Karikaturmuseum Krems: Christine Nöstlinger und ihre Buchstabenfabrik
November 11, 2021 in Ausstellung, Buch
VON MICHAELA MOTTINGER
Die feuerrote Friederike und ihre Nachfolgerinnen

Christine Nöstlinger: Die feuerrote Friederike, 1970. © Christine Nöstlingers Buchstabenfabrik GmbH
Lange bevor sich der Begriff des Mobbings etabliert hatte, behandelte Christine Nöstlinger die Themen Ausgrenzung und Gewalt mit dem notwendigen Fingerspitzengefühl in ihrem Kinderbuch–Klassiker „Die feuerrote Friederike“. In ihrem Erstlingswerk, das 2020 seinen 50. Geburtstag feierte, wehrt sich das Mädchen mit den feuerroten Haaren und Sommersprossen auf den Wangen mit Zauberkräften gegen die Demütigungen ihrer Mitschüler und Mitschülerinnen.
Auf Anhieb ein großer Erfolg und 1972 mit dem Friedrich–Bödecker–Preis ausgezeichnet, läutete die österreichische Autorin mit ihrer „Feuerroten Friederike“ eine neue Bewegung innerhalb Österreichs Kinder– und Jugendliteratur ein. Bis heute ist das Buch ein Bestseller mit immer noch aktueller Thematik. In der Ausstellung „Christine Nöstlinger und ihre Buchstabenfabrik“ präsentiert das Karikaturmuseum Krems ab 14. November die originalen und teils unveröffentlichten Buch–Illustrationen aus dem
Urmanuskript, die zu Beginn von Christine Nöstlinger selbst gezeichnet wurden. Das Debüt als Ausgangspunkt nehmend, sind weitere Zeichnungen der Töchter Christiana Nöstlinger und Barbara Waldschütz zu sehen. Eine aktuelle Friederike zeigen die Arbeiten von Stefanie Reich. 2015 wurde die Leipzigerin mit den Illustrationen für eine Neuausgabe von Nöstlingers Buch beauftragt.
Eigens für die Ausstellung haben sich Martina Peters, Stephanie Wunderlich und Nina Pagalies im Rahmen ihres Stipendienaufenthalts in Krems mit Nöstlingers Oeuvre künstlerisch auseinandergesetzt. Die ausgestellten Originale von Michael Roher, dem ersten Preisträger des Christine–Nöstlinger–Preis, und von Sophie Schmid, Illustratorin von Nöstlingers posthum erschienenen „Der Überzählige“, ergänzen die Schau. Verschiedene künstlerische Positionen geben einen facettenreichen Einblick in das Schaffen und Fortwirken der Schriftstellerin und Zeichnerin Christine Nöstlinger.
Die Töchter
1959 bringt Christine Nöstlinger Tochter Barbara und 1961 Tochter Christiana auf die Welt. Mit 13 Jahren bebildert Christiana Nöstlinger als Autodidaktin erstmals ein Buch ihrer Mutter, „Achtung! Vranek sieht ganz harmlos aus“, erschienen 1974. „Ich war 13 Jahre alt und noch in der Schule. Die Idee war, ein Buch für Kinder mit Kinderzeichnungen zu illustrieren, obwohl ich mit 13 kein richtiges Kind mehr war. Aber ich habe als Kind immer schon gern gezeichnet, und meiner Mutter gefielen die Zeichnungen offensichtlich. Sie hat mich dazu ermutigt und auch die Idee gehabt mit den Kinderzeichnungen.“ Die Zusammenarbeit zwischen Mutter und Tochter reichte von Erzählungen bis zu Romanen, so „Liebe Susi, lieber Paul!“, „Susis geheimes Tagebuch“, „Liebe Oma, Deine Susi“, „Willi und die Angst“ und die 16–bändige „Mini“–Serie. Heute ist Christiana Nöstlinger als Psychologin und Expertin für Gesundheitsförderung tätig und arbeitet am Institut für Tropenmedizin in Antwerpen, Belgien.
Tochter Barbara Waldschütz hatte 1990 ihr Debüt als Illustratorin. „Meine Mutter hat eine ganze Geschichte gereimt, ‚Klicketick‘. Sie hat mir den Text gegeben und gesagt, dass ich damit machen soll, was ich will. Sie war damals schon sehr bekannt und hätte sich auch einen berühmten Illustrator wünschen können. Sie fand aber, es sei eine Verschwendung meines Talentes, dass ich immer nur für mich zeichne.“ Für ihre Kinderbuch–Illustrationen, darunter Bücher wie „Vom weißen Elefanten und den roten Luftballons“, „Madisou“, „Pudding–Pauli“ und „Ned dasi ned gean do warat“, wurde ihr die BIP–Plakette und mehrmals der Illustrationspreis der Stadt Wien verliehen. Illustrieren wurde aber nie zum Hauptberuf destudierten Mediengestalterin und Kommunikationsdesignerin. „Ich bin mir nicht sicher, ob man dann noch jedes Buchprojekt wie ein Kunstwerk gestalten kann. Man kann dann nicht mehr so viel Zeit mit Nachdenken und Ausprobieren verbringen und wahrscheinlich macht es dann weniger Spaß. Das fände ich schade.“

Christine Nöstlinger: Die feuerrote Friederike, 1970. © Christine Nöstlingers Buchstabenfabrik GmbH

Christiana Nöstlinger: Mini ist verliebt, 1999. © Christine Nöstlingers Buchstabenfabrik GmbH

Barbara Waldschütz: Vom weißen Elefanten und den roten Luftballons, 1995. © Christine Nöstlingers Buchstabenfabrik GmbH
Aktuelle Begegnungen
Bereits vor Jahrzehnten publiziert, zeugen die behandelten Thematiken in Nöstlingers Büchern noch heute von Aktualität. Sei es die Andersartigkeit in „Die feuerrote Friederike“ beziehungsweise in „Konrad oder Das Kind aus der Konservenbüchse“, die Problematik von Einsamkeit in „Das Austauschkind“, die Identitätssuche in „Gretchen Sackmeier“ oder die pubertäre Sinnkrise, etwa in „Ilse Janda, 14“. Im Karikaturmuseum Krems tritt das Geschriebene von Christine Nöstlinger in den Zeichnungen von zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern in einen spannenden Dialog. So werden unter anderem neue Arbeiten von Martina Peters, Stephanie Wunderlich und Stefanie Reich präsentiert.
Aus Martina Peters‘ Beschäftigung mit Themen zur sexuellen Orientierung und Formen von Identitäten entstand ihr Interesse, Illustrationen im Mangastil zu Nöstlingers Buch „Bonsai“ anzufertigen. „Es ist eine Geschichte über einen Teenager, der herauszufinden versucht, welche Sexualität er eigentlich hat und zu welchem Geschlecht er sich dazugehörig fühlt. Die Erzählung ist eine spannende Reise zu der Frage, ob wir Abgrenzungen brauchen und ob nicht jeder so sein kann, wie er will, ohne von außen bewertet zu werden.“ Bebilderte Peters zu Beginn ihrer Auseinandersetzung jene Szenen, die ihr visuell am stärksten im Gedächtnis blieben, zeugen die später entstandenen Zeichnungen ihrer „Bonsai“–Serie von größerer Freiheit gegenüber dem Gelesen.
Stephanie Wunderlich zeigt digital montierte Scherenschnitte: „Ich habe den Gedichtband ‚Mein Gegenteil‘ von Christine Nöstlinger ausgewählt, da mir der feinsinnige Humor und die Absurdität der einzelnen Gedichte gefällt. Viele der lyrischen Texte handeln von Figuren, die renitent, aufmüpfig und gegen den Strich gebürstet sind. Beispielweise verweigern der Schutzengel und das Gespenst den Dienst in ihrer vorgegebenen Rolle. Der Sohn bringt mit seiner Sprache die Eltern zur Weißglut und setzt erst recht noch eine Provokation drauf. Auch negative Empfindungen und Zustände wie Traurigkeit, Einsamkeit, Hunger und Zweifel haben ihren Platz wie in ‚Berechtigte Forderung‘ und ‚Mein Gegenteil‘. Die Texte sind sehr realistisch und nah am Leben. Für damalige und auch heutige Verhältnisse eine ungewohnte, erfrischende Ansprache für Kinderohren.“
Für ihre Diplomarbeit illustrierte Stefanie Reich 2012 „Der schwarze Mann“ von Christine Nöstlinger neu. „Als ich wenig später für eine Neuausgabe der ‚Feuerroten Friederike‘ angefragt wurde, hat mich das sehr gefreut. Von Friederike hatte ich meine ganz eigene Vorstellung und so habe ich sie entsprechend in meinem Stil interpretiert.“ Besonders eine Stelle blieb Reich in Erinnerung, nämlich „als Friederike aus dem roten Buch vorliest: ‚Es gibt ein Land, dort sind alle Menschen glücklich. Auch alle Kinder. Niemand wird dort ausgelacht. Alle helfen einander.‘ Obwohl zu einer anderen Zeit gedacht, passen die Zeilen sehr gut für die Gegenwart.“

Stefanie Reich: Die feuerrote Friederike, 2012. © Privat

Stephanie Wunderlich: Sprachproblem, 2021. © Privat

Martina Peters‘ Manga-Zeichnungen: Bonsai, 2021. © Privat
Über die Autorin: Christine Nöstlinger wurde am 13. Oktober 1936 in Wien geboren und lebte hier als freie Schriftstellerin. Ihre zahlreichen Kinder– und Jugendbücher wurden weltweit publiziert und in mehr als50 Sprachen übersetzt. Nöstlingers schriftstellerische Tätigkeit begann 1968 mit der „Feuerrote Friederike“, die sie als Geschichte zu ihren Illustrationen schrieb. Mehr als 150 Bücher, unzählige Beiträge für Fernsehen und Radio – etwa der berühmte „Dschi-Dsche-i Wischer Dschunior“ – sowie Kolumnen für diverse Zeitungen folgten. Angelehnt an die Vielzahl ihrer Publikationen bezeichnete sich Nöstlinger selbst oft als „Buchstabenfabrik“.
Nöstlingers Werk wurde mehrfach verfilmt und international prämiert. Sie war die erste Trägerin des Astrid-Lindgren-Preises (2003) und erhielt den Andersen Award sowie unter anderem den Ehrenpreis CORINE für ihr Lebenswerk (2011), das Große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich (2011), den Bruno-Kreisky-Preis für ihr publizistisches Gesamtwerk (2012), Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen den Lebenswerk-Preis (2016).
Noch bis kurz vor ihrem Tod arbeitete die Autorin an Gedichten im Wiener Dialekt, die sich unter anderem mit dem Alter und dem Tod beschäftigen. Christine Nöstlinger starb am 28. Juni 2018 im Alter von 81 Jahren. Der Gedichtband „Ned das I ned gean do warat“ erschien, illustriert von Tochter Barbara Waldschütz, im April 2019 im Residenzverlag. Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=32865
www.karikaturmuseum.at www.christine-noestlinger.at
11. 11. 2021