Anita Ammersfeld im Gespräch

März 13, 2014 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Ganze Wahrheiten aus dem stadtTheater

ammersfeld 9808-Sepp GallauerstadtTheater-Prinzipalin Anita Ammersfeld steht derzeit in Alan Ayckbourns Komödie „Halbe Wahrheiten“ auf der eigenen Bühne. Eine Doppelbelastung, die sie gerne auf sich nimmt. Denn es gilt zu sparen, wie sie im Gespräch mit mottingers-meinung.at erzählt. Die öffentliche Hand ist eine feste Faust, dabei warten demnächst spannende Produktionen.

MM: Sie sind als Intendantin des stadtTheaters Walfischgasse voll ausgelastet, stehen nun aber doch wieder einmal auf der eigenen Bühne, in Alan Ayckbourns „Halbe Wahrheiten“. Der Rolle der Sheila konnten Sie wohl nicht widerstehen?

Anita Ammersfeld: Ja, sie ist deshalb so besonders, weil Sheila ein Geheimnis verbirgt. Und das gilt es zu vermitteln in der Rolle. Sie durchschaut nicht immer alles gleich genau, aber mehr und mehr. Sie macht das Geschehen für sich schlüssig erklärbar. Sie lügt von allen am wenigstens – auch, wenn sie vorgibt, ein Verhältnis zu  haben. Am Ende ist sie die Strippenzieherin.

MM: Sheila ist eine Salondame mit Selbstironie …

Ammersfeld: Das wäre eine Rolle für die Nicoletti, die Degischer, die Almassy gewesen. Dieses Rollenfach ist heute nicht mehr in dem Ausmaß, wie’s früher war, vorhanden. Ich glaube auch, dass man heute die Theaterform Komödie, Schauspiel, wo solche Rollen gefragt sind, ganz anders interpretiert. Heute werden derlei Figuren lieber als schrullige „Tanten“ gezeigt. Die Elegance hat man leider aufgegeben.

MM: Ist Ihnen an Sheila auch persönlich manches nahe?

Ammersfeld: Ich bringe einiges für die Sheila mit. Regisseurin Carolin Pienkos hat das auch bemerkt und oft betont. Ich musste nicht an der Figur viel machen, sondern an der Interpretation. Das hat Carolin Pienkos mit mir auch gemacht. Sie ist eine sehr genaue Arbeiterin, sie schaut sehr genau hin und lenkt auch sehr genau. Ich spiele selten selber, ich schüttle mir das nicht aus dem Ärmel. Ich kann nicht sagen: Ich muss schnell Bürokram erledigen, ich finde, die Kollegen haben ein Recht, dass ich ihnen bei den Proben voll und ganz zur Verfügung stehe, bei der Sache bin.

 MM: Im stadtTheater kristallisiert sich allmählich ein Kern …

Ammersfeld: … ein harter Kern heraus.

 MM: Carolin Pienkos gehört dazu, Cornelius Obonya, Rupert Henning, Oliver Bayer, Fritz Egger … Das ist ja schon ein „Ensemble“.

Ammersfeld: Wenn das so leicht wäre! Es ist schwierig, weil wir eben kein fixes Ensemble haben. Es geht darum, die richtigen Leute in den richtigen Konstellationen zusammen zu bringen. Wir arbeiten Richtung anspruchsvolles Kammerspiel, mit kleiner Besetzung. Umso wichtiger ist, dass die Chemie zwischen allen Beteiligten stimmt. Und gleichzeitig geht’s darum, jene Künstler zu verpflichten, die fürs Haus interessant sind. Da führt man lange vorher schon Gespräche, weil die Besten natürlich auch bestens beschäftigt sind. Wenn eine Produktion ausfällt, können wir nicht einfach eine andere einschieben, weil eben kein Ensemble da ist, das einspringen könnte.

 MM: Sie holen sich auch Kollegen, die in ganz anderen Biotopen zuhause sind: Barbara Horvath vom Schauspielhaus Wien spielt in „Drei Mal Leben“, Hubsi Kramar in „Halbe Wahrheiten“ …

Ammersfeld: Sie hierher zu bringen, ist spannend. Diese Künstler haben eine ganz andere Zugangsweise zum Beruf. Das letztendlich zum Funktionieren zu bringen, sie sich einmal in einem anderen Biotop erproben zu lassen, ist spannend und aufregend. Ich glaube, dass unser Publikum die Vielschichtigkeit, die wir auf die Beine stellen, schätzt. Hubsi ist ein wunderbarer Kollege, einer, der für mich die richtige Haltung und Lebenseinstellung hat, selbst Theatermacher ist, ein Bühnenmensch ist. Ich bin froh und glücklich, mit ihm gemeinsam auf der Bühne zu stehen. Wir verstehen uns großartig, auch in seinen Ideologien. Er ist ein hochanständiger, völlig unkorrupter Mensch, geradeheraus bis zur Schmerzhaftigkeit. Und er schadet sich damit mitunter auch und es ist ihm wurscht. Das ist eine Haltung, die ich unglaublich bewundere. Wir sind sehr unterschiedlich: Die Lady und der Linke. Aber wir verstehen uns prächtig.

 MM: Wo nehmen Sie die Energie her?

Ammersfeld: Das frage ich mich manchmal auch. Ich habe die Sieben-Tage-Woche bei 14- bis 16-Stunden-Tagen. Wenn ich nicht im Theater bin, arbeite ich daheim am Schreibtisch.

MM: Einem Ondit zufolge greifen Sie in Inszenierungen ein, wenn etwas aus dem Ruder läuft.

Ammersfeld: Das haben Sie gehört? Das stimmt auch. Das ist eine Sache, mit der jeder, der mit mir arbeitet, rechnen muss. Aber es ist immer zum Besten der Produktion. Ich bin in vieler Hinsicht ein Bauchmensch, ich habe sensible Sensoren für Dinge und ich weiß mittlerweile auch genau, was hier am Haus verlangt wird und funktioniert und was nicht. Ich würde es als fahrlässig erachten, wenn ich darüber hinweggehen würde, wenn etwas möglicherweise in eine falsche Richtung ausufert – was aber mittlerweile höchst selten passiert. Denn am Ende des Tages bin ich für Auslastungszahlen und Einnahmen verantwortlich.

 MM: Das stimmt.

Ammersfeld: Wir müssen hier sehr genau rechnen. Und ich trage die Gesamtverantwortung. Es geht letzten Endes alles auf meinem Rücken aus, sowohl die Erfolge als auch die Misserfolge, die es mitunter auch gibt. Man sollte versuchen so wenig Fehler wie möglich zu machen, so wenig falsche Entscheidungen wie möglich zu treffen. Ich kann mir nicht nur den Lorbeer umhängen, ich muss auch den Karren aus der Scheiße ziehen. Und es war schon oft genug Feuer am Dach, obwohl wir sehr zusammenhalten, eine Familie sind. Aber keine Demokratie; einer – ich – muss Flagge und Rückgrat zeigen. Ich betrachte Theater als moralische Instanz, wir haben einen Auftrag. Den nehme ich voller Begeisterung auf mich. Mit so viel Kompromissen, wie sich nicht verhindern lassen.

 MM: Das stadtTheater ist auf einem guten Weg. Sie haben mit „Drei Mal Leben“, „Mord mit kleinen Fehlern“, „C(r)ash“, „Der Vorname“, „Halbe Wahrheiten“ … Erfolgsproduktionen eingefahren. Soll das der Weg sein? Unterhaltung mit Haltung?

Ammersfeld: Das war von Anfang an mein Anspruch. Wir wollen kleine Stücke auf hohem Niveau zeigen. Auch ein Krimi ist Unterhaltung. Ein Theaterabend soll etwas in den Köpfen der Zuschauer hinterlassen, soll zum Nachdenken und zur Diskussion anregen. Er soll die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung befeuern – und kleine Stücke können das oft sehr gut. Das geht auch bei uns gar nicht anders. Wir haben keine Senkbühne, keine Drehbühne, keine Seitbühne. Wir haben keine Bühnentiefe, keinen Schnürboden, wir haben fast keine Verwandlungsmöglichkeit – und da wird Kreativität – nicht aus dem Vollen schöpfen zu können, ohne, dass das Niveau auf der Strecke bleibt – in lichte Höhen geschraubt. DAS ist Theater.

MM: Motto: Not macht erfinderisch?

Ammersfeld: Unbedingt. Wir müssen mit 2500 Euro pro Bühnenbild auskommen. Da ernte ich oft verzweifelte Blicke, aber unser Budget erlaubt uns einfach nicht mehr. Ich kann nicht mehr Geld ausgeben, als ich habe. Und siehe da: Es ist sich immer noch ausgegangen. Meine Theaterleute müssen den moralischen Anspruch auch an sich selbst stellen, denn es würde mir beispielsweise nie einfallen, mir eine Schauspielergage zu zahlen, wenn ich auf der Bühne stehe. Ich habe ein Gehalt als Theaterleiterin, das muss reichen.

MM: Reizwort Förderungen?

Ammersfeld: Wir sind nach wie vor sehr gering gefördert, die Summe macht nicht einmal ein Sechstel unseres Budgets aus. Den Rest müssen wir selbst stemmen, selbst erwirtschaften. Wir wurden erst gar nicht gefördert, dann sehr geringfügig. In zweiten Jahr haben wir 50.000 Euro Baukostenzuschuss bekommen, dann waren’s 100.000, jetzt sind’s 300.000 Euro. Das ist auch keine Subvention, das ist eine Förderung. Wir haben pro Saison 40.000 Zuschauer, das heißt jeder Sitzplatz ist nicht 7,20 Euro gefördert. (Bei den Bundestheater: 110 Euro, bei den Vereinigten Bühnen Graz 123 Euro, Anm.) Wir sind vom Kontrollamt geprüft worden und haben eine römisch 1A bekommen. Die sagten, wir sind vorbildlich, obwohl Häuser unserer Größenordnung mit einem Vierfachen gefördert werden. Das haben wir halt nicht. Das Kontrollamt hat unsere Transparenz in allen Bereichen gelobt. Ich musste mir diese kaufmännischen Dinge ja auch aneignen, erarbeiten, als ich das Theater übernommen habe, und wurde punkto Knowhow sehr von meinem Mann Erwin Javor unterstützt.

MM: Kränkt, ärgert, frustiert, ist Ihnen wurscht, dass manche Journalisten und die Nestroy-Jury Berührungsängste mit dem stadtTheater haben?

Ammersfeld: Das kann  ich mir nicht erklären, achte auch ehrlich gesagt nicht allzu sehr darauf. Ich fühle mich von den Printmedien durchaus gut behandelt, allen voran von Werner Rosenberger und mottingers-meinung.at. Andere kommen, um uns zu verreißen, da ist mir lieber, sie kommen gar nicht. Ich mache hier meinen Job so gut ich kann. Also kann ich mich nicht ärgern. Was den Nestroy-Preis betrifft: Das ist nicht mein Hauptbegehren, dazu mache ich nicht Theater. Gut Ding braucht Weile. Also mal sehen 😉

MM: Was kommt nächste Spielzeit?

Ammersfeld: Wir werden im Oktober „Der Beweis“ von David Auburn herausbringen. Ein Krimi im Mathematikermilieu. Im Jänner wollen wir „Zweifel“ von John Patrick Shanley machen. Da geht’s um vermeintlichen Missbrauch in der Kirche. Ein spannendes relevantes Gesellschaftsstück. Da ist die Theaterdirektorin Ammersfeld mit der Schauspielerin Ammersfeld gerade in Diskussionen, ob sie mitspielen wird. Das habe ich mir mit mir noch nicht ausgemacht, ob ich mich selbst finanziell über den Tisch ziehe. (Sie lacht.)

MM: Ein Wunsch?

Ammersfeld: Es soll mit dem Rückenwind, der uns immer wieder Erfolg beschert, weitergehen.

www.stadttheater.org

www.mottingers-meinung.at/stadttheater-walfischgasse-halbe-wahrheiten/

Wien, 13. 3. 2014