Albertina: Stadt-Land. Von Albrecht Dürer bis Paul Klee

März 2, 2021 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Ein Spaziergang durch 500 Jahre Landschaftsbild

August Macke: Frau mit Krug unter Bäumen, 1912. Albertina, Wien. Sammlung Forberg

Mit der Ausstellung „Stadt-Land. Von Albrecht Dürer bis Paul Klee“ lädt die Albertina ab 5. März zu einem Spaziergang durch Landschaftsbilder aus fünf Jahrhunderten. Von den Anfängen des autonomen Landschaftsbildes und seiner Bahnbrecher, allen voran Albrecht Dürer, spannt sich der Bogen über Bruegel, Rembrandt und das holländische Goldene Zeitalter, von Stadtpanoramen der Renaissance zu nahsichtigen Veduten, von utopischen Entwürfen arkadischer Landschaften bis zum

illusionslosen, realistischen Naturbild im Zeitalter der Industrialisierung, von den Bildern der Erhabenheit und des Sublimen bei Caspar David Friedrich über die Schreckensvisionen und Dystopien bei Alfred Kubin bis zu den Kinderträumen verspielter Natur bei Paul Klee. Schlüsselwerke der romantischen Landschaft und österreichische Aquarellkunst des 19. Jahrhunderts wie Jakob und Rudolf von Alts Wien-Ansichten runden die Ausstellung ab.

Alfred Kubin: Schlachthausruine, 1900. Albertina, Wien

Egon Schiele: Alte Häuser in Krumau, 1914. Albertina, Wien

Emil Nolde: Die Wintersonne, 1908. Albertina, Wien

Rembrandt Harmensz. van Rijn: Die ehemalige Kupfermühle auf der Weesperzijde, späte 1640er-Jahre. Albertina, Wien

Der Großteil der gezeigten Werke wurde vom Sammlungsgründer der Albertina, Herzog Albert von Sachsen-Teschen erworben, der sich insbesondere für bildhaft ausgeführte, großformatige Landschaftszeichnungen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts interessierte: Landschaften von Adrian Zingg und dessen Schülern sammelte er sowohl ihrer künstlerischen Qualität wegen als auch in Erinnerung an seine alte Heimat Sachsen. Vor allem in seinen letzten Lebensjahren konzentrierte sich Herzog Albert auf den Erwerb von Landschaften, von denen nun eine hochkarätige Auswahl präsentiert wird.

www.albertina.at

2. 3. 2021

Albertina und Albertina modern: Die Ausstellungen 2021

Januar 26, 2021 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Erstmals eine große Modigliani-Schau in Österreich / starke Frauen auf und  hinter Leinwand und Fotolinse

Xenia Hausner: Das blinde Geschehen, 2010. © Bildrecht, Wien, 2020

Das Ausstellungsjahr 2021 von Albertina und Albertina modern stellt Frauen mit zwei Personalen in den Vordergrund, bringt Modigliani erstmals nach Österreich, fasst ein halbes Jahrtausend Landschafts- und Stadtmalerei zusammen und zelebriert mit „The 80s. Anything Goes“ den wichtigsten Umbruch der Kunst in den vergangenen  50 Jahren. Die Albertina hat die Möglichkeit, dem Publikum aus ihren eigenen Beständen wunderbare Kunst zu zeigen“, so Direktor Klaus Albrecht Schröder.

„Ich möchte unseren Museumsbetrieb damit ein Stück unabhängig von den derzeitigen wechselnden Krisenszenarien machen. Die jahrelange Arbeit macht sich hier bezahlt, denn das Haus kann auch dann mit Kunst begeistern, wenn es unvorhergesehene Reiserestriktionen, Grenzschließungen und logistische Herausforderungen gibt.

Die erste Personale ist ab 30. April Xenia Hausner gewidmet. „Xenia Hausner ist eine der bedeutendsten zeitgenössischen Künstlerinnen des Landes. Nun, zu ihrem 70. Geburtstag zeigen wir eine eindrucksvolle, starke Personale dieser wunderbaren Malerin“, so Klaus Albrecht Schröder. In „True Lies“, kuratiert von Elsy Lahner, legt die Albertina den Schwerpunkt der Schau auf den Aspekt der Inszenierung, der die Werke von Xenia Hausner schon seit ihrer Zeit als Bühnenbildnerin auszeichnet. Die Ausstellung ist retrospektiv angelegt, beginnend mit den ersten frühen Arbeiten aus den 1990er-Jahren bis zu Hausners jüngster, bewegender „Exiles“-Serie, die von einer beklemmenden Aktualität ist.

Michela Ghisetti: Afua/Der Weg (Triptychon/Zweiter Teil), 2012. Albertina, Wien © Michela Ghisetti

Amedeo Modigliani: Liegender Frauenakt auf weißem Kissen, ca. 1917. Staatsgalerie Stuttgart. © bpk, Staatsgalerie Stuttgart

Ab 14. Oktober zeigt die Albertina als erstes Museum in Österreich Michela Ghisetti in einer umfassenden Mid-Career-Retrospektive, die von Antonia Hoerschelmann kuratiert wurde. Das Werk der 1966 im italienischen Bergamo geborenen und seit 1992 in Wien lebenden Künstlerin bewegt sich zwischen den Polen von Abstraktion und Hyperrealismus. Biografisch-emotionale verschwimmen mit philosophisch-kunsttheoretischen Elementen und einer Strenge, die in Humor übergeht.

Anlässlich seines 100. Todestages würdigt die Albertina ab 17. September den italienischen Maler und Bildhauer Amedeo Modigliani mit einer großen Retrospektive, die in mehrfacher Weise eine Premiere darstellt. Die von Marc Restellini zusammengestellte Ausstellung bringt Modigliani zum ersten Mal nach Österreich. Gezeigt werden seine berühmten Akte und außergewöhnlichen Porträts sowie einige seiner wenigen erhaltenen Skulpturen. Weiters zeigt Kurator Restellini, der auch Autor des Oeuvre-Katalogs Modiglianis und jahrzehntelanger Modigliani-Forscher ist, den großen Künstler erstmals als einen der führenden Avantgardisten, der die Revolution des Primitivismus bis weit ins 20. Jahrhundert hinein trug: als Gegenspieler von Picasso.

Überfluss an Stilen und Storys: David Salle: Room with blue statue, 1986. Alberina, Wien – The Essl Collection

In der Albertina modern führt ab 10.Oktober die große Herbstausstellung The 80s. Anything Goes vor Augen, wie Kunstschaffende in den 1980er-Jahren die Kunst neu definieren. Die 1980er sind eine Zeit visuellen Überflusses, individueller Stile und unendlicher Geschichten. Es ist eine Kunst, die überwältigen will. Der Verlust der Unmittelbarkeit durch eine sich zunehmend virtualisierende Welt, spiegelt sich in der Kunst von Sherrie Levine oder Cindy Sherman deutlich wider. Die zentralen Namen des Jahrzehnts – Jeff Koons, Jean-Michel Basquiat, Keith Haring und Julian Schnabel – finden sich neben noch zu entdeckenden wie Jack Goldstein, Isolde Joham und Julia Wachtel.

Die Fotoausstellungen

Zu sehen sind auch drei Fotoausstellungen. Den Beginn macht ab 12. Februar Faces in der Albertina: Aufgezeigt wird hier der richtungsweisende Wandel, den die Porträtfotografie im Deutschland der Zwischenkriegszeit erfuhr. In den 1920er- und 30er-Jahren wird das Verständnis des klassischen Porträts erneuert: Aufnahmen dienen nicht mehr der Darstellung der Persönlichkeit eines Menschen, sondern fassen das Gesicht als inszenierbares Material auf, als Spiegel des Standes und der politischen Haltung … mehr: www.mottingers-meinung.at/?p=43548

Intime Aufnahmen von Ehefrau Yoko: Nobuyoshi Araki: Sentimental Journey, 1971. © Nobuyoshi Araki

Faces: Max Burchartz: Lotte (Auge), 1928. Museum Folkwang, Essen © Bildrecht, Wien 2020

Araki, zu sehen ab 28. Mai in der Albertina modern widmet sich einem der beeindruckendsten zeitgenössischen Fotografen Japans, Nobuyoshi Araki. Chefkurator Walter Moser stellt Arakis grandiose und einflussreiche Serie „Sentimental Journey“, entstanden von 1971 bis 2017bins Zentrum der Ausstellung: In dem langjährigen Projekt erhebt er mittels schnappschussartiger und unverblümter Fotos seiner Frau Yoko das eigene Leben zum Thema. Vergleichbar mit einem Tagebuch zeigen die intimen Bilder die Flitterwochen, das Zusammenleben des Paares und den frühen Tod Yokos. Sämtliche Werke stammen aus der Stiftung Jablonka, die der Sammler vergangenes Jahr der Albertina übergeben hat.

Joel Sternfeld: Staatlicher Campingplatz im Red Rock Park, Gallup, New Mexico, September, 1982. Alberina, Wien – Dauerleihgabe Öster. Ludwig-Stiftung für Kunst und Wissenschaft © Courtesy of the artist and Buchmann Galerie, Berlin 2019

Ab 16. Juni lädt American Photography zu einem kritischen Blick auf den „American Dream“ ein. Eindrückliche Porträts halten der Gesellschaft auf humorvolle wie kritische Weise einen Spiegel vor. Raffinierte Farbaufnahmen der Konsumkultur wechseln sich mit dynamisch aus der Hüfte geschossenen Street-Fotos der Metropolen ab. Diese Ausstellung ist mit mehr als 200 der bedeutendsten amerikanischen Fotografinnen und Fotografen von Lisette Model, William Eggleston über Diane Arbus bis zu Lewis

Baltz und Gregory Crewdson die größte Fotoausstellung in der Geschichte der Albertina. Die wichtigen Bestände amerikanischer Fotografie des Hauses werden um zentrale Hauptwerke aus einer der bedeutendsten Privatsammlungen der Welt ergänzt, jener von Trevor Traina, der auch als Botschafter in Wien gewirkt hat.

Das diesjährige Albertina-Programm bietet also trotz der Umstände spannende Highlights. Der künftige Qualitätserhalt heimischer Kultur sei aber auch von mehr Planungssicherheit abhängig, so Schröder: „Was wir brauchen, ist mehr Klarheit und Antworten auf mögliche Szenarien. Im Wochenrhythmus wechselnde Strategien der Gesundheitsbehörden verunsichern unser Publikum. Mir ist es wichtig, dass die Menschen keine Angst davor haben müssen, Kultureinrichtungen zu besuchen. Ich befürchte, die Strategie eines ‚Freitestens‘ für den Kulturbetrieb wird viele Menschen davon abhalten, Kulturveranstaltungen zu besuchen. Ich bin froh, dass das Tragen einer FFP2-Maske für die Museen als sicher erachtet wurde. Letztlich wäre dies mit limitierten Besucherkontingenten aber auch eine Lösung für andere Kulturbereiche“, so Schröder.

Video: www.youtube.com/watch?v=IM0OGOxpyVQ          www.albertina.at

26. 1. 2021

Systemsprenger

September 26, 2019 in Film

VON MICHAELA MOTTINGER

Lauter Schrei nach Liebe

Pflegefamilien, Wohngruppen, Sonderschule – Benni fliegt wegen ihrer aggressiven, unberechenbaren Art überall raus: Helena Zengel. Bild: © Yunus Roy Imer

Wenn dieses Mädchen pink sieht, hat das nichts mit einer Barbie-Puppen-Welt zu tun. Grelles Rosa durchströmt Bennis Kopf, wenn sie einen ihrer Ausraster hat. Dann tobt die zierliche Neunjährige, schlägt – sogar nach Erwachsenen -, attackiert Gleichaltrige bis deren Blut fließt, schmeißt mit Tretautos, bis selbst Sicherheitsglas birst. Die Bobbycars, die in einer der ersten Szenen durch die Luft fliegen, sind als Synonyme für eine

glückliche Kindheit und eine frühe Zugehörigkeit zur Konsumgesellschaft gleichsam Bennis Feindbild. Derlei ist ihr nämlich verwehrt. Pflegefamilien, Wohngruppen, Sonderschule: Alles hat sie schon hinter sich, und überall fliegt sie wegen ihrer aggressiven, unberechenbaren Art wieder raus. Benni ist das, was man beim Jugendamt einen „Systemsprenger“ nennt.

Am 27. September kommt Nora Fingscheidts Film in die Kinos. Die Regisseurin und Drehbuchautorin hat für dies Debüt, das auf der Berlinale einen Silbernen Bären gewann und als deutscher Bewerber für den Auslands-Oscar eingereicht wurde, intensiv recherchiert. „Systemsprenger“, erklärt sie, „sind Kinder mit unglaublicher Kraft und Ausdauer. Aber sie sind tragische Figuren, weil sie so früh schon Schlimmes erleben müssen, im schlimmsten Fall gewalttätige Jugendliche werden, und als nunmehr ,Täter‘ ihre Chancen für die Zukunft aufs Spiel setzen.“ Auch bei Benni ist nur der Rucksack mit ihren paar Habseligkeiten leichtes Gepäck, der emotionale Ballast samt Trauma aus der Babyzeit wiegt schwer. Und wenn ihr die Wut der Verzweiflung gar unkontrollierbar hochkommt, landet die Außenseiterin in der Kinderpsychiatrie, von Medikamenten „ruhiggestellt“ und im Bett fixiert.

Wie also mit „Problemkindern“ wie Benni umgehen?, ist die Frage, die Fingscheidt stellt. Ganz klar ist Bennis Verhalten ein lauter Schrei nach Liebe. Nichts möchte sie mehr, als zurück zu ihrer Mutter. Doch die hat keinen Job, noch zwei kleinere Kinder und einen cholerischen Partner. Einmal sagt diese von Lisa Hagmeister fulminant dargestellte labile Frau, dass sie sich vor ihrer Ältesten fürchtet. Allein ihr Girlie-Look bei gleichzeitig gehetztem Aussehen lassen diese Bianca Klaaß auf nur einen Blick als „dysfunktional“ erscheinen. Immer wieder macht sie Rückzieher, was Bennis Nachhausekommen betrifft. Das System indes versucht den schwierigen Fall wegzuorganisieren – nach Kenia, zu einem „Intensivprojekt“ …

Bianca Klaas ist völlig überfordert mit ihrer Tochter: Lisa Hagmeister und Helena Zengel. Bild: © Yunus Roy Imer

Frau Bafané vom Jugendamt versucht das Menschenunmögliche: Gabriela Maria Schmeide und Helena Zengel. Bild: © Yunus Roy Imer

Dass „Systemsprenger“ trotz dieser inhaltlichen Voraussetzungen nicht zum Sozialdrama wird, liegt an einer seltsamen Poesie, die Fingscheidt als Folie über ihren Film legt. Der bis dato Dokumentarfilmerin geht es nicht um Analyse, sondern darum, für Bennis extreme Gefühlswelt beim Zuschauer Mitgefühl zu erzeugen. Den größten Anteil am Gelingen dieser Unternehmung hat Helena Zengel, mit elf Jahren schon ein Profi vor der Kamera, und eben erst für eine Hauptrolle in Paul Greengrass‘ Western „News Of The World“ engagiert, die sie an der Seite von Tom Hanks absolvieren wird.

Wie diese junge Schauspielerin mit einer jede Minute neu explodierenden Energie die Benni verkörpert, ist einfach phänomenal. Zengel changiert zwischen Frechheit und Fragilität, zwischen Tragi- und -komik, wenn sie das gibt, was man auf Wienerisch ein Rotzmensch nennt. Zum Herzbrechen traurig ist ihr ausdrucksloses Gesicht, wenn sie unter Drogen gesetzt auf Station liegt. Beängstigend wirkt ihr zuckender Körper, wenn sie ein anderes Kind krankenhausreif prügelt.

Dazu Bennis Gebrüll: „Ich hasse euch!“, „Fick dich!“ oder „Arschloch“. Es ist, als würde man in ein chirurgisch freigelegtes Nervensystem schauen, während Bennis Synapsen den immer gleichen Ablauf signalisieren: Versuch einer Kooperation, Verkettung von Konfliktsituationen, katastrophaler Ausbruch. Kein Wunder, dass sich auch Kameramann Yunus Roy Imer von dieser Performance mitreißen ließ. In oftmals hektischen Bildern überträgt er das Feuer der elfenhaft blonden Berserkerin auf die Leinwand. Auf eine Reihe schneller Sequenzen folgen – je nach Bennis Stimmung – Sekunden der Ruhe, bis Imer seine Arbeit in farbgedimmten Erinnerungs- oder Fantasiefetzen auflöst, dazu auf der Tonspur hämmernder Punk. In diesem sensuellen Akt, den Betrachter auf Augenhöhe mit der gequälten, also quälenden Benni zu bringen, liegt die Stärke von „Systemsprenger“.

Micha, eigentlich Anti-GewaltTrainer für straffällige Jugendliche, setzt auf eine ungewöhnliche Therapie: Albrecht Schuch und Helena Zengel. Bild: © Yunus Roy Imer

Rund um Benni zeigt Fingscheidt die engagierten Selbstaufopferer im Sozialbereich. Die großartige Gabriela Maria Schmeide als warmherzige Frau Bafané vom Jugendamt sucht mit viel persönlichem Einsatz und übers Menschenmögliche hinaus nach einer dauerhaften Bleibe für Benni, droht aber mit jeder zugeworfenen Tür mehr zu resignieren. Schließlich jedoch wagt die Windmühlenkämpferin, an der

ersichtlich wird, dass Benni auch bei ihren Umarmungen überreagiert, ein letztes Experiment und engagiert Micha, eigentlich ein Anti-Gewalt-Trainer für straffällig gewordene Jugendliche, den Albrecht Schuch zumindest anfangs mit stoischer Gelassenheit ausstattet. Auf seinen Vorschlag hin, fährt er mit Benni für einige Wochen in seine Waldhütte, wo sie – ohne Strom, heißt: ohne Fernsehen und Computerspiele -, in der Stille ein wenig Frieden finden soll. Der Nachbarsbauer hat dazu eine deutliche Meinung: „Statt die Kinder zu erziehen, machen Sie mit ihnen Halligalli, und ich zahl‘ auch noch mit meinen Steuergeldern dafür.“

Nach anfänglichem Widerstand lässt Benni sich auf Micha ein, doch der sonst so toughe Typ kommt in der Begegnung mit dem Mädchen an seine Grenzen. Wie sich da in Albrecht Schuchs Antlitz die Erschütterung ob dieses Kinderschicksals widerspiegelt, ist anrührend. Alsbald ist ihm klar, dass er seine professionelle Distanz verliert, aber nichtsdestotrotz lässt er Benni in seinem Haus übernachten, für die zutiefst verstörte Herumgestoßene ein Vater-Mutter-Kind-Paralleluniversum, in dem sie in aller Früh – Atemstockmoment – Michas Baby aus dem Gitterbett nimmt …

„Systemsprenger“ ist ein einfühlsamer Film, der sich mit einer sorgfältig erzählten Geschichte und eindrucksvoller eigener Handschrift eines wichtigen Themas annimmt. Wobei Fingscheidt der zunehmenden Vereisung zwischenmenschlicher und gesellschaftlicher Beziehungen, die der internationale Autorenfilm so gern darlegt, die Überhitzung ihrer jugendlichen Protagonistin entgegenhält. Fingscheidt veranschaulicht, dass ein Kind, das nie Sicherheit erfahren hat, nicht von Erziehungsprofis aufgefangen werden kann, die ihm ständig Trennungen zumuten. In der schmerzlichsten Szene des Ganzen will Benni, mit Micha auf einen Berg gewandert, ein Echo erzeugen und ruft „Mama! Mama! Mama!“ gegen die gegenüberliegende Felswand. Doch nichts kommt zurück. Da fährt Fingscheidt volles Risiko: Happy End ist was für Weicheier, und Nina Simone singt „Ain’t got no home …“

 

www.systemsprenger-film.de

  1. 9. 2019

Albertina: Albrecht Dürer

September 14, 2019 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Spektakuläre Schau übers Renaissance-Genie

Albrecht Dürer: Feldhase, 1502. © Albertina, Wien

Seit Jahrzehnten war das Werk Albrecht Dürers nicht in dieser Fülle zu erleben: Die Albertina ist Heimat zahlreicher weltweit bekannter Ikonen der Zeichnung, darunter der „Feldhase“, die „Betenden Hände“ und das „Große Rasenstück“.

Eine um wertvolle internationale Leihgaben ergänzte Ausstellung präsentiert ab 20. September mit mehr als 200 Exponaten Dürers zeichnerische, druckgrafische und malerische Werke.

Mit mehr als 100 Zeichnungen, einem Dutzend Gemälde, persönlichen Aufzeichnungen und anderen seltenen Dokumenten wird das Werk des Renaissance-Genies umfassender gezeigt als jemals zuvor.

Mit nahezu 140 Arbeiten besitzt die Albertina den weltweit bedeutendsten Bestand an Zeichnungen Albrecht Dürers. Die Sammlungsgeschichte seines Œuvres in der Albertina ist von besonderer Bedeutung: Seine Provenienz lässt sich lückenlos bis ins Jahr 1528 zurückverfolgen, und bildet damit ein seit fast 500 Jahren geschlossen erhaltenes Konvolut aus Dürers Werkstatt. Die Sammlung bietet daher wie keine andere den idealen Ausgangspunkt, um sich auch seiner persönlichen, vom Gedankengut des frühen Humanismus geprägten Kunstauffassung zu nähern.

Albrecht Dürer: „Mein Agnes“ (Agnes Dürer), 1494. © Albertina, Wien

Albrecht Dürer: Selbstbildnis als Akt, um 1499. Bild: Weimar, Klassik Stiftung © Klassik Stiftung Weimar

Für die Jahrhundertausstellung konnte die Albertina bedeutende internationale Leihgaben gewinnen: „Die Anbetung der Könige“ aus den Uffizien, das erschütternde und schonungslose Selbstbildnis des nackten Albrecht Dürer aus Weimar, „Die Marter der Zehntausend“ aus dem Kunsthistorischen Museum Wien, „Jesus unter den Schriftgelehrten“ aus dem Museum Thyssen-Bornemisza und aus dem benachbarten Prado Dürers wohl schönstes Männerporträt. Sein malerisches Spätwerk der letzten niederländischen Reise, den „Heiligen Hieronymus“, präsentiert die Albertina mit allen dazugehörigen Studien.

Albrecht Dürer: Bildnis eines 93-jährigen Mannes, 1521. © Albertina, Wien

Albrecht Dürer: Betende Hände, 1508. © Albertina, Wien

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Dürer-Spezialist und Kurator der Ausstellung, Christof Metzger, hat in den vergangenen Jahren den Bestand der Albertina, dem weltweit bedeutendsten an Dürer-Zeichnungen und -Aquarellen, einer Neubewertung unterzogen. Am überraschendsten sind seine Überlegungen zu den großen Naturstudien der ersten Jahre des 16. Jahrhunderts – der „Feldhase“ oder das „Große Rasenstück“ – und zu den Hell-Dunkel-Studien auf farbigen Papieren, wie etwa die berühmten „Betenden Hände“, die allesamt an die Grenze des mit Feder und Pinsel Machbaren führen. Sie sind Demonstrationsstücke, die jedem Besucher in Dürers Atelier die vollendeten zeichnerischen und malerischen Fähigkeiten des Meisters unter Beweis stellten. Nicht Vor-Studien sind sie, sondern autonome Bilder, Virtuosenstücke, die das stupende Können des Meisters und die geistige Tiefe seiner Naturauffassung demonstrieren.

www.albertina.at

14. 9. 2019

KHM: Edmund de Waal trifft Albrecht Dürer

Oktober 11, 2016 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Die Ausstellung mit dem anderen Hasen

Hase mit den Bernsteinaugen, Netsuke. Bild: © Michael Harvey

Hase mit den Bernsteinaugen, Netsuke. Bild: © Michael Harvey

2012 begann das Kunsthistorische Museum eine neue Ausstellungsreihe, zu der international renommierte Künstler eingeladen werden, um ihre jeweilige persönliche Auswahl von Objekten aus den Sammlungen des Hauses zu präsentieren. Die erste Schau, „The Ancients Stole All Our Great Ideas“, wurde im selben Jahr vom amerikanischen Künstler Ed Ruscha konzipiert. Für die zweite Ausgabe konnte der englische Künstler und Autor Edmund de Waal als Kurator gewonnen werden.

Im Laufe der vergangenen drei Jahre hielt sich de Waal wiederholt in Wien auf, um eine Vielzahl an Objekten sowohl in den Ausstellungsräumen als auch in den Depots des Kunsthistorischen Museums persönlich in Augenschein zu nehmen.

Die von ihm getroffene Auswahl, die er, zu sehen ab 11. Oktober, unter dem Titel „During the Night“ zusammengestellt hat, beginnt mit der 1525 entstandenen bildlichen Wiedergabe eines Albtraums von Albrecht Dürer, die in einem zur Sammlung der Kunstkammer gehörenden Buch aufbewahrt wird. Weitere Darstellungen von Traum, Angst, Disharmonie, Unruhe und dem Augenblick zwischen Schlafen und Wachen hat de Waal den Beständen der Gemäldegalerie, der Kunstkammer, der Antikensammlung, der Bibliothek, der Sammlung alter Musikinstrumente, der Kaiserlichen Schatzkammer und der Kunstkammer von Schloss Ambras in Innsbruck entnommen.

Vanitas-Köpfe /Memento Mori: Deutsch, 1. Hälfte 17. Jahrhundert. Bild: © KHM-Museumsverband

Vanitas-Köpfe / Memento Mori. Bild: © KHM-Museumsverband

Ausstellungsansicht. Bild: © KHM-Museumsverband

Ausstellungsansicht. Bild: © KHM-Museumsverband

Manches davon wird den Besuchern vertraut sein, anderes weniger. Darüber hinaus sind in der Schau vier Objekte aus dem Naturhistorischen Museum Wien zu sehen sowie ein von de Waal eigens für die Ausstellung in Wien neu geschaffenes Werk. Das Netsuke „Hase mit den Bernsteinaugen“, berühmt geworden durch seinen gleichnamigen Bestseller, wird ebenfalls ausgestellt sein und ist so erstmals seit 1945 wieder in Wien.

www.khm.at

Wien, 11. 10. 2016