TAG: Kissing Mister Christo
März 20, 2014 in Bühne
VON MICHAELA MOTTINGER
Alexandre Dumas‘ „Deal or No Deal“

Michaela Kaspar (Mercedes), Raphael Nicholas (Eddy Dantes), Jens Claßen („Showmaster“ Villeforte)
Bild: Anna Stöcher
„Kissing Mister Christo“ im TAG führt etwas höchst Betrübliches vor: Diese Trash-TV-Terroristen, diese schmierig-schleimigen Showinisten, Herzschlitzer, Seelenausbeuter – die gibt es wirklich. Wenn man den richtigen Fernsehanbieter hat, auf mehr als 100 Kanälen. Der Flimmerkasten als moralische Anstalt. Wer ist dein Schmerzblatt? Fragt in diesem Fall Regisseur und Texter Dominic Oley, der den Dumas’schen Schauerroman noch schauriger gemacht hat. „Genial daneben“ treibt der Sprachmarxist (Eigendefinition) Schabernack mit etwas, das heute Weltliteratur ist, doch als Fortsetzungsgeschichte in in der Zeitschrift Le Journal des débats begann. Das diffuse Chaos ist auf der Bühne nicht geringer als im Buch. Wie glaubwürdig: Mir findma einen Schatz! Verrückt! „Millionenshow“, oder was?
Verrückt beginnt auch Oleys Dramatisierung des Stoffes. Der Showmaster Bruce („Allmächtig“, Jens Claßen, der später auch Villefort ist) hat ein – man ist ja heutig – lesbisches Paar eingeladen, um ihre Beziehungsstreitigkeiten coram publico auszutragen. Man will ja was sehen bei seinem Bier und den Chips. Für jede falsche Antwort erteilt Assistent Georg Schubert (auch Daniel Danglars und Abbe Ferreira) „Adolfa“/“Mercedes“ Michaela Kaspar und „Eve“ Elisabeth Veit, dem späteren Cousin Ferdl, einen Punkteabzug. Es geht „Am laufenden Band“, „Einer wird gewinnen“, „Wetten, dass …?“ Jetzt aber „Dalli Dalli“! Claßen und Schubert erinnern mit ihren zu Masken geschminkten Gesichtern und den grotesk-glitzernden Kostümen, an die armen Schweine, die, ja jetzt noch einen Buchstaben, dann haben Sie das richtige Tier gefunden und gewinnen …, verkaufen müssen. „Wien – Tag & Nacht“. Einer muss „The Biggest Loser“ sein, der „Mein dunkles Geheimnis“ enhüllt. Schließlich stehen „Familien im Brennpunkt“ – „Schicksal – und plötzlich ist alles anders“.
Die Schauspieler lassen ihre Figuren diesen Oberflächlichkeitsstrip bis zur völligen geistigen Nacktheit vollenden. Als Kontrapunkt legt ihnen Oley kluge Sätze in den Mund. Ein personifizierter Tötungsversuch stärkt das Immunsystem. Das Geld will uns nicht, es ist nur an Zirkulation interessiert. Das Leben ist eine soziale Ermunterung zum Unsozial sein. Na, das ist doch Dumas pur. Tristesse privatesse. Sex ist tot, Gott uninteressiert. Unwillkürlich fällt einem Frank Zappas Bobby Brown www.youtube.com/watch?v=ZUq_T_Bhau8&list=RDZUq_T_Bhau8 ein. Nun aber bringt Oley den Kern der Sache ins Spiel: Rache. Haben wir in unserer gemütlichen Zeit noch ein Recht darauf – und wenn ja, gegen wen? Dürfen wir wieder Freude an der Wut, der Zerstörung und dem sozialen Brandschatzen haben. Aber ja! Empört euch! Als Stargast zum Thema tritt nun Eddy Dantes (ganz großartig: Raphael Nicholas) auf. Plötzlich klingt’s nach fronzösischer Onomatopoesie, riecht’s nach Flieder und Fromage. Nach 1844. Eddy will Ras-che. Was? Ras-che. Was? Ah, Rache! An Mercedes. Welches Modell? Klamaukt der Showmaster. Und nun kommen sie alle: der bordschwüle Buchhalter Danglars, der Nebenbuhler Ferdl, Staatsanwalt Villeforte, der den Kopf seines Vaters (ein Brief von Napoleon) aus der Schlinge ziehen muss. Die Geschichte ist bekannt: Intrige, Inhaftierung, Château d’If. Schön, wie Eddy in einem kurzen Blackout Haare und Bart wie seit Jahren gewachsen sind. Ein Philosophisches Duett mit Abbe Ferreira. Dantes wird zum Erfinder des Kapitalismus. My Favorite Things: www.youtube.com/watch?v=33o32C0ogVM. Nicholas fuchtelt dabei gekonnt mit dem Degen herum.
Mit beißender Komik und in rasanten Diskursen lässt Oley seine Figuren durch ein Szenario mit zerrissenem Riesenherz im Bühnenhintergrund stolpern, das sie längst nicht mehr durchschauen. Die Darsteller, dank Sound of Music mit blutenden Ohren, wollen nur noch das skurril-surrealistische „Scheißende“ zum Schluss bringen. Wer mag schon einen, der seine Rache mehr liebt, als sich selbst? Ermüdend auf die Dauer. Ein Losermärchen mit einem Opfer, das sich in seiner Rolle als Racheengel Gottes gefällt. Da beschließen Adolfa und Eve – Namen von zeithistorischer Bedeutung – lieber in Frieden von einander zu scheiden, da treten Bruce und sein Assistent zum letzten Tanz an, bevor sie sich erschießen. Oley hat Dumas aufs Trefflichste dekonstruiert, eine räudige Revue inszeniert, die man erst mal in Ruhe Revue passieren lassen muss. Für den Nachhauseweg hat er uns Dumas eingejetzt: Sklaventreiberei heißt nun Betriebsklima, Prostitution freies Dienstverhältnis. Apropos, Rache: Jeden Manager in die Mangel nehmen, bis ihm die Boni wie Golddukaten aus dem Arsch fallen. Gehaltsobergrenze statt Luxusdienstwagen. Nie vergessen, womit Dominic Oley sein Publikum aus dem Theater entlässt: www.youtube.com/watch?v=wxrWz9XVvls ; www.youtube.com/watch?v=KodNFsP6r88
Trailer: http://vimeo.com/89249676
Wien, 20. 3. 2014
Sehr geehrte Frau Mottinger, Ich danke ihnen sehr herzlich für diese intelligente, journalistisch fundierte, in Zuwendung und Verständnis- ausführliche und spitzgefundene Kritik für Christo. Es tut sehr gut wenn Hingabe, Suche und Mut auf offene, smarte Augen und Ohren trifft. Weil verkürzt befindlich und respektlos braucht keine Anstrengung oder Differenzierung. Es grüsst das Mottinger Team ein sonniger Oley!
[…] den Witz im Pathetischen … MM: Wie Ihre Stücke „Kissing Mr. Christo“ (Rezension: http://www.mottingers-meinung.at/?p=7839), „King Liar“ oder „Plotting Psycho“ belegen. Oley: Ich will im Drama den Kontrapunkt […]