Landestheater NÖ online: Der Parasit

April 5, 2020 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Ein Grand Guignol in Grau

Ein Emporkömmling will hoch hinaus: Petra Strasser, Emilia Rupperti, Tobias Artner als „Parasit“ Selicour, Rafael Schuchter und René Dumont. Bild: © Bild: Alexi Pelekanos

Das Landestheater Niederösterreich eröffnete seinen Osterspecial-Stream am Samstag mit Schillers „Der Parasit“ in der Regie von Fabian Alder – und der hat aus des großen Klassikers Beamtensatire ein Grand Guignol in Grau gemacht. Wiewohl freilich eine Aufzeichnung eine Aufführung nicht ersetzen kann, schafft es das mit großer Spielfreude agierende Ensemble aus

St. Pölten und Klagenfurt, die Komödie ist eine Koproduktion mit dem dortigen Stadttheater, auch via Bildschirm „live“ zu wirken. Bemerkenswert auch auf Film ist das Bühnenbild, Thomas Garvies rotierendes Oktagon mit den im Wortsinn Drehtüren, rund um die Amtsstubenpforten ein endlosschleifiger Korridor, auf dem die Staatsdiener zu kakophonischer Drehorgelmusik ihre Runden … naja, äh … drehen. Ihr Suchlauf nach dem Einlass zu Eheglück und Karrierechance dabei ein Monty-Phyton’scher Silly Walk; ihr Katzbuckeln im Ministerium hat sie bürokratisch verformt, das System haftet an ihnen wie eine zweite Haut.

Heißt: Kostümbildnerin Johanna Lakner hat den Pro- wie Antagonisten übergroße Aktenschranksakkos übergezogen, ein kantig-steifer Thorax, der die geistige Unbeweglichkeit als körperliche versinnbildlicht und in dem feststeckend sich die zur Inflexibilität Verdammten in kolossale Gesten flüchten. Trefflich zeigt das die Figur des Ministers Narbonne, ihn spielt René Dumont, der seine Klappmaulpuppenarme nur mithilfe seines Kammerdieners, Raffael Schuchter als Michel, rühren kann. Wodurch sich die Frage stellt, ob sich hier Volk oder dessen Vertreter gebärden.

Dass Alder auf schaumgebremsten Slapstick setzt, macht das Kabale-und-Liebe-Lustspiel umso spaßiger, die Schauspieler wechseln zwischen Schockstarre und Zappelphilipp, Naivlinge treffen auf Narren auf Neider auf Tunichtguts, die Orgel orgelt Queens „We Are The Champions“ zu den Wie-Wahlkampf-Auftritten des Ministers und Michael Jacksons „Smooth Criminal“, zu dem Selicour ein Siegestänzchen aufs politische Parkett legt.

Tobias Voigt, Heike Kretschmer als La Roche und Dominic Marcus Singer. Bild: © Alexi Pelekanos

Petra Strasser als Madame Belmont mit „Charlotte“ Emilia Rupperti. Bild: © Alexi Pelekanos

Den gibt brillant Tobias Artner. Sein Selicour ist ein speichelleckender Blender, ein Bescheidenheitsheuchler, der sich in Narbonnes Ohren geschleimt hat, ein Nach-oben-Buckler-nach-unten-Treter, der seine Pedaltaktik intensiviert, je tiefer er in die Bredouille gerät. Ihm gegenüber baut sich Heike Kretschmer als La Roche auf, ein barscher Bürohengst, der mit Donnerstimme jedes Korruptionsangebot weit von sich weist. Kretschmer gelingt es grandios einen La Roche zu zeichnen, der seine Rechtschaffenheit durch seine andauernde Rage sabotiert. Je mehr er sich erzürnt, umso größer des Ministers Ennui.

Tobias Voigt und Dominic Marcus Singer sind als Vater und Sohn Firmin zwei sich verzagt gegen Selicours Heimtücke sträubende Opfer, Petra Strasser eine hingegen für den Ränkeschmied entflammte Ministersmutter Madame Belmont, die ihre Enkelin, Emilia Rupperti als Charlotte, weil sie selbst ja nicht die Braut sein kann, Richtung Traualtar treiben will. Während man derart mit Vergnügen verfolgt, wie sich der Intrigenspinner im eigenen Netz fängt, weil La Roche aufklärerisch tobend längst die Fäden in der Hand hat, vergisst Alder aufs Gesellschaftskritische nicht.

„Der Schein regiert die Welt – und Gerechtigkeit ist nur auf der Bühne.“ Mit dieser Unfrohen Botschaft endet das Original. Hier nun darf Team Alder, nachdem René Dumont über „kriechende Mittelmäßigkeit“, Schein und Scheinheiligkeit und ein Sich-Schuldig-Machen, duldet man populistisches Agieren und Agitieren, ins Publikum philosophiert hat, den dringenden Appell „Aufpassen!“ an dieses richten.

Kastensystem in Aktenschranksakkos: Madame Belmont beobachtet, wie ein unliebsamer Bittsteller von Selicour unsanft expediert wird. Bild: © Alexi Pelekanos

Die Moral von der Geschicht‘ hat ein Nachspiel, in dem die Darsteller Slogans, Klassenkampf von links, Neokonservatismus von rechts, Kulturpessimismus, Kapitalismus-Schelte, politisch korrekte Pseudopolitik, auf die Zuschauer niederprasseln lassen. „So sind wir nicht“, zitiert der Minister. Und Selicour? Demonstriert, dass man das kastige Sakko nicht nur alleine stehen lassen,

sondern auch darin versinken kann. Mehr und mehr geht der Schwindler im Stoff unter, bis er scheint’s ganz verschwunden ist; „Der Parasit“ wird insektenklein und von Firmin-Sohn wie ein solches zertreten. Dass im Weiteren Emilia Ruppertis Charlotte, statt mit ihrem Karl ins Finale zu entschweben, Dominic Marcus Singer laut schreiend in den Schwitzkasten nimmt, ist schon was für Connaisseurs. „Tell the Truth, Act now“, skandiert sie die Extinction-Rebellion-Parole. Falls sich darauf ein Reim zu machen ist, dann maximal der, dass Frauen durchaus eine bedrohte Art sind. Und nein, das ist kein Bonmot.

Heute noch zu sehen bis 16 Uhr und wieder am 12. April ab 16 Uhr: vimeo.com/360206873

Trailer: www.youtube.com/watch?v=7IxnEfOnF1k

www.landestheater.net

BUCHTIPP: Ian McEwan „Die Kakerlake“, eine köstlich-kafkaeske Persiflage auf die aktuelle britische Politik, Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=37733

5.4. 2020

Bronski & Grünberg: Der Reigen

Oktober 21, 2019 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Zum Schluss sind alle fick und fertig

„Schnitzler“ von Ruth Brauer-Kvam: Florian Stohr als Dirne und Gerald Votava als Soldat. Bild: © Philine Hofmann

Von wegen Männerwelt. Hat sich was mit Herren der Schöpfung. Nicht nur zwingt das „Domina“-nte Stubenmädchen den Soldaten zwecks Orgasmus zum tödlichen Stromschlag, da wird später sogar ein Erotikdarsteller mittels bösem Weiberblick um sein Ejakulat betrogen, bis schließlich ein französisch parlierender Adelsspross zum Sex einen Pariser benutzen soll – was ihm leider gar nicht steht.

Im „Bronski & Grünberg“ ist wieder „Der Reigen“ im Programm, die Wiederaufnahme der in der vergangenen Saison höchst erfolgreichen Produktion, für die zehn Regisseurinnen und Regisseure je eine Szene aus dem einstigen Skandalstück inszenierten. Und wie darin ein Gesellschaftspanorama des Fin de Siècle entworfen wurde, changierend zwischen Unmoral, Ohnmacht und Machtanspruch, so geschieht’s auch heute.

Allerdings auf post-patriarchal gedreht und gewendet, heißt: die Frauen schaffen an, und zwar nicht nur die Dirne, sondern in jeglicher Form. Das selbsternannt starke Geschlecht ist ein im Wortsinn armes Würstchen, das selbstmitleidig davon singt, dass ein Penis halt keine Maschine ist.

Zehn Leuchttafeln rund um die von Gabriel Schnetzer gestaltete Bühne zeigen das Jahr der jeweils gespielten Szene an, nicht chronologisch geht’s von 1750 bis 2000, selbstverständlich ins Erstveröffentlichungsjahr 1900 und ins Uraufführungsjahr 1920. Kyrre Kvam hat dazu Goethes Gedicht „Liebhaber in allen Gestalten“ vertont, die Strophen unterbrechen die Begegnungen, wobei, tatsächlich tut das Florian Stohr als Dirne. Stohrs Leocadia ist ein liebenswertes leichtes Mädchen, klar kann der Schauspieler Drama-Queen, doch die von Ruth Brauer-Kvam verantworteten erste und letzte Szene setzen lieber leise, lyrische Akzente in dieser ansonsten um Kalauer und Klamauk keineswegs verlegenen Aufführung.

„VHS Kassette“ von David Schalko: Von Stolzmann als Gatte und Julia Edtmeier als Süsses Mädel. Bild: © Philine Hofmann

Der Pornostar will die Filmelevin beeindrucken: Claudius von Stolzmann und Julia Edtmeier. Bild: © Philine Hofmann

„Dr. Condom“ von Julia Edtmeier und Kaja Dymnicki: Florian Carove als Graf. Bild: © Philine Hofmann

Mit Verhüterli floppt der Verkehr: Kimberly Rydell als Schauspielerin und Carove. Bild: © Philine Hofmann

Trifft Stohr anfangs auf Gerald Votava als defätistischen Soldaten, dieser brutal in seiner Resignation, hartherzig in seinem Nihilismus, von beiden eine schnitzlereske Charakterzeichnung inmitten des Überdrüber, das noch folgen soll, so ist es am Ende Florian Carove als Graf, der nach Satire, Ironie, Sarkasmus endlich ernsthaft einen Schnitzler’schen Sehnsüchtler gibt – dieser an diesem Abend übrigens nicht der einzige, der nicht zum Schuss kommt. Solitär Stohr aber fällt, da Brauer-Kvam auch die Über-Regie übernommen hat, und damit die Arbeit, die Episoden zu einem Ganzen zusammenzufügen, außerdem die Aufgabe zu, als eine Art Spielmacherin zu fungieren. Denn Leocadia bestimmt, wer wann wo, und wie es Marius Zernatto als Dichter mit einem weinerlichen „Alle andern dürfn a“ formuliert, „abgespielt“ ist, und führt die Figur von der Bühne.

Alldieweil ist Gerald Votava bereits beim Stubenmädchen angelangt, Karoline Kucera als SM-Kammerraubkätzchen, der Soldat wie Woyzeck impotent, nicht von zu vielen Erbsen, sondern weil abgefüllt mit Cornflakes aus dem Hause „Kellogg’s“ – wie Dominic Oley seine Szene hintersinnig nennt, diese Verquickung der Erfindung der Frühstücksflocken als Medizin gegen den Sextrieb und die im Zweiten Weltkrieg erfolgte Übernahme des dafür errichteten Sanatoriums durch die US-Armee. In „Doppelspalt Experiment“ trifft Kucera als nächstes auf David Jakob als Jungen Herrn, ein prä-potenter Teenager, den Dominic M. Singer sich in der Badewanne räkeln lässt, ein Herrenburscherl, das den Hitlergruß probt, bevor ihn die von ihm als solche behandelte „Dienstmagd“ Kurz anbindet.

Auf „Reigen Skandal“ von Johanna Mertinz mit David Jakob als Jungem Mann und Agnes Hausmann als Junger Frau, folgt Helena Scheubas „Freddie Mercury“, eine Sequenz, in der sich Agnes Hausmann als Junge Frau und Claudius von Stolzmann als Gatte in Rollenspielen üben, von Stolzmann hinreißend beim natürlich tollpatschigen Versuch zu „Under Pressure“ einen Striptease hinzulegen, großartig der eheliche Dialog, ob nicht des Gatten Schnauzbart und seine Begeisterung fürs Tanzen ein Indiz für eine ebensolche betreffs Sex mit Männern sei. Dies jedenfalls die große Fehlstelle in dieser Gemeinschaftsarbeit, dass nämlich im „Schnitzler neu“ mehr Spielarten zwischenmenschlichen Zusammenlebens als immer nur die Hetero-Variante wünschenswert gewesen wären.

„Kellogg’s“ von Dominic Oley: Karoline Kucera als Stubenmädchen und Gerald Votava. Bild: © Philine Hofmann

„Freddie Mercury“ von Helena Scheuba: Agnes Hausmann und Claudius von Stolzmann. Bild: © Philine Hofmann

„Schnitzler“ II von Ruth Brauer-Kvam: Florian Carove als Graf und Florian Stohr als Dirne. Bild: © Philine Hofmann

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Stattdessen schnallt sich von Stolzmann in David Schalkos „VHS Kassette“ einen Riesen-Penis um (Kostüme: Katja Neubauer), der Gatte ein Pornostar, mit dem Fellatio zum Reflux führt, wie er angibt, bis Julia Edtmeier seinem Segen-und-Fluch-zugleich-Pimmel mit einem Augenaufschlag den Garaus macht. In Fabian Alders „Die Pille“ gesellt sich zu Edtmeier Marius Zernatto als Dichter, ein von seinem Singer-Songwriter-Genie überzeugter Poser, den an der Beziehung lediglich interessiert, ob sie eh die – siehe Episodentitel – nimmt. Auch bei seinem zweiten Antreten ist Zernattos Dichter kein Glück beschieden, im von Laura Buczynski inszenierten „Sex and the City“ sorgt Kimberly Rydell als Schauspielerin mit ihrer flammenden Rede über Verhütung für den Untergang seiner Schwimmer.

Die Szene von der Schauspielerin und dem Grafen nennt sich in der Fassung Julia Edtmeier und Kaja Dymnicki „Dr. Condom“, nötigt doch Rydells Bühnenkünstlerin den Blaublüter voll feministisch und auf ihre nachwuchslose Unabhängigkeit bedacht sich ein solches –  1750 noch aus Tierdarm gefertigt, mit Seidenbändern und lateinischer Gebrauchsanleitung – überzuziehen. Schwach protestiert Florian Caroves Graf, das Abwenden von der Zeugung von Bastarden liege in der Verantwortung des Weibes, doch es hilft ihm kein sich auf diesen Standpunkt Versteifen. Was im Übrigen auch andernorts nicht stattfindet, was wiederum von Carove, der sich zu allem Ungemach noch zusätzlich durch unzählige Rokkokokleiderschichten wühlen muss, mit einem bedauernden „Ich war eigentlich grad sehr geil“ kommentiert wird.

Da lacht das Publikum, wie generell viel an diesem Abend. „Der Reigen“ im Bronski & Grünberg geriet im besten Bronskisten-Style zur abgedrehten Komödie, die Schauspielerinnen und Schauspieler mal lässig-lasziv, mal amüsant-süffisant, mal exaltiert, mal exzentrisch. Neben Gerald Votava mit seinem rostigen Goldenen Wienerherz, ist es von Stolzmann, dessen darstellerische Feinheiten gefallen. Wie er in der Scheuba-Szene bei Hose rauf, Hose runter, von Satz zu Satz tänzelt, von Erwartung zu Enttäuschung, spielt er sich sportlich-schnittig die Pointen von der Seele. Am Schluss sind alle fick und fertig. Schön ist das, diesem Dreamteam beim „seeeehr frei nach Schnitzler“ Spaß haben und Spaß machen zuzusehen.

 

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  1. 10. 2019

Bronski & Grünberg: Pension Schöller

Dezember 13, 2018 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Fest an den lockeren Schrauben gedreht

Philipp Klapproth am Ende seiner Kräfte: Claudius von Stolzmann, Gioia Osthoff, Benjamin Vanyek und Martina Dähne. Bild: © Andrea Peller

Es ist, ob legendärer Inszenierungen an den Kammerspielen, immer ein gewisses Wagnis in Wien „Pension Schöller“ zu zeigen. Der dort regieerfahrene Fabian Alder hat’s nun im Bronski & Grünberg getan, hat radikal viel gewagt – und alles gewonnen. In seiner Neufassung dockt das beinah 130 Jahre alte Lustspiel von Wilhelm Jacoby und Carl Laufs geradezu demonstrativ an der Jetztzeit an.

Alder hat, ohne Irr- oder Sprachwitz des Originals zu beschädigen, die Charaktere weitergedacht und fortgeschrieben, hat fest an deren lockeren Schrauben gedreht, und schafft es, mitten im größten Spaß, ein hinterlistiges Statement zum Heute abzugeben. Die Welt anno 2018 – ein Narrenhaus.

Die Handlung ist bekannt. Privatier Philipp Klapproth will, weil er eine seiner Villen in ein Sanatorium für nervlich Angegriffene verwandeln möchte, in Wien eine Klapsmühle besuchen. Sein Neffe Alfred, der vorhat, ein chices Geschäft für sinnlos überteuerte Wohnaccessoires zu eröffnen, und dafür dessen finanzielle Unterstützung braucht, führt den Onkel zu einem Gesellschaftsabend in der Pension Schöller.

Was in Wahrheit nicht mehr als ein Zusammentreffen eines freilich exaltierten, aber keineswegs geisteskranken Künstlerkreises ist, ist für Klapproth pure Psychiatrie. Doch weil sich Klapproth immer mehr in seinen Begegnungen mit den vermeintlichen Insassen verstrickt, nehmen die Verwirrungen naturgemäß ihren Lauf. Um deren grelle Komik zu illustrieren, hat Kaja Dymnicki ein mit pinker Luftpolsterfolie überzogenes Bühnenbild erdacht, die Kostüme von Julia Edtmeier kontrastierend dazu in ihrer spießigen Kleinkariertheit. Darin gelingt dem Ensemble mit viel Spielfreude und hohem Tempo, zwischen Handgreiflichkeiten und Slapstick-Stürzen, großartiger Boulevard.

Martina Dähne gibt mit Verve die beherzte Pensionswirtin, die mit ihren „internationalen“ Soiréen das Ende der Demokratie in Europa abwenden will – vorausgesetzt die Subventionen dafür fließen. Benjamin Vanyek bezaubert in der Paraderolle als Schöllers schwuler Sohn und „logopädisch herausgeforderter“ Jungschauspieler mit Abscheu vor der strukturellen Ausbeutung am Theater. Hinreißend, wie er als Showhighlight „Oh mein Papa“ nispelt, und nogisch, dass er in Dominic Marcus Singers aufgeräumtem Alfred sein Liebesglück findet.

Ein verdächtiges Geschenk vom Globetrotter: Claudius von Stolzmann und David Oberkogler. Bild: © Andrea Peller

Die Postdramatikerin im Infight mit dem Major: Gioia Osthoff und Thomas Weissengruber, hinten: Martina Dähne, Benjamin Vanyek und Dominic Marcus Singer. Bild: © Andrea Peller

Hier findet zusammen, was zusammen gehört: Benjamin Vanyek und Dominic Marcus Singer. Bild: © Andrea Peller

Die Schauspieler schmieren und klamauken sich derart Vollgas durch ihre Rollen in dieser gegenüber dem 1890er-Stück noch  zugespitzten Farce, dass es eine Freude ist. Das „Kasperltheater“ mit dem die Kaffeehausszene beginnt, ist auch in Folge wörtlich zu nehmen. David Oberkogler spielt den Löwenbändiger Bernhardy, der hier hauptberuflich ein mittelschwer narzisstischer Auslandskorrespondent ist, immer bereit über seine zahlreichen Journalistenpreise zu schwadronieren oder eine „kritisch-unabhängige“ Frage zu platzieren.

Gioia Osthoff ist als Schriftstellerin, nun mit dem Namen „Weißgarnix“, zur feministischen Postdramatikerin avanciert, die ihr Umfeld mit ihren unverrückbaren Gender-Positionen nervt. Thomas Weissengruber ist – mit einem Riesenrepertoire an wutbürgerlicher Mimik – als cholerischer Major a. D. zu sehen, dessen Karriereende mit dem (tatsächlich Pilz’schen) Sager vom „Höschen aus Paris“ zu tun hat, und der daher in funktionierende Opposition gehen will. Solcherlei Bezüge stellt Fabian Alder mit Vorliebe her. Und nicht immer nur geht es dabei um politische Fettnäpfe, sondern im extremsten Fall um einen wieder gesellschaftsfähigen Faschismus.

Philipp Klapproth nämlich, von Claudius von Stolzmann lange Zeit ganz prima als Provinztropf angelegt, ist nämlich aus Chemnitz. Was nicht nur diverse Seitenhiebe zur aktuellen Lage hierzu- und im Nachbarlande zulässt, sondern auch eine Schlusspointe, in der sich das vorgeblich so harm- wie arglose Onkelchen als Drahtzieher einer Operation, genannt „Schöne braue Donau“, enttarnt. Was es damit auf sich hat, sollte man sich selber anschauen. Nur so viel: Zum Schluss heißt es nicht nur Komödienfeuer frei.

Auch in seiner dritten Saison erweist sich das Bronski & Grünberg mit dieser High-Speed-Aufführung als erste Adresse für absurden, bissigen Witz und scharfsinnigen Schabernack. Mit diesen Mitteln ist dem Wahnsinn dieser Tag wohl am besten beizukommen, sozusagen Lachen als Theater- und Lebenskonzept. Erst kürzlich ergab eine Studie der Medizinischen Universität Wien, dass, wer schwarzen Humor mag, einen höheren Intelligenzquotienten und ein niedrigeres Aggressionslevel als andere hat …

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13. 12. 2018

Bronski & Grünberg: Familie Schroffenstein

Februar 16, 2018 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Purismus statt Budenzauber

Ljubiša Lupo Grujčić und Birgit Linauer. Bild: © Andrea Peller

Das Bronski & Grünberg, bis dato auffällig geworden als Spielort, der sich bierernst nehmenden Klassikern die Satire ins Gesicht grinst, beweist mit seiner jüngsten Produktion, dass es auch ganz anders kann. Und dies ausgerechnet bei einem Stück, das sich für Ironie und Parodie geradezu angeboten hätte: Kleists „Familie Schroffenstein“. Nun aber trat Regisseur Fabian Alder, und mit ihm eine Creme österreichische (Jung-)schauspieler, an, um dem Wegbereiter in die dramatische Moderne alle Ehre anzutun. Alder setzt in seiner Inszenierung auf Purismus statt auf Budenzauber. Herauskommt so ein sehr straighter Theaterabend, der Kleists Haudegen ohne Hau-drauf-Humor präsentiert, und in seiner klaren Tonart auf ganzer Linie reüssiert.

Haudegen, weil: Was sich in der „Familie Schroffenstein“ abspielt, ist eine Blutorgie à la Tarantino. Durch einen unseligen Erbschaftsvertrag sind zwei blaublütige Vettern samt Anhang zu erbitterten Feinden geworden. Man beschuldigt sich gegenseitig des Kindsmords, schreckt vor abgeschnittenen Leichenfingern, Folter und dergleichen nicht zurück, Vasallen und Boten fallen wie die Fliegen – und, wenn nichts mehr hilft, fällt einer in Ohnmacht. Das übliche Kleist’sche Ritter-Schauer-Mysterydrama halt.

Alldieweil das mörderische Treiben so geht, verlieben sich Agnes aus Zweig A und Ottokar aus Zweig B ineinander. Allerdings, dies kommt beziehungserschwerend hinzu, findet auch Ottokars psychisch labiler Halbbruder Johann Gefallen an der schönen Maid. Im Gebirge kommt es schließlich zu Kleidertausch und Doppelsprung über die Klinge. Am Ende sind alle Erben hin. Und Johann sagt: „Es ist ein Spaß zum Todlachen!“

Nicht so bei Alder. Der verzichtet auf alles Hexenwerk und lässt auf leerer Bühne mit Baumgerippe spielen. Zwei Öffnungen lässt er den goldbewandeten Burgen für die zahlreichen Auf- und Abtritte der Figuren, die Edelfarbe sozusagen der einzige Farbtupfer auch für einen Handschuh, sind im Weiteren die Schauspieler doch in Schwarz und Weiß gekleidet. Einzig der Grenzgänger zwischen den Familien, Jerome von Schroffenstein, trägt grau (Bühne: Kaja Dymnicki und Fabian Alder, Kostüme: Katharina Kappert).

Sophie Stockinger und Simon Morzé. Bild: © Andrea Peller

Wohl weil sich in den Familien alles wie spiegelgleich ereignet, hat Alder die Grafen Rupert und Sylvester sowie die Gattinnen Eustache und Gertrude mit jeweils Ljubiša Lupo Grujčić und Birgit Linauer besetzt. Besagter goldener Handschuh kennzeichnet, wer gerade das Sagen hat, und vor allem Grujčić ist großartig als mal unversöhnlicher Willkürherrscher, mal dessen versöhnlich einlenken wollender Cousin. Sophie Stockinger und Simon Morzé gestalten ein anrührend schüchternes Liebespaar Agnes und Ottokar, Benjamin Vanyek ist als Johann sehr schön irre. Florian Stohr gibt den Jerome als aufrechten, guten Menschen. Ursula Anna Baumgartner schließlich schlüpft gekonnt in diverse Rollen – vom frechen Herold Theistiner bis zur Totengräberstochter Barnabe.

Es macht Freude zu sehen, wie es dem Ensemble gelingt, die Kleist’schen Typschablonen in Charaktere aus Fleisch und Blut zu verwandeln, Alder versteht es, die Symbolhaftigkeit des Werks aufzugreifen und diese Parabel vom Untergang eines großen Hauses in eine aktuell gültige Aufführung zu verwandeln. Dies ohne mit tagespolitischen Schlagworten wie Fake News, roten Knöpfen, Waffenwahn und derlei mehr, was sich zwischen zwei Regierenden und deren Staaten ereignen kann, protzen zu müssen. Man versteht das bitterböse Finale auch so. Und Totengräberswitwe Ursula, in Wahrheit Urheberin des gesamten Grauens, sagt lapidar: „Wenn ihr euch totschlagt, ist es ein Versehen …“

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  1. 2. 2018

Kammerspiele: Shakespeare in Love

September 8, 2017 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Das Theater ist auf den Hund gekommen

Will Shakespeare wundert sich über seine Gefühle für den jungen Schauspieler Thomas Kent: Dominic Oley und Swintha Gersthofer. Bild: Astrid Knie

Nun ist es also empirisch nachgewiesen: 22 Menschen passen auf die Bühne der Kammerspiele, können sogar noch fechten, tanzen, musizieren, außer ihnen aber hat kein Löschpapier mehr Platz … Das zweite Haus der Josefstadt eröffnete am Donnerstag mit der Komödie „Shakespeare in Love“. Die war 1998 ein Kino-Blockbuster, das Drehbuch von Tom Stoppard und Marc Norman, wurde mit sieben Oscars und drei Golden Globes bedacht.

Und gab der schönen Gwyneth Paltrow die Gelegenheit zu beweisen, dass sie auch Komödiantin sein kann. Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger ist es nun gelungen, sich von Disney Theatrical Productions die Rechte für die deutschsprachige Erstaufführung der Bühnenfassung von Lee Hall zu sichern. Fabian Alder hat inszeniert, ganz „großer Bahnhof“, ein rasantes Lustspiel mit scherenschnittigen Figuren. Bei der Geschwindigkeit, die hier eindreiviertel Stunden lang vorgelegt wird, ist eine tiefergehende Charakterauslotung wahrhaft kaum mehr möglich. Aber das macht nichts. Das Stück lebt von den scharfsinnigen, scharfzüngigen Dialogen des genialischen Tom Stoppard, glänzend übersetzt von Corinna Brocher, von Timing und Tempo, und diesbezüglich ist Alder ein Meister: Jede Pointe sitzt, jedes Bonmot ist auf den Punkt gebracht. Die Schauspieler agieren allesamt in Höchstform, die eine oder andere Darbietung ist beinah circensisch, und das Publikum dankte mit großem Jubel und viel Applaus.

Die Story, samt Stück im Stück, handelt sozusagen von der Entstehung von Shakespeares „Romeo und Julia“. Der britische Barde hat Schreibhemmung, dafür aber einen Haufen Schulden. Er quält sich mit der Komödie „Romeo und Ethel, die Piratentochter“. Die Premiere naht, die Proben sind eine Katastrophe, die Besetzung ist ein Graus. Da tritt der junge Schauspieler Thomas Kent auf den Plan, in Wirklichkeit Viola De Lesseps, Töchterchen aus besserem Hause, die es, zu Zeiten da nur Männern das Schauspielen gestattet war, zur Bühne und in die Nähe des von ihr verehrten Dichters drängt. „Tom“ kriegt die Rolle des Romeo, und Will seine Gefühle nicht mehr auf die Reihe. Was im weiteren Verlauf geschieht, Lieben und Leiden, inspiriert Shakespeare dann zum schönsten Liebesdrama aller Zeiten …

Die Amme ist natürlich in alles eingeweiht: Therese Lohner mit Swintha Gersthofer. Bild: Astrid Knie

Begeistertes Publikum: Swintha Gersthofer, Therese Lohner und Oliver Huether. Bild: Astrid Knie

Dass Stoppard in die romantic comedy eine mit Shakespeare-Zitaten gespickte Satire einschreiben musste, ist logisch. Und so ist „Shakespeare in Love“ auch eine hinreißende Parodie auf den Theaterbetrieb. Intendant gegen Autor, die Schauspieler gegen alle, ein Sponsor, der seine Rechte geltend machen will und mit einer Minirolle befriedigt wird, Bühnen im Wettstreit um das Publikum – aber wenn’s hart auf hart kommt, hält die Herde der Theatertiere zusammen.

Apropos, Tiere: Dies der running gag im Stück – seit Curtain-Theatre-Prinzipal Burbage eigenmächtig bei einer Aufführung von „Zwei Herren aus Verona“ vor Königin Elizabeth den Hund Spot eingeführt hat, weil die Queen Vierbeiner liebt, wollen alle nur noch Stücke mit Hund haben. Bei Stoppard ist das Theater im Wortsinn auf den Hund gekommen, und Superautor Shakespeare selten Herr seiner selbst, seine gewiefteren Ideen – siehe Spot/Crab – haben in der Regel andere …

Auf die Bühne der Kammerspiele hat Ines Nadler die Andeutung eines elisabethanischen public playhouse gestellt, eine Konstruktion, die ein Spiel auf zwei Ebenen zulässt, sodass Szenen schnell ineinandergreifen können.

Herrlich anzuschauen sind die historisch anmutenden Kostüme von Frank Lichtenberg. In diesem Setting treten einander Dominic Oley als Will Shakespeare und Swintha Gersthofer als vom Theatervirus infizierte Viola De Lesseps/Thomas Kent gegenüber, und die beiden sind ein hinreißendes Liebespaar. Oleys Shakespeare, sowohl Intellektueller wie Romantiker, tänzelt beständig am Rande der (komischen) Verzweiflung und erweist sich als Dramatiker als erstaunlich durchsetzungsarm. Er wird von allen Seiten angetrieben und – da ist es wieder – von allen Hunden gehetzt. Gersthofer macht auf emanzipiert in einer Machowelt, ist aber in erster Linie schwer verliebt. In den Szenen, in denen die beiden „Romeo und Julia“ spielen, sind sie anrührend und sprachlich großartig, besser als manch andere in einer tatsächlichen „Romeo und Julia“-Inszenierung.

Der Theaterdirektor und sein Dramatiker: Siegfried Walther als Henslowe mit Dominic Oley. Bild: Astrid Knie

Königin Elizabeth und ihr Haushofmeister Tilney: Ulli Maier und Markus Kofler. Bild: Astrid Knie

Als Shakespeare beginnt Viola den Hof zu machen, tritt Christopher „Kit“ Marlowe auf den Plan. Von ihm nämlich, dem besseren Poeten, stammt in Wahrheit Sonett XVIII, „Soll ich dich einem Sommertag vergleichen?“, er sagt es Will unter Violas Balkon vor, wie Cyrano dem Christian einflüstert. Oliver Rosskopf gestaltet Marlowe als Draufgänger und Streithansl, mit ihm schwappt das Testosteron über die Bühne. Gesteigert nur von Claudius von Stolzmann als Schauspielstar Ned Alleyn, der sich seines Auftritts und seiner Wirkung bis in die blonden Haarspitzen bewusst ist. Er soll der Mercutio werden, und liefert eine filmreife Fechtsszene.

Siegfried Walther hat als schmuddeliger Rose-Theatre-Direktor Henslowe die Lacher auf seiner Seite. Köstlich, wie er, zunehmend erahnend, dass er für das falsche Stück bezahlt hat, in den Texten, die Shakespeare erst nach und nach aushändigt, 1. einen Schiffbruch, 2. Piraten, 3. einen Hund sucht. Als abgebrühten ebensolchem kann ihn immerhin nichts erschüttern. Egal was schiefgeht, Henslowe hat sein Theatermacher-Mantra: Alles wird gut werden durch ein Wunder.

Alexander Strömer ist in der Rolle von Henslowes stets wie aus dem Ei gepellten Konkurrenten Burbage zu sehen. Oliver Huether bekommt als Geldgeber Fennyman den Ein-Satz-Part des Apothekers: Sein Sinn wird leicht, die Börse auch. Nikolaus Barton ist ein brutaler, unsympathischer Adelspleitier Wessex, dem Viola zur Frau versprochen ist. Gelungen der John Webster von Marius Zernatto, quasi der erste Splatter-Fan, dem immer dann wohl ist, wenn auf der Bühne Köpfe rollen und Herzen durchbohrt werden. Dies ist umso witziger, wenn man weiß, was aus Webster geworden ist – ein Autor von düster-grausamen Theaterstücken. Markus Kofler hasst als rechthaberischer Haushofmeister Tilney das Theater und will alle schließen, wird aber von seiner Herrin zurechtgewiesen.

Haushofmeister Tilney schließt das Rose Theatre: Markus Kofler, Philip Kelz, Oliver Huether, Swintha Gersthofer, Siegfried Walther, Alexander Strömer und Dominic Oley; oben: Marius Zernatto. Bild: Astrid Knie

Diese, Königin Elizabeth, stattet Ulli Maier als Lookalike mit trockenem Humor aus. Mit einem halben Dutzend junger Männer im Schlepptau segelt sie übers Parkett, alle Kabalen durchschauend, aber doch nicht in das Leben der niederen Ränge eingreifend. Nichts fehlt an diesem „Shakespeare in Love“. Weder Nachtigall noch Lerche, weder Gift noch Dolch – und natürlich auch nicht die Amme, die Therese Lohner zur hantigen Beschützerin macht.

Am Ende ist ein Stück Weltliteratur fertig, und ist bewiesen, dass der Herzschmerz-geplagte Künstler der bessere ist. Es folgt: „Was ihr wollt“. „Shakespeare in Love“, dieses so subtile, saloppe Stück, macht auf seine komödiantische Art eines wieder einmal klar: Nämlich, warum da einer aus Stratford nach mehr als 400 Jahren immer noch Globe-ale Gültigkeit hat.

www.josefstadt.org

  1. 9. 2017