Theater in der Josefstadt: Die Schüsse von Sarajevo
April 4, 2014 in Bühne
VON MICHAELA MOTTINGER
Erwin Steinhauer und Julia Stemberger brillieren
als verzweifelt Liebende in Zeiten des Krieges

Erwin Steinhauer (Leo Pfeffer), Josef Ellers (Gavrilo Princip, in Handschellen), uniformierte Statisten
Bild: © Sepp Gallauer
Regisseur Herbert Föttinger lässt seinen Abend mit den Jugoslawienkriegen Ende des 20. Jahrhunderts beginnen. Zerfall, Tod, der Mensch lernt nicht aus der Geschichte. Mitten drin, aus der Zeit gefallen, Erwin Steinhauer als Leo Pfeffer, der einen Feldpostbrief an seine Geliebte Marija Begovic‘, Julia Stemberger, schreibt. Die Donaumonarchie hat sich am Untersuchungsrichter bitter gerächt, weil er nicht die gewünschten Geständnisse brachte. Das Ende ist der Anfang. Die Front.
Föttinger inszeniert (im Gefängnisbühnenbild von Walter Vogelweider, das gleichzeitig Wohnung und Büro ist) nüchtern, kühl, sachlich. Es geht auch nur um eine Sache: der serbischen Regierung die Täterschaft am Attentat auf das österreichische Thronfolgerpaar nachzuweisen. Das kann Pfeffer im juristischen Sinne aber nicht. Atemlos rasch werden ihm die Verdächtigen vorgeführt: Gavrilo Princip (Josef Ellers), Nedeljko Cabrinovic‘ (Alexander Absenger), Danilo Ilic‘ (Matthias Franz Stein), Kaffeehausrevoluzzer, Provokateure, drei „dumme Buben“, die man für die Kriegshetzerei verheizt hat. Ilic‘, der einzige Volljährige, der Lehrer, wird Glück gehabt haben, er wird durch Erhängen am Würgegalgen hingerichtet. Cabrinovic‘ und Princip, die minderjährigen Studenten, lässt man bei 20 Jahren schwerem Kerker bei lebendigem Leib verfaulen. Bei Princip stimmt das tatsächlich: ein abgetrennter, toter Unterarm wird ihm einfach mit Draht am Ellenbogen befestigt.
All das zeigt die Uraufführung „Die Schüsse von Sarajevo“ von Milan Dor und Stephan Lack nach Motiven des Romans „Der letzte Sonntag“ von Milo Dor nicht. Es sollte nur einmal festgehalten werden. Die Autoren zeigen die Überheblichkeit eines Systems, das sein eigenes Sterben noch nicht erkannt hat, Dilettantismus gepaart mit Brutalität. Iwasiuk, Polizeichef von Sarajevo, Toni Slama, lässt gern foltern. Mit ihm wiehern die Amtsschimmel Gerichtspräsident Chmielewski, Heribert Sasse, Franz Graf von Harrach, Adjutant des Thronfolgers, Alexander Strobele, und Außenministeriumsbeamter Wieser, Michael Schönborn. Ein Quartett des Grauens. Wie immer erweist sich die Josefstadt (mit dabei: Eva Mayer als Kellnerin, Peter Scholz als Chauffeur, David Jakob als Gerichtsschreiber) als ausgezeichnetes Ensembletheater. Auf der Seite der Guten eigentlich nur Siegfried Walther als Arzt Dr. Sattler, der als Figur mittelprächtig naiv eine fabelhafte Leistung abliefert.
Steinhauer gibt sich am Anfang noch süffisant, selbstgefällig, aufmüpfig. Meine Herren, so kann Gerechtigkeit doch nicht funktionieren. Gerechtigkeit? Den Verdächtigen gegenüber ist er streng, aber korrekt, verbietet sich blutige Köpfe und zerschlagene Rippen. Er ist ein moderner Profiler, der sich Gedanken notiert und überprüft, die Sätze der Aufwiegler über ein neues Jugoslawien, ihre politischen Ideen, mit Kreide an die Wand schreibt, bevor er sie als Jubeldepesche nach Wien schickt. Doch: Cherchez la femme! Seine Marija und vor allem ihr Sohn Miloš sind so unschuldig vielleicht nicht, heißt: so weit weg von den serbisch-nationalistischen Ideen. Stemberger lässt in grandiosen Szenen die Rebellin durchblitzen, die Österreich-Hasserin, eine geheimnisvolle Frau, motiviert durch die Verhaftung ihres Kindes. Ist sie anfangs noch neckisch-verliebt, überredet Pfeffer zum Liebesspiel, wofür er den Thronfolgerempfang sausen lässt, wird sie zunehmend verbittert und hart.
Das bringt Pfeffer/Steinhauer in Zugzwang. Und zu einer außerordentlichen schauspielerischen Leistung. Die Emotionen brechen durch. Der Pokerspieler sucht die Asse in seinen Ärmeln. In dieser neuen Welt muss man zu seinem eigenen Vorteil handeln. Und Pfeffer glaubt eine Möglichkeit zu finden. Man will ihn erpressen, einen abschließenden Bericht an den Kaiserhof zu unterzeichnen. Da wird er selbst zum Erpresser. Zu der Art Schurke, die er niemals werden wollte. Miloš wird freigelassen – und sofort eingezogen.
Die vorletzten Worte hat Gideon Singer als Rabbi: Es gibt keine ganze Wahrheit außer der des Todes. Die letzten Worte sind ein Brief von Marija: „Lieber Leo, komm‘ gesund aus dem Krieg zurück …“
Trailer: www.youtube.com/watch?v=c8uAR101ulA&feature=youtu.be ; http://youtu.be/c8uAR101ulA
www.mottingers-meinung.at/erwin-steinhauer-im-gespraech
www.mottingers-meinung.at/herbert-foettinger-im-gespraech
Wien, 4. 4. 2014
[…] Steinhauer: Heli ist ein großartiger Texter, ein toller Musiker. Er hat einen unfassbaren Output. Wie schnell der Texte und Satzbrocken zusammensetzt! Von ihm ist ja auch „Puttin’ on the Ritz“ – „Der Putin is a Witz“ aus FEIER.ABEND. Gültig bis heute, wenn nicht sogar gültiger. Ein genialer Kopf! Mit einer unglaublich poetischen Seite. Ein Ausnahmemensch! Beide Programme hätte es ohne Heli nicht gegeben. MM: Besteht das Programm nur aus Musik? Steinhauer: Nein. Erschy Heart, der Mann, dem man nicht einmal einen Gebrauchtwagen abkaufen würde, erzählt auch von seinen Erwartungen und Träumen. Erzählt von seinem gescheiterten Leben bis zu den Einflüssen auf unsere Umwelt. Das ist eine kleine Gratwanderung, weil er auch immer wieder in den Erwin kippt, der auch seine satirischen Überlegungen beitragen muss. Wobei wir bitte nicht ins Kabarettladl geschoben werden wollen! MM: Dann schiebe ich Sie kurz aus dem Ladl raus. Sie haben in Ihren Kabarettprogrammen Ohrwürmer wie „Bodenlurch“ oder „VIPs“ gesungen. Ist das jetzt ein Neuentflammen der Liebe zur Musik? Steinhauer: Es hat MICH wiederbelebt. Die Hälfte meiner Kabarettprogramme bestand meist aus Musik, doch ich bin durch Theater und Film ganz davon weggekommen. Jetzt ist der ideale Moment zur Rückkehr. Schuld ist der Peter Rosmanith, der mich vor vielen Jahren angerufen hat, um zu Fragen, ob ich zu einem seiner musikalischen Programme lese. So sind wir auf die gemeinsame Liebe H. C. Artmann gekommen und haben „Dracula, Dracula“ gemacht. Und auf den vielen Fahrten von Auftritten zurück, sagte Peter: Warum machen wir nicht ein musikalisches Programm. Und ich: Geh’ bitte, lass’ mich aus. Worüber soll ich singen in meinem Alter? Über die Liebe? Da lachen ja die Leute. MM: Na, entschuldige … Steinhauer: Genau das hat der Peter auch gesagt. Und so ist das immer weiter gegangen. Mittlerweile spiele ich wieder fleißig Gitarre – und Ukulele. MM: Wie Marilyn Monroe. Steinhauer: Ja, Musik mit der Eing’angenen. Und für die Lyrik, für die Literatur ist der Heinz Unger gekommen, hat ganz tolle Gedichte geschrieben, ganz tolle Gedichte. Ich freu’ mich, ich bin schon heiß drauf. MM: Sie haben im Leben auch schon einiges hinter sich gelassen. Daher – „Hand aufs Herz“- die Frage: als wievielter verlassen Sie ein sinkendes Schiff? Steinhauer: Mein Schiff sinkt nicht, ich fahre munter weiter. Ich habe drei Kinder und drei Enkelkinder, daher würde ich mich nicht mehr als Kapitän sein, (sehen?)aber zum Ersten Offizier reicht’s noch. Der mit der affektierten Backbordmimik: Geht eh alles, braucht’s was? (Er lacht.) Ich halte meine Berufsleben mit großer Disziplin und großer Ernsthaftigkeit in der Waage. Ich überprüfe sehr, was ich mache, weise Dinge von mir, die nichts mit mir zu tun haben – und versuche so Wahrhaftigkeit in allen Rollen anzustreben. www.mottingers-meinung.at/theater-in-der-josefstadt-die-schuesse-von-sarajevo/ ; http://www.mottingers-meinung.at/tobias-moretti-in-das-finstere-tal/ ; http://www.mottingers-meinung.at/erwin-steinhauer-macht-feier-abend/ Ich arbeite jetzt bis 1. Februar und warte dann, ob jemand eine Idee hat. Ich bin aus Laden, die funktioniert haben, hurtig herausgesprungen. Ich könnte heute noch Dinge a la „Der Sonne entgegen“ spielen. Aber ich liebe die Abwechslung, die neue Herausforderung, das Risiko, das man auch scheitern kann. MM: Ist dieses Aussuchen können eine Qualität der Popularität? Oder sitzen Sie auch manchmal verzweifelt über einem leeren Terminkalender? Steinhauer: Die Existenzangst ist Teil des Berufs. Ich bin ja nirgends fix angestellt – auch nicht an der Josefstadt, sondern kriege per Aufführung gezahlt. Meist ist es so, wenn du dir Termine freihältst für den Film, kommt ein Theaterengagement, das nimmst du an – und dann kommt natürlich ein Film. MM: Wie der ins Auslandsoscar-Rennen geschickte „Das finstere Tal“, in dem Sie den bigotten Pfarrer spielen … Steinhauer: Ja, wunderbar. Aber ich hab’ dann zwischendurch noch die Konzerttermine, muss für meine Musiker ja Termine blockieren. Das sehen die Filmleute dann wieder nicht so gern, weil man da weg ist … Wie man’s macht … Ich verstehe übrigens die Entscheidung nicht, einen „Western“ nach Amerika zu schicken. Wollen wir denen etwas zeigen, das sie besser können? Wir sollten ureuropäische Stoffe, die sich vom amerikanischen Geschmack total unterscheiden ins Rennen schicken. Filme, wie sie der Haneke macht. Oder der Ulrich Seidl. Das sind Dinge, die’s nur hier gibt, drüben nicht. Damit wir damit sagen: Hallo, wir sind irgendwie anders! MM: Um aufs Musikalische zurückzukommen, Opapa. Sind Sie auch gut bei Kinder- und Weihnachtsliedern? Steinhauer: Sehr! Wird alles gemacht. Wenn auch nicht immer von Erfolg begleitet. Aber wir sind eine hochmusikalische Familie. Meine Tochter Iris spielt Klavier, Matthias hat ja mit Musik begonnen, bevor er Richtung Schauspielerei ging:http://www.mottingers-meinung.at/josefstadt-die-geschichte-vom-fraeulein-pollinger/ ; http://www.mottingers-meinung.at/theater-in-der-josefstadt-liebelei/ . Wir haben den Mattl anfangs musikalisch gar nicht so gefördert, weil er wie der Stani war: Alles anfangen, aber nichts zu Ende bringen. Der Stani hat E-Gitarre, Schlagzeug, alles begonnen. Er ist sehr musikalisch; da kann also noch was kommen. Mein ältestes Enkelkind, der Leon, der flippt total aus, wenn er Klavier spielen oder mit einer CD-Mitsingen kann. Die Kinder vom Mattl sind derzeit eher „Kunstturner“, sportliche Typen. MM: Wie steht’s nun mit Kreuzfahrten? Alfred Komarek hat mir erzählt, er ist ein bissl schwanger mit einem Kreuzfahrt-Polt: Polt und Rehberg auf dem Schiff und klären einen Mord auf. Weißt du was davon? Steinhauer: Nein. Obwohl der Polt und der Rehberg im bis dato letzten Teil ja eine gewinnen. Komarek wird nächstes Jahr 70, da möchte er gerne den letzten machen: „Alt, aber Polt“. Wenn das zustande käme, ginge ich auf Kreuzfahrt, aber privat: Nein. Das ist wie ein schwimmender Gemeindebau. Deshalb heißt’s bei uns ja SM Alcatraz – Sadomaso-Gefängnis. Sich im Bikini zu zeigen, hat bei manchen durchaus mit Sadismus zu tun. Oder ein Mann mit meiner Statur im Lobaufetzerl … […]
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