Wien Museum: Das rote Wien. 1919 – 1934

April 28, 2019 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Eine Utopie, die sich in die Stadt eingeschrieben hat

Fritz Sauer: Kinderfreibad am Margaretengürtel, ca. 1926. Bild: © Wien Museum

Die ersten freien Wahlen zum Wiener Gemeinderat im Mai 1919 bringen der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei die absolute Mehrheit, dies Anlass genug für eine Ausstellung, die das Wien Museum ab 30. April im Ausweichquartier MUSA zeigt. „Das rote Wien. 1919-1934“ – ein international hoch- beachtetes, von seinen Gegnern allerdings heftig bekämpftes soziales, kulturelles und pädagogisches Reformprojekt beginnt.

Angestrebt wird eine tief greifende Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiterinnen und Arbeiter und eine Demokratisierung aller Lebensbereiche. Viele Reformideen datieren aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, die neue Stellung Wiens als eigenes Bundesland seit 1920 erweitert die Handlungsspielräume dann beträchtlich. Die Ausgangsbedingungen sind katastrophal. Die im Vergleich mit anderen Ländern ohnedies schlechten Lebensumstände der Bevölkerung hatten sich im Ersten Weltkrieg noch einmal dramatisch verschärft. Wien ist die Krisenstadt des Kontinents, die anfangs massiv unter Hunger, Kälte und Obdachlosigkeit leidet. Zur ersten großen Herausforderung der neuen Stadtregierung wird die Wohnungsfrage. Auf der Grundlage einer revolutionären Fiskalpolitik, Stichwort: „Luxussteuern“, werden bis 1934 mehr als 60.000 Wohnungen, sowie zahlreiche Sozial-, Gesundheits-, Freizeit-, Bildungs-und Kultureinrichtungen geschaffen.

Die Bevorzugung des mehrgeschossigen Wohnbaus anstelle kleinteiliger Siedlungen am Stadtrand, wie das andernorts in dieser Zeit favorisiert und anfangs auch in Wien gefördert wird, und die Monumentalität einzelner Anlagen wie des Karl-Marx-Hofs, sind allerdings umstritten. „Wie leben?“ wird im Roten Wien mit hoher Intensität debattiert. Das betrifft alle Bereiche der täglichen Existenz: die Rollen von Frauen und Männern samt Verteilung der häuslichen Arbeit, die Betreuung und Ausbildung der Kinder, die Gestaltung der Freizeit, das Einrichten der Wohnungen, den Umgang mit Körper und Tod, die Aufgaben von Kunst und Kultur. Die Euphorie ist groß, die Ideen sind kreativ und gewinnen einen prominenten Teil des intellektuellen Wiens für das rote Reformprojekt.

Sigmund Freud, Hans Kelsen oder Robert Musil rufen 1927 als „geistiges Wien“ zur Wahl der sozialdemokratischen Partei auf. Anna Freud engagiert sich in der Fortbildung der Kindergärtnerinnen, Käthe Leichter befragt Arbeiterinnen nach ihren tatsächlichen Lebensumständen. Beratungsstellen werden eingerichtet, Ratgeber in hohen Auflagen publiziert, Projekte der noch jungen Sozialforschung gefördert und neue museale Vermittlungstechniken getestet. Otto Neurath entwickelt seine Methode der Bildstatistik, um soziale „Tatsachen und Zusammenhänge“ öffentlich zu kommunizieren.

Kinder der Jugendkunstklasse von Franz Cizek, ca. 1930. Bild: © Wien Museum

Gaudenzdorfer Gürtel, Turnen im Haydnpark, ca. 1926. Bild: Fritz Sauer © Wien Museum

Karl-Marx-Hof, Baugruppe für Gas-, Wasser- und Elektroanlagen, ca. 1929. Bild: © Wien Museum

Baumgartner Höhe, Lungenheilstätte, ca. 1926. Bild: © Wien Museum

Die „Wiener Schulreform“ unter Otto Glöckel arbeitet daran, die alte „Drillschule“ durch Aktivierung der Kinder zur Selbsttätigkeit zu überwinden und hat international Modellcharakter. Das Fürsorgewesen, das der Anatom Julius Tandler politisch verantwortet, zielt vor allem auf die körperliche Gesundheit der Kinder und Jugendlichen, greift dabei aber auch auf eugenisches Gedankengut zurück. So werden Wohlfahrtseinrichtungen, wie die Kinderübernahmsstelle im 9. Bezirk mit ihrer glitzernden Sauberkeit und ihren Fluchten aus Glas auch als Orte der Kontrolle und als Instanzen der Macht erinnert. Mit der Idee des „Neuen Menschen“ ist die Herausbildung einer aufgeklärten, klassenbewussten Arbeiterschaft gemeint. Als Voraussetzung gilt eine neue Kultur, die auf Gemeinschaft abzielt und bei Massenfesten und -aufmärschen, wie der Arbeiterolympiade 1931 mit viel Pathos demonstriert wird. Kritiker sehen darin eine Nachahmung religiöser Formen.

Nur wenig Einflussmöglichkeiten hat das Rote Wien hingegen auf die Arbeitswelt. Hier bleiben die sozialen Errungenschaften der jungen Republik, wie der Achtstundentag oder Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer maßgeblich. In den Zeiten der großen wirtschaftlichen Depression nach 1929 schränken sich die Handlungsmöglichkeiten erheblich ein. Hinzu kommen der sich verstärkende Druck der bürgerlichen Bundesregierung und die wachsende Bedrohung durch den Faschismus. Die letzten Jahre des Roten Wien zeigen eine Ambivalenz zwischen symbolischer Stärke und tatsächlichem Machtverlust. Die Ausstellung fragt nach den spezifischen Voraussetzungen des Roten Wien, den langfristigen Wirkungen auf die Stadtstruktur und -gestalt, dem Verhältnis von austromarxistischer Ideologie und politischem Pragmatismus, den internationalen Einflüssen und nach den aktuellen politischen Potentialen dieser dynamischen und experimentellen Art der Kommunalpolitik.

Orte des Roten Wien: Sonderöffnungen und Spezialführungen

Die Schau geht über das MUSA hinaus und bezieht das reiche architektonische Erbe des Roten Wien mit ein, das sich als gebaute Utopie nachhaltig in die Stadt eingeschrieben hat. Mehr als zehn Orte mit jeweils unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten werden als „begehbare Objekte“ temporär für das Publikum zugänglich gemacht. Dazu zählen der weitgehend original erhaltene Tanzsaal im Karl-Seitz-Hof, ein Siedlerhaus aus den 1920er-Jahren in der Freihofsiedlung in Kagran, das Einküchenhaus, heute Heimhof, auf der Schmelz, in dem häusliche Arbeiten wie Kochen und Reinigen zentral organisiert wurden, das Vorwärts-Haus an der Wienzeile, die ehemalige sozialdemokratische Partei-und Verlagszentrale, die monumental ausgeführte, mit Kunst reich ausgestattete Zweite Wiener Gewerbliche Fortbildungsschule, das für die Arbeiterolympiade errichtete Praterstadion, heute Ernst Happel Stadion, das Atelier der Arbeiterfotografen der Naturfreunde im Turm des Lassallehofs, der Karl-Marx-Hof mit dem Museum in den ehemaligen Waschräumen, das von Ella Briggs entworfene Ledigenheim in der Billrothstraße, der einzigen selbständig und allein planenden Architektin im Roten Wien, die ehemalige Kinderübernahmssstelle auf dem Alsergrund, das von Otto Neurath gegründete Gesellschafts-und Wirtschaftsmuseum oder das Kongressbad mit seiner gewitzten Wiener Melange aus Konstruktivismus und Barock in Ottakring.

www.wienmuseum.at

28. 4. 2019

Adolf Frohner im Essl Museum und im Forum Frohner

September 5, 2014 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Retrospektive zum 80. Geburtstag

Bild: © Gabriela Brandenstein

Bild: © Gabriela Brandenstein

Es sei stets schön gewesen, mit ihm zu streiten, erzählt Dieter Ronte, Direktor des Forum Frohner in Krems. Schön, wie er Kunst als gesellschaftlichen Auftrag sah, weil er jemand war, der sich sehr bewusst einschalten wollte ins Weltgeschehen. Schön, wie er sagte, Kunst müsse nicht schön sein, sondern notwendig.

Zum 80. Geburtstag des 2007 so unerwartet verstorbenen Adolf Frohner haben sich das Forum Frohner und das Essl Museum zu einer Zusammenarbeit entschlossen. In Klosterneuburg ist ab 5. September die Ausstellung „Adolf Frohner (1934 -2007). Fünf Jahrzehnte Malerei, Grafik, Objekt“ zu sehen; ab 7. September folgt in Krems „Blutorgel. Adolf Frohners Anfänge im Wiener Aktionismus“. Ronte und Kuratorin Elisabeth Voggeneder haben sich dafür auf Spurensuche nach selten bis bis dato nie gezeigten Kostbarkeiten gemacht. Die Geschichte ist fantastisch. Nach Adornos Wort, dass nach Auschwitz keine Kunst mehr möglich sei, machten sich Adolf Frohner, Otto Muehl und Hermann Nitsch die Destruktion als Ausdrucksmittel zu eigen. Ein Aufruf, die Kunst anders zu nehmen als bisher. Das Konzentrat dieser Bemühungen war die viertägige Aktion „Blutorgel“ von 1. bis 4. Juni 1962. Die drei teilten sich ein Kelleratelier im 20. Bezirk, Perinetgasse, „wo sie sich erst von einem Schrotthändler beliefern und dann einmauern ließen“, so Voggeneder. Eine Fotowand zeugt von dem, was dann geschah. „Drei Tage schrankenlose Enthemmung, Befreiung von aller Brunst, Transponierung derselben in Blech, Schrott, Verwesende Abfälle, Fleisch, Blut, Gerümpel u.s.w., die ganze Materie des Kosmos wollen wir verwandeln. WIRSELBST werden nach diesen dreitägigen Exerzitien […] gereinigt der feierlichen Ausmauerung entgegensehen,“ wie es im Manifest zur Blutorgel wortgewaltig heißt. Am 4. Tag wurde die Mauer eingerissen, Publikum zugelassen. Die Ausstellung stellt nun etwa ein frühes „Schüttbild“ Nitschs (Voggeneder: „Hier hat er erstmals mit Blut gearbeitet.“) der Aktionsmalerei Otto Muehls und tachistischen Schlüsselwerken Frohners auf Papier und Leinwand sowie seinen Gerümpelplastiken gegenüber. Mit versifften Matratzen und Polstern und organischem Material schuf er Werke wie „Ausgeweidet“ oder „Dem Bild die Gedärme herausreißen“ – eine Schlafunterlage aus der Wurzeln wachsen. Man erkennt künsterische Anfänge und wo sie hinführten, als Frohner, der als erster aus der Gruppe ausstieg, um sich, so Ronte, „dem damals in Europa verpönten Realismus zuzuwenden, als kritische Methode der Befragung der Welt“, Nitsch sich dem Orgiastischen und Muehl seiner Kommune verschrieben.

Die Schau im Essl Museum schließt nahtlos an. Anknüpfend an Frohners Anfänge bildet die Objektarbeit „AMXV“ den Auftakt. Durch das Experiment des Abdruckes der Matratzenobjekte fand Frohner zu den frühen Grafiken und Radierungen und wandte sich der weiblichen Figur zu. Hauptwerke wie „Drei Grazien“, „Das Gespräch“ oder „Gib mir den Schuh Eva“ sind bei Essl zu sehen. Neben Lust steht Leid. Vor allem das des Künstlers. Und so führte Frohners Weg zu diesem Themenkreis, ecce homo, „Das Bildnis des Künstlers in jungen Jahren in der Manier des Piero della Frencesca“ oder „Denkmal für Alberto Giacometti“. Wobei ihm stets das Motiv des Plastischen im Werk sehr wichtig war und Objektcollagen von besonderer Qualität entstanden. Aus den letzten Schaffensjahren ist einiges Großformatiges in Rot-Schwarz ausgestellt. Figuren in Metamorphose, die ein Lebenswerk abschließen. Die gezeigten Werke sind sowohl aus der Sammlung Essl als auch Leihgaben österreichischer Privater und der Familie Frohner, erklärt Karlheinz Essl, der mit seiner Frau Frohner seit den 1980er-Jahren sammelt. „Wir haben in seinem Atelier viele Gespräche geführt. Nicht nur über Kunst, sondern er wollte auch über Politik und Gesellschaft reden und polemisieren“, bestätigt Essl Rontes einführende Worte. „Frohner ist uns über die Jahre ein Künstlerfreund geworden; er hat uns bei der Errichtung des Museums unterstützt und uns immer wieder Mut gemacht, unseren Weg zu gehen.“

Der wird nun dank der Familienstiftung Haselsteiner ein generationenlanger werden. Die Finanzlösung für das Essl Museum ist da. Auch ohne Unterstützung der Republik, die auf dieser Schande alleine sitzen bleibt. Am 13. Oktober werden zum Erhalt der Sammlung 44 Werke in London bei Christie’s versteigert. Darunter zwei von Österreichern.

Buchtipp: Neben den beiden Ausstellungen wird Frohner mit der Herausgabe des ersten Bandes des Werkverzeichnisses „Adolf Frohner Plastik“ gewürdigt. Erschienen im Verlag Christian Brandstätter.

http://www.essl.museum

http://www.kunsthalle.at/de/forumfrohner/ausstellungen

Wien, 5. 9. 2014

Aufstand gegen den Austrofaschismus

Januar 28, 2014 in Buch

VON RUDOLF MOTTINGER

Picus Verlag: Im Kältefieber. Februargeschichten 1934

2009In der Masse der Bücher, Ausstellungen und Theaterproduktionen zum Ersten Weltkrieg droht ein für Österreich wichtiges Datum unterzugehen. Eines, das manchen noch heute unangenehm ist. Eines, über das unsere Generation kaum etwas in Familien und  Schulen hörte. 2014 jährt sich der österreichische Bürgerkrieg zum achtzigsten Mal. Der Aufstand der Arbeiterschaft und des Republikanischen Schutzbunds gegen das austrofaschistische Regime am 12. Februar 1934 wurde von den Heimwehrverbänden und dem Militär brutal niedergeschlagen. Der kaltblütige Beschuss der Arbeiterwohnhäuser stellt eine entscheidende politische Zäsur auf dem Weg zum März 1938 dar. Im Picus Verlag erscheint im Februar „Im Kältefieber. Februargeschichten 1934“, die bislang umfangreichste Anthologie zu den Februarkämpfen, mit vielen literarischen Entdeckungen österreichischer ebenso wie ausländischer Autorinnen und Autoren und Texten, die erstmals auf Deutsch publiziert werden. Im Mittelpunkt stehen dabei die Kämpfenden, Arbeiter und deren Frauen und Familien, die sich nicht nur in Wien, sondern auch in anderen Städten und abseits der Zentren Österreichs der Zerschlagung der Demokratie entgegenstellten. Die Texte gehen über das unmittelbare Kampfgeschehen hinaus und beleuchten ebenso dessen Vorgeschichte wie dessen Konsequenzen.

Die Herausgeber Erich Hackl und Evelyne Polt-Heinzl trugen Beiträge von Jean Améry, Erich Barlud, Ulrich Becher, Willi Bredel, Melitta Breznik, Veza Canetti, Tibor Déry, Ilja Ehrenburg, Reinhard Federmann, Walter Fischer, Martha Florian, Oskar-Maria Graf, John Gunther, Michael Guttenbrunner, Erich Hackl, Alfred Hirschenberger, Franz Höllering, Franz Kain, Kurt Kläber, Rudolf Jeremias Kreutz, Miroslav Krleža, Franz Leschanz, Naomi Mitchison, Robert Neumann, Margarete Petrides, Margarete Rainer, Otto Roland, Anna Seghers, Jura Soyfer, Franz Taucher, Josef Toch, Alois Vogel, Prežihov Voranc und Karl Wiesinger zusammen.

Zu den Herausgebern:

Erich Hackl, geboren 1954 in Steyr, hat Germanistik und Hispanistik studiert und als Lehrer und Lektor gearbeitet. Heute lebt er als freier Schriftsteller, Publizist und Übersetzer in Madrid und Wien. Werke: »Die Hochzeit von Auschwitz. Eine Begebenheit«, »Als ob ein Engel. Erzählung nach dem Leben«, Familie Salzmann. Erzählung aus unserer Mitte, »Dieses Buch gehört meiner Mutter« (2013). Evelyne Polt-Heinzl, geboren 1960, Literaturwissenschaftlerin. Zuletzt erschienen: »Einstürzende Finanzwelten. Markt, Gesellschaft und Literatur«, »Peter Handke. In Gegenwelten unterwegs«, »Österreichs Literatur zwischen den Kriegen. Plä­doyer für eine Kanonrevision«.

Erich Hackl, Evelyne Polt-Heinzl (Hg.): Im Kältefieber. Februargeschichten 1934, 327 Seiten, Picus Verlag.

www.picus.at

Wien, 28. 1. 2014