Filmfestival der Menschenrechte: this human world

November 30, 2015 in Film

VON MICHAELA MOTTINGER

Fünf Tipps aus dem umfangreichen Programm

How To Cross from Jiliz to Jiliz Bild: © Sona & Marina Kocharyan

How To Cross from Jiliz to Jiliz
Bild: © Sona & Marina Kocharyanrogramm

Von 3. bis 11. Dezember findet in Wien wieder das Internationale Filmfestival der Menschenrechte „this human world“ statt. Es präsentiert an neun Festivaltagen und in fünf Spielstätten ein Kino, das nahe an der gesellschaftlichen Wirklichkeit ist, aktuelle Konflikte verhandelt, politisch und sozial Stellung bezieht. Nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern einfühlsam, aufrüttelnd und bisweilen auch humorvoll.
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Gezeigt werden mehr als 70 Spiel- und Dokumentarfilme, dazu gibt es Publikumsdiskussionen, Konzerte und eine Nightline. „this human world“ öffnet mit Filmen von Südeuropa – bestürzend etwa die Doku „River Memories“ über Italiens größtes Elendsviertel bei Turin – bis Skandinavien den Blick für die Armut vor der eigenen Haustüre, auf ein Europa, in dem Menschen durch Arbeitslosigkeit, Wohnungskrise oder bankrotte Sozialsysteme zunehmend verarmen. Mit Projekten wie „Those Who Feel the Fire Burning“ werden die Umstände erklärt, die Menschen zur Flucht aus ihrer Heimat zwingen, Schattenökonomien und Grenzpolitiken, die lebensgefährlichen Wege der Fliehenden und ihr beschwerliches Fußfassen in der Fremde, die sich allzu oft als neue Heimat verweigert. Es gibt Kino aus Lateinamerika, Georgien und Armenien, und wie schon im Vorjahr den Off-Porno-Programmschwerpunkt „Every Time We Fuck We Win 2!“
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Die Programmtipps:

4. Dezember, Top Kino: How To Cross from Jiliz to Jiliz (Armenien, 2014); es gibt ein Dorf, das heißt Jiliz. Durch Jiliz fließt ein Bach, aber dieser Bach ist nicht nur ein Bach, er ist auch die Grenze zwischen Armenien und Georgien. Die kleine Lousine und ihr Bruder leben an einem Ufer, ihre Großeltern am anderen. Um zu ihnen zu gelangen, müssen sie mehr als 100 Kilometer zum nächsten Grenzübergang fahren und dann auf der anderen Seite wieder zurück. Der Bub hat seine Großeltern noch nie gesehen. Auch Lousine kennt sie kaum. Deshalb beschließt das Mädchen, sich auf den Weg zu machen. Ein Film von Sona und Marine Kocharyan über die Absurdität von Grenzen und darüber, welche Auswirkungen diese auf das Leben von Menschen haben können. Trailer: www.youtube.com/watch?v=XYFJFPheyEA

7. Dezember, Top Kino: Hope (Frankreich, 2014); der Weg vom Golf von Guinea durch die Sahara bis zum Tor Europas an der marokkanischen Küste ist weit und gefährlich. Als die junge Nigerianerin Hope nachts in der Wüste zurückgelassen werden soll, hilft ihr Léonard aus Kamerun. In einer Welt, in der brutale Willkür und der tägliche Kampf ums Überleben herrschen, entwickelt sich aus der Zwangsgemeinschaft der beiden eine fragile Liebesbeziehung, die dem feindseligen und erbarmungslosen Leben auf der Flucht entgegenhält. Das Spielfilmdebüt des Dokumentarfilmregisseurs Boris Lojkine bietet ein beeindruckend realitätsnahes Bild einzelner menschlicher Schicksale an den Grenzen der „Festung Europa“. Lojkine lernte sowohl Haupt- als auch Nebendarsteller von „Hope“ auf deren eigener Flucht kennen. Im Anschluss an die Vorstellung gibt es ein Gespräch mit Autor Emmanuel Mbolela über dessen Buch „Mein Weg vom Kongo nach Europa. Zwischen Widerstand, Flucht und Exil“. Trailer: www.youtube.com/watch?v=Fycw0Q0ahlo

7. Dezember, Top Kino: Tell Spring Not To Come This Year (Großbritannien/Afghanistan, 2015); der Alltag der neu formierten Einheit der Afghanischen Armee (ANA) ist gefährlich, hart und beschwerlich. Die Soldaten sind schlecht ausgerüstet, kassieren unregelmäßig Sold und sind desillusioniert. Der Dokumentarfilm „Tell Spring Not To Come This Year“ von Saeed Taji Farouky und Michael McEvoy folgt den afghanischen Soldaten abseits und während ihrer Einsätze. Er zeigt sie auf dem Schlachtfeld und in ihrer Unterkunft. Kommentare aus dem Off konterkarieren das Gesehene und geben Aufschluss über persönliche Motive, Hoffnungen und Ängste der Männer. Dem Film gelingt es, einen schonungslosen Blick auf den Krieg aus der Perspektive von Afghanen zu werfen und die Wirren des bewaffneten Konflikts zu illustrieren. Trailer: vimeo.com/115809611

8. Dezember, Top Kino: In the Sands of Babylon / That Remal Babyl  (Irak, 2013); 1991: Das Ende des Zweiten Golfkrieges. Ibrahim, ein irakischer Soldat, ist nach dem Rückzug der irakischen Armee aus Kuwait zur Flucht gezwungen. Auf dem Weg in die Heimat gerät er in die Hände der Soldaten Saddam Husseins. Des Verrats bezichtigt, wird er inhaftiert. Trotz seiner Unschuld beginnt für ihn wie auch für seine Mithäftlinge ein Gefängnisalltag, der von Folter geprägt ist. 2013: Auf der Suche nach Antworten spricht Regisseur Mohamed  Al-Daradji mit Überlebenden des nahezu vergessenen Aufstandes gegen das Baath-Regime. Durch die Verbindung von nachinszenierten Spielfilmsequenzen und Interviews gelingt es ihm, im Nachfolgewerk seines Films „Son of Babylon“, der 2010 bei „this human world“ gezeigt wurde, ein eindrückliches Bild von den Folter- und Repressionsmethoden, mit denen gegen Regimegegner im Irak in den 1990ern vorgegangen wurde, zu zeichnen. Trailer: www.youtube.com/watch?v=Tn6gkX0kJ8s

10. Dezember, Schikaneder: Das andere bessere Leben / Drugi Bolji Zivot (Österreich, 2015) von Saša Barbul und Philomena Grassl porträtiert den täglichen Überlebenskampf einer serbischen Roma-Familie. Die Protagonisten erzählen von ihrem Alltag, der korrupten Minderheitenpolitik und dem geplatzten Traum vom Asyl in Deutschland. Idylle und Elend, Stolz und Apathie liegen nah beieinander. Die scheinbare Zeitlosigkeit des Ortes wird durch das bedrohliche Szenario der Vertreibung und Entwurzelung durchbrochen.

www.thishumanworld.com

Wien, 30. 11. 2015

Das Ateliertheater sperrt zu

November 25, 2015 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Trotz Nominierung für den Nestroy-Preis 2015

Benjamin Vanyek Bild: Ateliertheater

Benjamin Vanyek
Bild: Ateliertheater

Das Ateliertheater schließt Ende Dezember, das ließ Nina C. Gabriel in einer Aussendung wissen. Bis dahin gibt es noch einige ausgezeichnete Aufführungen zu sehen.

Darunter „Kafka’s Affe oder Die Hochzeit des Tieffalls“ am 26. und 27. November, eine Gabriel-Inszenierung, für die Schauspieler Benjamin Vanyek in der Kategorie Bester Nachwuchsdarsteller beim diesjährigen Nestroy-Preis nominiert war.

Peter Michael Lingens schrieb dazu im profil: www.profil.at/meinung/peter-michael-lingens-elend-buehnen-5556137. Gezeigt wird auch noch Gerti Drassl in „Die schöne Magelone“ am 20. Dezember. Alle Termine:

www.ateliertheater.net

Wien, 25. 11. 2015

KosmosTheater: clownin 2015

November 19, 2015 in Tipps

VON MICHAELA MOTTINGER

Drei Tipps fürs Internationale Clownfrauenfestival

Bild: Claudia Cantone

Bild: Claudia Cantone

Ab 27. November bringen die besten Clownfrauen der Welt wieder Witz nach Wien. Im KosmosTheater findet zum nunmehr fünften Mal die „clownin“ statt. An neun Festivaltagen mit insgesamt dreizehn Vorstellungen sind Clownfrauen aus Frankreich, Italien, Schweden, Österreich, Spanien, Türkei, Australien, Brasilien, Argentinien, USA, Kanada, Russland und Japan zu erleben.

Eröffnet wird am 27. November bereits traditionell mit einem Überraschungsprogramm. An den Folgetagen stehen Highlights aus aller Welt auf dem Programm: der „clownin“ ist es gelungen, das mehrfach preisgekrönte Stück „One day in the life of Miss Hiccup“ von Shoshinz aus Tokyo nach Österreich zu bringen – clowneske Unterhaltung der großen japanischen Clownfrau Yanomi mit Schluckauf. Auf dem Programm steht endlich auch das wunderbar berührende Stück „Pelo Cano“ aus Sao Paulo, Brasilien, mit Paola Musatti und Vera Abud. Die französische Clownin Colette Gomette wird unfreiwillig zur neuen Präsidentschaftskandidatin gewählt, was angesichts der politischen Lage nur erfreulich sein kann. Lily Curcio  vom Seres de Luz Teatro spielt den Clownklassiker der großen italienischen Clownfamilie Colombaioni, „Spaghetti“, diese Meisterrolle wurde ihr von den Colombaionis selbst übertragen. Mit dabei als Gast ist Vanderleia Will, die 2013 den Status „lebendes brasilianisches Kulturerbe“ für ihre Clownfigur Dona Bilica erhalten hat.

Die Tipps:

Am 28. November sucht die Clownin Süper die ideale Frau – İdeal Kadın: Die Istanbulerin Neslihan Arol steckt hinter dieser Figur, ihre Arbeit ist erstmals außerhalb der Türkei zu sehen. Für Süper ist alles spielend leicht: Auf einer leeren Bühne mit ein bisschen Krimskrams wie in einem Gemischtwarenladen, vollführt sie ihre Kunststücke. Sie hat einen Hut voll verschiedenster Frauenvorstellungen. Das Publikum darf Zettel ziehen und schon verwandelt sich Süper in die ideale Bitch, ideale Mutter oder ideale Feministin. Natürlich darf man das alles sehr ernst nehmen. Ein Stück ohne Worte.

Am 29. November folgt Claudia Cantone mit L’Alloggio Segreto, Das geheime Hinterzimmer, einer Clownshow, die auf dem Tagebuch der Anne Frank basiert. Die Geschichte wird ohne Worte erzählt, die Geschehnisse, auch die allerschrecklichsten, werden mit der Sanftheit und Unschuld eines Kindes oder eben eines Clowns dargestellt. Themen wie erzwungene Einsamkeit und die Entdeckung der eigenen Persönlichkeit prägen den Abend, der verdeutlicht, wie man Kreativität und Humor als überraschende Waffe einsetzen kann, um in Extremsituationen zu bestehen. Ein feines, tiefsinniges Stück. Cantone, ehemals 17 Jahre Polizistin in Rom, ist ein gewagtes Experiment gelungen.

Am 1. Dezember zeigen die Kanadierinnen Morro and Jasp Of Mice and Morro and Jasp  in englischer Sprache. Morro and Jasp spüren die Auswirkungen der jüngsten Wirtschaftskrise und die Kürzungen der Förderungen in der darstellenden Kunst und beschließen, um über die Runden zu kommen, John Steinbecks klassische Novelle „Von Mäusen und Menschen“ in Angriff zu nehmen. Wenn man von der Komödie nicht leben kann, dann vielleicht von der Tragödie. Die verzweifelten Clown-Schwestern versuchen, sich an die Geschichte zu halten – aber werden es beide überleben? Steinbecks wirtschaftskritischer Roman verwandelt sich in ein interaktives Clownstück, heute aktueller denn je.

www.kosmostheater.at

Wien, 19. 11. 2015

Buch Wien 15: Die Lesefestwoche startet am 9. November

November 4, 2015 in Buch

VON RUDOLF MOTTINGER

Ein Ratgeber durch den Messedschungel

Buch Wien Bild: © LCM Richard Schuster

Buch Wien
Bild: © LCM Richard Schuster

Freunde sucht man sich sorgfältig aus. Das gilt auch für Bücher. Denn Bücher sind Freunde und lebenslange Wegbegleiter. Bei der Buch Wien 15 vom 11. bis 15. November hat man die Gelegenheit, Autorinnen und Autoren live zu erleben, wenn sie aus ihren aktuellen Romanen und Sachbüchern lesen, bei den mehr als 350 Ausstellern in alten und neuen Büchern zu schmökern oder das umfassende Rahmenprogramm (auch für Kinder und Jugendliche) zu nutzen. Mehr als 450 Lesungen, Diskussionen und Performances stehen bei Österreichs größtem Bücherfestival auf Programm.

Wie in den vergangenen Jahren besteht die Buch Wien aus drei Eckpfeilern: Der Internationalen Buchmesse vom 12. bis 15. November in der Halle D der Messe Wien, der Langen Nacht der Bücher am 11. November (19.30 bis 24 Uhr) ebenfalls in der Halle D und der Lesefestwoche vom 9. bis 15. November an 39 Veranstaltungsorten in ganz Wien.

Neu: Auf einem Gemeinschaftsstand der Antiquare kann man sich von der Leidenschaft für antiquarische Bücher anstecken lassen. Alle am Stand ausgestellten Objekte sind verkäuflich. Man kann aber auch die eigenen Bücherschätze mitbringen, vor Ort beraten  erfahrene Antiquare, ob sich ein Verkauf lohnt (Do. bis So. von 15 bis 17 Uhr). Ein Schwerpunkt der Buch Wien 15, die von Adolf Muschg eröffnet wird, ist der Verständigung zwischen den Kulturen und dem Bereich „politisches Sachbuch“ gewidmet. Von Colin Crouch und Tomáš Sedláček bis hin zu Orlando Figes, Ahmad Mansour und Jörg Baberowski diskutieren internationale Stars über aktuelle Fragen der Zeit. Im Rahmen des Festivals wird der mit 10.000 Euro dotierte Ehrenpreis des Österreichischen Buchhandels 2015 an den Autor und Historiker Doron Rabinovici verliehen.

Sechs Tipps, die Lust aufs Lesen machen:

Feridun Zaimoglus Siebentürmeviertel führt ins Istanbul der 1930er Jahre und mitten hinein in eine fremde, faszinierende Welt, in der sich ein deutscher Junge behaupten muss. Eine Familiensaga der besonderen Art (10. 11., 19 Uhr, Literaturhaus Wien). Alexander Nitzberg liest aus dem von ihm übersetzten Buch Das fahle Pferd von Boris Sawinkow, einem zum Tode verurteilten Terroristen, der unter anderem für die Ermordung des zaristischen Innenministers Plehwe 1904 mitverantwortlich war (10. 11., 19 Uhr, Literaturbuffet Lhotzky). Drago Jančar greift in seinem Roman Die Nacht, als ich sie sah einen zeitgeschichtlichen Stoff auf. In einer Nacht, kurz nach Neujahr 1944, führt eine Gruppe von Tito-Partisanen Veronika Zarnik und ihren Mann aus einem slowenischen Schloss ab, von da an verliert sich die Spur der beiden (12. 11., 19 Uhr, Alte Schmiede).

Im dritten Band seiner Trilogie über die Suche nach dem einzig Gerechten beschreibt der ukrainische Autor Andrej Kurkow in Die Kugel auf dem Weg zum Helden mit absurdem Witz und unerwarteten Wendungen die Aufbaujahre einer fantastischen Sowjetunion. Er erzählt von geplatzten Träumen, unbeugsamen Menschen, enttäuschtem Fortschrittsglauben, unhinterfragten Heldenmythen – und von ganz großen Abenteuern (13. 11., 19 Uhr, Hauptbücherei am Gürtel). Der britische Historiker Orlando Figes legt mit Hundert Jahre Revolution eine informative Geschichte Sowjet-Russlands vor – von den Wurzeln des Bolschewismus bis zum Putsch gegen Gorbatschow 1991. Seine zentrale These: Die Wirkung der Russischen Revolution erstreckt sich von 1917 über die Jahrzehnte der Diktatur bis in die Gegenwart (13. 11., 19 Uhr, Diplomatische Akademie Wien. Reservierung notwendig.). Alaa al-Aswani, einer der bekanntesten Romanciers der arabischen Welt, erzählt in seinem Roman Der Automobilclub von Kairo von vergangenen Zeiten. Ende der 1940er herrschen im Automobilclub von Kairo Extravaganz und Dekadenz: Paschas und Monarchen gehen aus und ein, auch Ägyptens König zählt zu den Stammgästen. Bis die Dienerschaft des Clubs den Aufstand probt. (14. 11., 16 Uhr, Literaturcafé)

www.buchwien.at

Wien, 4. 11. 2015

Nestroypreis-Jury: Offener Brief

November 3, 2015 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Mit dem Ausdruck des Bedauerns

3703755012_2acdf84af1_bGeehrte Damen und Herren,

der Nestroypreis 2015 geht im Großen und Ganzen an das Burgtheater. Dies ist keine kulturirgendwie oder -was Entscheidung, sondern einzig und allein dem Umstand geschuldet, dass die Mehrzahl der österreichischen Bühnen während der Spielzeit 2014/15 geschlossen hatte.

Mit dem Ausdruck des Bedauerns und der Bitte um Rücksichtnahme,

i. V. Theaterauskenner

www.nestroypreis.at

Wien, 3. 11. 2015