat“, sagt sie einmal. Cervik changiert zwischen nobel und nuttig. In ihrer famos gespielten Sterbeszene, „Armand“ (hier Arango) rufend, den verzweifelten Eifersüchtling, der ihr gerade 500 Franc für ihre Dienste hingeworfen hat, ist sie bei sich. Im Sterben im Schnee so allein wie im Leben. Davor gibt es einen Dialog zwischen A. und M., in dem Hochmut auf Demut trifft. Und die Konflikte dieser Amour fou, in der man sich selbst hasst, weil man den anderen liebt, entblößt werden. Diese Szene ist wohl der Höhepunkt der Inszenierung.

Alexander Absenger gibt mit Bravour den unbedarften, netten Bursch‘, dessen Wechselspiel mit Arango Fischer auf den Punkt inszeniert hat. Ein Auf-Augenhöhe-Spiel. André Pohl – und viele im Publikum waren gespannt, wie ihr liebenswerter Theaterwegbegleiter da sein wird – verkörpert mit Arthur de Varville den brutalen Unsympath, den „Vergewaltiger“, aber auch Finanzier nachdem Marguerite Duval verlassen musste. Er ist Täter und Opfer zugleich, lässt sie ihn doch nicht nur ihre Geringschätzung spüren, sondern ihn trotz Schuldentilgung auch nicht „ran“. Ein sehr gelungener, anderer, neuer Einsatz Pohls! Ein paar witzige Metaphern wurden gefunden, um über „es“ zu kommunizieren. Die Schönste: Wenn sich die Damen des Salons gegenseitig das Gesicht ab-budern. Da ist Marguerite bereits ein Gespenst an Varvilles Arm. Bei einem Fest kommt es zum Eklat mit Duval. Der Herr über den Körper gegen den Seelenfolterer, die Frau –  ein schon aus dem Leben schwindender Geist.

Den Schlamassel hat Armands Vater, Georges Duval, angerichtet. Als die Liebenden Zuflucht in einem Landhaus nehmen, wo sich Marguerite erholen soll, taucht er auf: Udo Samel bei seinem Debüt an der Josefstadt. Er verlangt die sofortige Trennung des Paares, hätte er doch eine Tochter zu verheiraten, deren Eltern niemals dulden würden … Es ist kein Platz im Schoß einer Familie für Marguerite, wo doch ihren schon so viele kannten. Samel, ganz strenger Vater, deklamiert emotionslos seine „Rechte“, während er mit der linken – Keuschheit und Religion im Mund – sanft über die Hurenbrust streicht. Nun ist der Georges Duval prinzipiell eine Wurzn. Ein Zehn-Minuten-Auftritt. Für den es Samel nicht gelingt, in seiner Rolle eine Figur zu finden. Auch das Match Burgtheaterdeutsch vs Josefstädterisch geht 0:1 aus. Der Ausnahmeschauspieler Udo Samel als Außenseiter, als Fremdkörper, das war hoffentlich eine Regieidee und kein Passiertsein.

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Trailer: http://youtu.be/JCZLIfIyTTs

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Wien, 19. 12. 2014

Tonio Arango im Gespräch

Dezember 17, 2014 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Theater in der Josefstadt: Die Kameliendame

Tonio Arango, Sandra Cervik Bild: Moritz Schell

Tonio Arango, Sandra Cervik
Bild: Moritz Schell

„Die Kameliendame“, Alexandre Dumas’ (der Jüngere) Geschichte, die auf seinem realen Liebesverhältnis zu der Edelhure Marie Duplessis basiert, wurde vom Autor selbst für die Bühne bearbeitet; den endgültigen Siegeszug trat der Stoff wohl mit Verdis Oper „La Traviata“ an. Nun kommt die mitreißende Geschichte über die alles für ihren jungen Geliebten opfernde Mätresse in einer adaptierten Fassung von Herbert Schäfer auf die Bühne der Josefstadt. Premiere ist am 18. Dezember. Ausnahmeschauspieler Udo Samel gibt als Georges Duval sein Josefstadt-Debüt, Torsten Fischer inszeniert; die tragische Hauptrolle verkörpert Sandra Cervik. Mit diesem Roman setzte Dumas dem Typus der sündigen, aber edelmütigen Dame des Gewerbes ein literarisches Denkmal: Marguerite hat ihren festen Platz im Kanon der großen „Käuflichen“ der Weltliteratur, Verdis Oper und zahlreiche Verfilmungen verhalfen der Kameliendame zu ihrer außerordentlichen Popularität und machten sie zur Ikone tragischer Weiblichkeit.  Fischers Arbeit rückt zeitlos das Individuum, das an starren gesellschaftlichen Konventionen zerbricht, in den Mittelpunkt: eine Liebesbeziehung zwischen einem jungen Mann und einer älteren Frau gilt heute immer noch als skandalös.

Es spielen unter anderem Sandra Cervik (Marguerite Gautier), Tonio Arango (Alexandre Dumas, Erzähler), Alexander Absenger (Armand Duval), Udo Samel (Georges Duval, Armands Vater) und André Pohl (Arthur de Varville). Tonio Arango im Gespräch:

MM: Das Publikum kennt den Stoff meist als Verdis „La Traviata“. Nun hat Regisseur Torsten Fischer den Roman von Alexandre Dumas dem Jüngeren als Vorlage für das Bühnenstück genommen. Da gibt es einige gravierende Unterschiede. Können Sie den Lesern/Zuschauern erklären, was an der Bühnenfassung von Herbert Schäfer anders ist, als am bekannten Dell’invito trascorsa è già l’ora… – abgesehen davon, dass Alfredo in der Josefstadt Armand heißt …?

Tonio Arango: Wir versuchen „Die Kameliendame“ aus ihrer Zeit zu befreien, aus dieser doch schon etwas angestaubten eine zeitlose Liebesgeschichte zu machen. Alles, nur keine Rokoko-Schmonzette. Im Roman und in der Oper scheitert die Liebe an der Eifersucht und natürlich an der Krankheit von Marguerite. Bei uns scheitert das Ganze an der Gesellschaft. Das ist dramaturgisch ein Rieseneingriff. Mit den herkömmlichen „Traviata“-Inszenierungen hat das wenig zu tun, wir versuchen es gnadenlos auf die menschliche Kälte zu fokussieren – und uns nicht auf Tuberkulose zu beschränken.

MM: Sie sind der Erzähler. Die Initialen A. D. stehen sowohl für Alexandre Dumas, der eine reale Mätresse namens Marie Duplessis verehrte, deren Gesellschaft er öfter suchte, und der er mit der Kameliendame ein Denkmal schuf, als auch für Armand Duval und seine Marguerite Gautier. Sie stehen in einer Art Wechselspiel mit „Armand“ Alexander Absenger, gleich die erste Szene ist ein „Zwiegespräch“, Sie sind – etwa am Roulettetisch – in die Handlung eingebunden, kommentieren, Sie haben den Schlussmonolog. Wie würden Sie Ihre Aufgabe beschreiben? Wie geht es Ihnen mit diesen vielen Aufgaben?

Arango: Furchtbar. Ich bin am Ende. Ich kann dem nichts hinzufügen, Nächste Frage. (Er lacht.) Und das ist noch nicht alles, ich spiele den Friedhofswärter, der die Leiche exhumiert und noch ein paar Figuren, etwa den Croupier. Ich glaube meine Rolle ist der Motor, der „Zirkusdirektor“. Ich bin dabei, immer mitten drin, ich bin Beobachter der Szenerie. Dumas ist der Erzähler, es ist sein Stoff. Er hatte ja was mit ihr, er weiß wovon er redet – und es ist seine Geschichte, die er endlich loswerden will. Das ist interessant. Dass er es aufschreiben MUSS, es gibt am Anfang diesen Moment wo ich auf Alexander Absenger zeige und sage: Das bin ja ich. So zieht sich das durch den Abend. Am Ende tauschen wir die Rollen. Das große Finale mit Marguerite spiele ich, als eifersüchtiger, von dieser Amour fou zerfressene Mann, der nicht mehr in der Lage ist, die Liebe zu sehen. Der ihr noch einmal Geld hinwirft und geht. Das ist ganz tragisch. Ich bin froh, dass ich das spielen darf, denn es ist meine einzige echte Dialog-Szene. Die Tragödie meiner Figur Dumas ist, dass er um Jahrzehnte älter geworden, die Wahrheit kennt: Dass sein Vater sie gezwungen hat Liebe wegen seiner Schwester zu entsagen … Mit diesem Blick auf die Vergangenheit zu spielen, ist oft schwierig. Dumas trägt eine schwere Schuld mit sich. Und er muss leben mit dieser Last, dass er zu blöde und zu jung war, um das falsche Familienspiel zu durchschauen.

MM: Woher, denken Sie, kommt dieses romantische Bild der Halbwelt (das Schäfer und wie ich annehme Fischer dem Ganzen ziemlich runtergeräumt haben)? Marguerite ist ja durch ihren Verzicht Heilige und Hure zugleich. Zeichnet diese Inszenierung ein kälteres Bild der Käuflichen und ihrer Käufer?

 Arango: Ja, aber nicht zugunsten von Lederklamotten und Swingerclub. Die Damen tragen unglaubliche Reifröcke. Überdimensional. Ich wollte auch mal einen tragen, ich versuche seit drei Produktionen an diesem Haus eine Frau zu spielen, aber ich sah aus wie Conchita Wurst, also haben wir’s gelassen. Wir versuchen den Stoff aus dieser Epoche rauszuholen. Kurtisane, Kokotte, das hört sich doch heute alles an, wie eine Mehlspeise. Da haben wir sehr gekämpft. Ich habe bei meinem Monolog erst heute beschlossen „Hure“ zu sagen. Was passiert, wenn eine Hure einen wirklich liebt, dass ist der tollste Text meiner Rolle. Was passiert dann tatsächlich? Die Gesellschaft sagt: Wir machen euch fertig. Hure bleibt Hure. Ihr könnt hier nicht auf Liebe machen. Das rauszukitzeln ist spannend und schwierig, damit es nicht platt wird. Wir versuchen ein kaltes Bild der Gesellschaft zu zeichnen. Es geht nicht um Huren und Freier. Wir sind alle wie schockgefroren und rechnen miteinander ab. Das ist etwas Wunderbares, das Fischer da gelungen ist. Ich hoffe, die Zuschauer begleiten uns auf diesem Weg, denn Sie haben recht: Die romantische Verklärung des Stoffs – nicht zuletzt durch die Oper – ist gewaltig. Es war der erfolgreichste Roman des 19. Jahrhunderts. Dumas der Ältere, der „Die drei Musketiere“ oder „Der Graf von Monte Christo“ schrieb, sagte einmal über seinen Sohn: „Ich nehme meine Stoffe aus Träumen, er aus dem Leben. Er beobachtet, ich erfinde.“ „Die Kameliendame“ ist ein Groschenroman voll Tränenseligkeit, dahinter steckt aber diese Liebe, nach der wir alle ringen und die die wenigsten von uns erreichen. Das berührt einen

 MM: Sie arbeiten nun zum dritten Mal mit Sandra Cervik zusammen. Darf man da sagen: Die Chemie stimmt?

 Arango: Hundertprozentig. Sie ist eine wunderbare Kollegin. Sie spielt mit mir und sie hat keine Angst. So findet Schauspielerei statt. Die meisten spielen mit sich selbst, dabei ist Zuhören und Antworten das ganze Geheimnis der Schauspielerei. Und nicht gegen die Möbel stoßen. Es gibt nicht viele, mit denen man so arbeiten kann, wie mit Sandra Cervik.

 MM: Weil grad auch ein Stück über Freud und Jung auf dem Programm der Josefstadt steht: Freie Assoziation: Ich sage Liebe. Sie antworten … ?

 Arango: Hoffnung. Scheitern, noch besser. Wir haben viel gesprochen über die Liebe. Ich habe mit Sandra wunderbar vier Wochen lang darüber „gestritten“, wo in diesem Stück die Liebe ist. Ich bin immer noch auf der Suche: Ist Liebe Verzicht, Aufgabe von Erwartungen, hat Liebe nur noch mit dem anderen zu tun und nicht mehr mit sich selbst. Hochspannend. Oder sagen wir so: Wenn Sie Liebe sagen, sage ich: unmöglich.

 MM: Marie Duplessis sagt: „Warum ich mich verkauft habe? Weil ehrliche Arbeit mir niemals den Luxus erlaubt hätte, nach dem ich mich so sehnte.“ Für welchen Luxus würden Sie sich „verkaufen“ – wobei mit Luxus nicht nur Warenwerte, sondern auch wahre Werte gemeint sind?

Arango: Sehr gut. Ich verkaufe mich ja. Ich sehe meinen Beruf in einer ehrenhaften, konstanten Linie mit Madame Duplessis, eine Form der Prostitution. Daran ist überhaupt nichts Ehrenrühriges. Und ich mache es für den Preis der Freiheit. Die Freiheit, mich einmal ein paar Wochen zurückzuziehen. Mein Luxus ist Rückzug. Sonst würde ich wahnsinnig.

 MM: Sie haben mit einigen meiner Lieblings-Filmregisseure zusammengearbeitet: Oskar Roehler, Urs Egger, Heinrich Breloer … Muss man, um Theater spielen zu können, dem Film aus Zeitgründen ganz entsagen? Oder haben Sie was in der Hinterhand, worüber Sie schon plaudern dürfen?

 Arango: Erste Frage: Ja, leider. Wenn Filmproduktionen hören, dass man gleichzeitig Theater spielt, werden sie nervös. Und umgekehrt. Ich finde das völlig unnötig. Aber für mich ist es in Ordnung, weil ich sowieso nicht zwei Dinge gleichzeitig mache. Ich habe einen großen Film in Berlin pfeifen gehen lassen, weil ich nicht ständig hin und her fliegen kann. Das tu ich mir nicht mehr an. Ich mache etwas ganz, dann das nächste. Für kommendes Jahr habe ich einige Filme in petto, aber, da bin ich abergläubisch, ich mag noch nichts darüber sagen. Ich mag beide Medien: Film ist komplette Reduktion auf das Denken, abzulesen an den Augen. Das heißt, das was man am Theater groß macht mit Gesicht und Körper, damit es auch noch der dritte Rang sieht, ist beim Film ein absolutes No-Go. Die Kamera holt dich ran, du bist mit ihr ganz allein. Wie ein Mikrophon, wenn man ein Hörbuch aufnimmt. Das sind Sachen, die ich extrem schätze.

 MM: Ich habe gehört, dass Sie in Pausen in den Probenraum entwischen, um dort Klavier zu spielen. Sie sind Bariton. Warum nicht einmal was Musikalisches auf der Bühne?

 Arango: Ich spiele leidenschaftlich Klavier, habe ab elf Jahren Unterricht bekommen, wollte auch Pianist werden, bin dann zum Jazz gewechselt. Jazz ist für mich komplette Meditation. Ich hätte auch beinah Klavier gespielt in der Produktion, aber das wäre zu viel gewesen. Man muss nicht auch noch jonglieren und Einrad fahren. Was Musikalisches auf der Bühne würde ich sehr gerne einmal machen. Torsten Fischer und ich sollten das Musical „Next to Normal“ machen – da geht’s um eine Mutter, die ihren toten Sohn sieht und natürlich einen Arzt konsultiert; der Arzt wäre meine Rolle gewesen. Das war ein Riesen-Broadwayerfolg, hat einen Pulitzerpreis gekriegt. Aber auch das wäre mir jetzt zuviel. Es wird was kommen, da bin ich sicher. Denn Singen ist überhaupt Wow! Ich trainiere auch meinen Körper, kann tanzen. Ich finde, als Schauspieler muss man ein Rundumtalent sein. Singen, tanzen, gut spielen – das macht den Beruf aus, da bin ich dabei. Es sind andere Dinge, die mich mitunter mürbe machen …

 MM: Außerdem sind Sie bei 1.90 Metern Basketballer. Noch „aktiv“? Oder mit Herz und Seele Zuschauer?

 Arango: Ich habe lange gespielt, seit der Schulzeit. Das hat mich gerettet, denn ich war ein grottiger Schüler. Ich war bis zur Berlinauswahl durchgesichtet für den Kader. Jetzt kaufe ich mir für 180 Dollar jedes Jahr einen NBA-Internetzugang, damit ich alle Spiele sehen kann: Nowitzki Dallas Mavericks … Selber spielen ist mir heute zu riskant.

 MM: Dann bleibt mir nur zu wünschen, dass Sie diesmal auch in den Korb treffen.

 Arango: Ich gehe davon aus. Wir sind auf einem guten Weg.

www.josefstadt.org

Trailer: http://youtu.be/JCZLIfIyTTs

http://arango.de/

Wien, 17. 12. 2o14