Burgtheater: “Lumpazivagabundus”

August 30, 2013 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Burgherrn Matthias Hartmanns Inszenierung von „Lumpazivagabundus“, eine Koproduktion mit den Salzburger Festspielen, hat am 6. September Wien-Premiere. Hier noch einmal die Rezension von der Aufführung auf der Perner Insel und die Burgtheater-Highlights der neuen Saison:

Hartmanns Dreifach-Jackpot kommt nach Wien

Nicholas Ofczarek (Knierim), Florian Teichtmeister (Leim), Michael Maertens (Zwirn) Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Nicholas Ofczarek (Knieriem), Florian Teichtmeister (Leim), Michael Maertens (Zwirn)
Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Grell, bunt, Punk, Brauchtum. Zauberwesen, die teils Bärte à la ZZ Top tragen, teils langes Blondhaar wie Brad Pitt in “Interview mit einem Vampir”. Ein Feenkönig als EU- Ratspräsident, die Europaflagge hinter sich (Bühne: Stéphane Laimé), eine Fortuna (Maria Happel) mit Angela-Merkel-Frisur, Mavie Hörbiger als Fee Amorosa wie “Natürlich Blond” entsprungen… Und so geht’s weiter. Burgherr Matthias Hartmann inszenierte auf der Perner Insel Nestroys “Der böse Geist Lumpazivagabundus oder das liederliche Kleeblatt”. Im Dreiergespann Leim, Zwirn, Knieriem ist Hartmann der vierte Pflanzenteil. Ohne ihn: kein Glück. Hartmann ist ganz in seinem Element, schüttet ein Füllhorn voll Ideen über Nestroy, kostet jede Pointe wie ein gutes Glas Wein aus, lässt (eigentlich: “Spielmacher” Nicholas Ofczarek als Knieriem) das Publikum bei einer Wirtshaussauferei sogar mitsingen. “Eduard und Kunig-uuun-de” erschallt es zwischen Perlencolliers und Smokingfliegen. Da kommt Stimmung auf. Und Schwung. Gags, Gimmicks, Slapstick am laufenden Band, Musik (Karsten Riedel) von “Bacardi Feeling” über Status Quos “Rockin’ all over the World” bis zu Karel Gotts “Einmal um die ganze Welt”. Untiefen statt Tiefgang. Witz, der nicht zündet, sondern explodiert wie ein Feuerwerk. Und den Zynismus an der Geschicht’ hört man vor lauter Lachen nicht … Das “Kometenlied” kommt übrigens auch vor (zusätzliche Liedtexte: Nicolaus Hagg).

Die Lottosieger, also: Nicholas Ofczarek erinnert an Vorganger wie Paul und Attila Hörbiger oder Helmut Qualtinger und spielt den Alkoholiker bis zum Delirium. Zum Fürchten brutal, voll Pathos über sein durch b’soffene Schlägereien bestimmtes Schicksal nah am Wasser – pardon: Wein beziehungsweise Bier beziehungsweise Schnaps – gebaut. Ohne jeden Kitsch, “ungemütlich”, gar nicht mehr mit bösen, sondern mit bereits leblosen Augen ist er ein Sich-zu-Tode-Trinkender, kommt Nestroys Vorstellung – der die Figur ja weiland selbst verkörperte – so vielleicht am nächsten. Michael Maertens gibt einen überkandidelt-komischen Zwirn – aus Ulm, um sein Nicht-Wienerisch zu erklären, sehr gut! -, hüpfenden wie ein Laubfrosch (auch bei einem Tänzchen mit Ehefrau Mavie), ein Weiberer, ein Gockel, ein Don Juan für Ärmere, ein Geck mit “Goasbort”, dessen meckendes Lachen tatsächlich an einen Ziegenbock erinnert. Mit ganz großer Komik lässt er die Tragödie seiner Gestalt außer Acht, um lieber groß daherzureden. Kein Wunder, dass er sich, reich geworden, auf seinem Gold-Schloss von einer Art Andy Warhol malen lässt … Im Mittelpunkt zwischen den beiden Burg-Titanen: Florian Teichtmeister, der für den verletzten Johannes Krisch einsprang. Der Josefstädter spielt mit wohltuender Zurückhaltung Nestroy. Überzeugt als Leim, den seine Liebe zu des Meisters Tochter Peppi auf Wanderschaft getrieben hat. So rührend, so herzenskrank, so gutmütig und sanft, entfesselt nur durch Amors Amour-Zorn. Als Sieger kehrt er heim, wird zum überheblichen Biedermann, zum Spießbürger im Golferoutfit – und will seine ehemaligen Kameraden mit Geld und einer Türfernbedienung einsperren. Ohne zu outrieren wechselt Teichtmeister sozusagen die “Rolle”. Wird ein ganz anderer. Eine Meisterleistung.

Und dann noch: Max Mayer als Lumpazivagavundus (auch noch verkleidet als Herr von Windwachel und Dorfwirtin). Eine der wichtigsten Kräfte am Schauspielhaus Wien, zeigt er auch Salzburg, was er kann. Wie dämonisch man nackt bis auf  eine dreckige Unterhose sein kann. Er changiert, verrenkt sich sprachlich und körperlich – und ist zum ersten Mal im Wiener Dialekt zu hören. Ein Bravo, wie er mit nur einem schwarzen Stöckelschuh die Bühne für sich in Anspruch nimmt. Wandlungsfähig, wunderbar. Ansonsten kann Hartmann wie stets bis in die kleinste Rolle (und viele stellen mehrere Figuren dar) aus seinem unvergleichlichen Ensemble schöpfen: Branko Samarovski, André Meyer, Michael Masula, Hermann Scheidleder und Mitglieder der Jungen Burg sind allesamt Haupttreffer. Vor allem aber Publikumsliebling Happel, die neben der Glücksfee auch eine falsche, geldgierige Italienerin samt Arienpotpourri und – wie von Nestroy vorgesehen – eine schwäbische Haushälterin gibt.

Am Ende gehen dem Leim alle auf den – Leim. Aus einem Puppenhaus schauend gaukeln sie Idylle vor. Ein Kapitalist und Arbeitnehmerantreiber, ein zwiderer Zwirn mit Weib und zwei Kindern, und Familienvater Knieriem. Der kippt vor der Abendeinladung beim Leim noch schnell ein Stamperl. So viel Scheinidyll … „Die Welt steht auf kein’ Fall mehr lang.“

Unbedingt sehenswert!

www.burgtheater.at

www.mottingers-meinung.at/burgtheater-spielplanprasentation-201314

Salzburg, 2. 8. 2013