Walfischgasse: „Enigma“ von Éric-Emmanuel Schmitt

November 12, 2013 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Ein Gespräch mit Regisseurin Isabella Suppanz und den

Darstellern Christian Pätzold und Alexander Rossi

Alexander Rossi, Christian Pätzold Bild: © Sepp Gallauer

Alexander Rossi, Christian Pätzold
Bild: © Sepp Gallauer

Im stadtTheater Walfischgasse hat am 13. November „Enigma“ von Éric-Emmanuel Schmitt Premiere. Schmitt ist einer der bekanntesten und erfolgreichsten zeitgenössischen französischsprachigen Autoren; er wurde bereits zweimal mit dem Prix Molière ausgezeichnet und 2001 mit dem „Grand Prix du Théâtre“ der Académie française; sein international bekanntestes Werk ist „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ wohl durch die Verfilmung mit Omar Sharif in der Hauptrolle. Das stadtTheater spielte schon 2009 Schmitts „Kleine Eheverbrechen“ mit Prinzipalin Anita Ammersfeld in einer der beiden Hauptrollen. Inhalt von „Enigma“: Abel Znorko, Nobelpreisträger für Literatur, lebt zurückgezogen auf einer norwegischen Insel. Nach Jahren überrascht er die Öffentlichkeit mit seinem neuen Buch, einem Briefroman eines Mann und einer Frau – ein sensibles und intimes Zeugnis einer außergewöhnlichen Liebe. Erik Larsen, Journalist eines Provinzblattes, gelingt es, die Zusage für ein Interview mit dem als exzentrisch und egomanisch geltenden Autor zu erhalten. Schon Larsens Ankunft auf der Insel gibt Anlass zur Sorge über die psychische Verfassung Znorkos. Er inszeniert sich als gewalttätig, spröde und unzugänglich. Doch Larsen lässt sich nicht einschüchtern und zwingt Znorko zu einem Wort-Duell auf Leben und Tod. In packenden Dialogen macht Éric-Emmanuel Schmitt das Publikum zu Zeugen einer Enthüllung – Lebenslügen, Verrat und Masken der Männlichkeit werden aufgedeckt. Aus den erzwungenen Bekenntnissen der beiden Männer entsteht das Bild einer rätselhaften Frau aus der Vergangenheit. Der Titel „Enigma“ bezieht sich auf Edward Elgars Komposition „Variations énigmatiques“, 14 seiner Freunde gewidmet, bei der nie das Hauptthema gespielt wird und der wichtigste Charakter niemals auftritt. Ein Gleichnis über die Rätselhaftigkeit der Liebe. In seinem durch stets neue Wendungen immer wieder überraschenden Zweipersonenstück beschreibt Schmitt die Problematik zwischenmenschlicher Beziehungen im Allgemeinen und der Liebe im Besonderen. Fernsehstar Christian Pätzold (als Abel Znorko), der schon mit Regisseuren wie Benoît Jacquot, Doris Dörrie, Carlo Rola und Zoltan Spirandelli gedreht hat, und Alexander Rossi (als Erik Larsen), der wiederum in der Regie von Claus Peymann, Leander Haußmann, George Tabori, Hans Neuenfels oder Matthias Hartmann an den unterschiedlichsten Theatern spielte, sind die beiden Kontrahenten in einer Inszenierung von Isabella Suppanz, die „Enigma“ als erste Regiearbeit nach ihrer langjährigen Intendanz am Landestheater Niederösterreich auswählte. Ein wunderbar ernsthaft unernstes Gespräch:

Christian Pätzold: Sie haben Ihr Diktiergerät bereit. Gut. Legen wir los. Ich habe in dem Stück einen schönen Satz, der lautet: „Die Leute, die mich aufnehmen, legen mir später Sätze in den Mund, die ich nie gesagt habe.“ (Allgemeines Gelächter.)

Alexander Rossi: „Nimmt Ihr Gerät uns jetzt auf?“ Auch ein Stückzitat. Dann schnell was Intelligentes sagen.

MM: Fein, dann fange ich damit bei Frau Suppanz an: Das ist Ihre erste Inszenierung als wieder freie Regisseurin. Warum dieses Stück? Warum mit den Herren Rossi und Pätzold?

Isabella Suppanz: Weil es mich interessiert hat, einmal ein Stück mit zwei Männern zu machen. Wir kennen Beziehungskisten, die sind in allen Varianten ausgeleuchtet und auf der Bühne sichtbar gemacht worden, aber die diesbezügliche Auseinandersetzung zweier Männer – das ist einmal ein spannendes Stück.

MM: Wie sind Sie auf „Enigma“ gekommen? Éric-Emmanuel Schmitt ist ein Name, als ob die Sonne aufgeht.

Suppanz: Das ist ja bei dem Wetter vielleicht ganz gut, wenn die Sonne aufgeht. Nein, ernsthaft: Ich war einerseits schon länger dran, hatte andererseits meine Vorbehalte gegenüber dem Stück, weil da sehr viel mäandert und sehr viel ausufert, aber mit ein bisschen Straffung geht’s gut. Anita Ammersfeld hat mich gefragt, ob ich das machen möchte. Und ich möchte. Und ich habe das Gefühl, dass wir in diesem Theater sehr willkommen sind.

Rossi: „Enigma“ muss man als Theatermacher in die Hand nehmen. Ein kleines Lifting – und dann klappt das auf der Bühne wunderbar.

Pätzold: Ein Wort noch zum Haus: Frau Ammersfeld macht einen sehr klugen Spielplan. Ich habe ja lange nicht in Wien Theater gespielt, damals gab’s das stadttheater Walfischgasse noch nicht. Und ich bin äußerst positiv überrascht, über die Dinge, die hier passieren.

MM: Lassen Sie mich die Fragen um die Figuren, die Sie verkörpern erweitern: Abel Znorko – kein Mensch heißt so – und Erik Larsen. Was interessiert einen an den Charakteren?

Pätzold: Dass Abel Znorko kein Durchschnittsmensch ist. Das ist eine Superrolle, ein Fest für einen Schauspieler, eine Herausforderung, so viele verschiedene Facetten, so viele Emotionen zu zeigen. Von einer arroganten Fassade zum kleinen Würmchen. Das finde ich toll. Ich will nicht zu viel verraten, aber im Schwäbischen, wo ich herkomme, würde man sagen, er ist einer, dem man „den Roscht runtertuat“, der mit seinen üblichen Textbausteinen nicht mehr weiterkommt, der Erfahrungen macht, die ihm den Boden unter den Füßen wegziehen. Das ist eine spannende Geschichte. Einer, der sich jenseits des Polarkreises auf eine einsame Insel zurückgezogen hat – und plötzlich bricht die Außenwelt dort ein … Aber ich darf nicht zu viel verraten.

Rossi: Als ich das Stück zum ersten Mal gelesen habe, kam ich eigentlich ziemlich ins Schwitzen, weil alles so sentimental und kitschig war. So kam es mir zumindest vor. Dann habe ich aber eine sehr kluge Konstruktion entdeckt, eine Behauptung darüber, was Menschen miteinander erleben – über Räume und Distanzen hinweg. Und dann nahm ich diese Figur Erik Larsen wahr, die sich innerhalb einer sehr kurzen Zeit sehr stark verändert, eine riesige Biografie hat. Dann lässt ein alter Mann einen jungen Mann tanzen, dann lässt ein junger Mann einen alten Mann tanzen – in sein Schicksal hinein und (nicht wieder) heraus. Die Machtverhältnisse ändern sich ja mehrmals … Aber – wie Christian schon sagte – wir dürfen nicht zu viel verraten.

MM: Der Dreh- und Angelpunkt des Textes, das sei verraten, ist die Liebe. Das zeigt sich auch in der von Znorko erfundenen Romanfigur „Eva Larmor“. Darin steht sowohl das Wort Liebe als auch Träne. Gleichzeitig ist es/sie Schmitts Cherchez la femme.

Suppanz: Das sehe ich genau so. Eigentlich ist es ihre Geschichte, der man atemlos folgt. Das Geheimnis, das im Raum steht, hat etwas Krimihaftes; das Publikum kann raten und entschlüsseln, bis die Wahrheit aufgedeckt ist.

Pätzold: Wobei es nicht wirklich um ein Verbrechen geht.

Suppanz: Das ist die Frage. Erik würde das anders sehen.

Pätzold: Ich denke, es geht um die unterschiedlichen Entwürfe von Liebe. Im Stück gibt es drei: Die Amour fou, das heißt sich nach jemandem fleischlich verzehren. Dann das absolute Gegenteil davon: Eine Liebe, die nur auf der geistigen Ebene existiert, die totale Sublimation, eine reife, reine, fast „religiöse“ Liebe. Und dann Larsens Konzept, nämlich das tägliche Für-einander-da-Sein, Für-einander-Sorgen, sich nahe zu sein. Das prallt im Stück aufeinander. Znorko ist letztlich ein absoluter Mensche: Entweder Amour fou oder geistige Liebe. Etwas anderes gibt es für ihn nicht. Wer nicht seiner Meinung ist – das betrifft übrigens auch literarische Fragen -, den macht er fertig. Eine wahnsinnige Haltung. In der er sich sicher fühlt – und aus der er von Larsen völlig rausgekippt wird. Bis er nur noch ein kleines wimmerndes Menschlein ist. Ein schlotterndes Skelett in einem feindlichen, günstigsten Falls gleichgültigen Universum. So bezeichnet Znorko Larsen, aber er selber IST so.

Rossi: Für Erik bedeutet Liebe alles: von Sex bis Wäsche waschen, ein Leben miteinander verbringen. Das sieht Abel anders. Ausnützerisch. Die beiden Protagonisten machen einander jedenfalls wahnsinnig viel vor. Da muss man als Schauspieler das Bauchgefühl und den Kopf in der Waage halten.

Pätzold: Dem schließe ich mich an, vor allem, weil wir ja das Ende kennen. Ich muss also meine Emotionen sehr genau timen, um nicht schon in der Mitte so zu agieren, wie es erst der Schluss verlangt. Das ist die Gefahr, die ein Stück mit so vielen Ver- und Entwirrungen birgt: Dass ich einen „Ton“ spiele, der erst 15 Seiten später verlangt wird. Das ist handwerklich durchaus harte Arbeit. Da muss man analytisch sehr genau sein, muss vom Kopf her steuern, was wann an Emotionen kommt. Wiewohl beides zusammengehört: Da gibt’s Momente, wo der „Bauch“ auch mal Pause hat.

Rossi: Stimmt. Das Schwierige ist, immer am Punkt zu sein. Alles zu wissen und nicht sagen, nicht zeigen zu dürfen. Wie in diesem Interview. (Wieder Lachen.)

MM: Wie empfinden Sie Schmitts Sprache?

Suppanz: Wir sind von der Übersetzung immer wieder aufs Original zurückgegangen. Dort kommt mir vieles eleganter vor. „Schmitts Sprache“ ist blumig, haarscharf daneben, hält einer Überprüfung oft nicht stand. Sie ist formal sehr schwierig, kippt immer wieder ins Epische, ins Lyrische. Aber die Situation, das scheibchenweise Anbringen von Wahrheit, das hält stand. Und das ist das Schöne an Schmitt. Die Schauspieler müssen aber mehr sein, als Schmitts Figurenentwurf. Znorko ist bei ihm eine Art Hemingway für Arme. Pardon, wenn ich kritisch bin, aber da zeigt Christian Pätzold mehr als vorgegeben. Schmitt ist emotional. Er ist sehr gut, was Stückaufbau, was Plot betrifft, aber in den Wortfindungen geht’s mit ihm durch. Da gibt’s ordentlich Kitsch, da lässt er nichts anbrennen – und es funktioniert. Aber nur, wenn man sich nicht draufsetzt, sondern zügelt.

Pätzold: Schmitt liebt es Lebenskonzepte zu predigen. Sowohl in seinen Theaterstücken als auch in seiner Prosa. Was übrigens auch sehr verkaufsträchtig ist. Im Französischen liest er sich wunderbar, da fühlt man sich wohl und hat am Schluss einen Geschmack im Mund, als ob man zu viele Cremetörtchen gegessen hätte. Er kann ungeheuer spannend schreiben, aber manchmal auch furchtbar betroffen, in Situationen, wo das gar nicht geht. Da muss man sich auf der Bühne anbrüllen, nicht einander in die Arme sinken, wie er es will. Das macht die Arbeit an Schmitt so aufregend: Man ist ständig bemüht, ihm auf die Schliche zu kommen. Manches Überbordende wegzulassen, um auf ein Gerüst zu kommen, das super ist.

MM: Herr Rossi, suchen Sie auch das Glück in diesem Stück?

Rossi: (lacht: Mein Vater hatte sogar einen Hund, der Gaston hieß.) Aber wenn Sie nach meiner Meinung zum Autor fragen: Mir kommt der Text manchmal ein bisschen schwülstig vor. Er will in eine emotionelle Breite, was durchaus liebenswürdig ist, aber nicht immer angebracht. Auch seine Regieanweisungen sind sehr plakativ.

Suppanz: Aber ich glaube nicht, dass das spekulativ ist, Schmitt ist einfach so.

Pätzold: Wenn man Zuckerguss wegnimmt, kommen viele Erfahrungen, die wir alle mit der Liebe gemacht haben, hervor. Die muss man einfach hinstellen. Damit das Publikum sagen kann: Das ist spannend, da muss ich drüber nachdenken, denn: Ich bekomme keine Lösungen geliefert. Das ist das Problem mit Schmitt – er liefert immer die Lösung mit.

MM: Welche Reaktion wollen Sie also im Publikum hervorrufen?

Suppanz: Wachsamstes Interesse. Dass das Publikum zwischen den Positionen der Protagonisten hin- und herschaut wie bei einem Tennismatch, sich fragt: Wer hat jetzt recht? Wobei keiner Unrecht hat. Weder der Liebesberserker noch der mit der Wäschetonnenphilosophie.

Rossi: Schmitt transportiert einfach zwei mögliche Männermodelle. Zwei Extremvarianten.

Pätzold: Zwei verschiedene Arten zu leben, die sich nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig brauchen.

Rossi: So, dass das Beharren im Widerspruch das geistig Befruchtende ist.

MM: Beinah biblisch. Schmitt befasst sich ja auch gerne mit Religionsfragen: Abel – alttestamentarisch, Erik – neues Testament.

Suppanz: Und nicht umsonst heißt diese Figur von ÉRIC-Emmanuel Schmitt Erik. Und dann gibt’s den großen Abel. Das ist so bedeutungsaufgeladen.

MM: Ja, Schmitt ist immer im neunten Monat bedeutungsschwanger. Wie sind die Proben? Auch alles Liebe?

Rossi: Wir fetzen uns schon auch mal. Das ist existenziell.

Pätzold: Kunst ist ohne Reibung und ohne Reibungswärme undenkbar. (Und noch einmal Lachen.)

www.stadttheater.org

Wien, 12. 11. 2013