sirene Operntheater online: Die Verbesserung der Welt
Juli 15, 2021 in Klassik, Tipps
VON MICHAELA MOTTINGER
Der gesamte Zyklus ab sofort zum Streamen

Die Verbesserung der Welt: 6 – Ikarus. Bild: © Helmut Hussian
Das sirene Operntheater hat vergangenen Herbst beim Festival „Die Verbesserung der Welt“ sieben Kammeropern zur Uraufführung gebracht. Nun sind diese Werke mit Untertitelung online abrufbar. In fast allen Kulturen und Religionen gibt es Tugendreihen, die das Bild eines idealen Menschen beschreiben. Das Besondere an der Tugend ist, dass sie bei aller Dringlichkeit der Empfehlung doch eine freiwillige Handlung bleibt, die das Gute zur persönlichen Entscheidung macht, zum Hinauswachsen über das
Gesetz aus Pflichten und Verboten. Insofern ist die Tugend so etwas wie Schönheit – sie ist nicht notwendig, aber sie ist ein entscheidender Schritt aus dem Minimum des Existierens in die Freiheit und Selbstbestimmtheit des Geistes. Damit ist sie ein Modellfall der aufgeklärten Souveränität des Menschen, die seine Würde und Persönlichkeit begründet.
Zu den ursprünglich sechs exemplarischen Werken der Barmherzigkeit aus der sogenannten Endzeitrede Jesu bei Matthäus, Hunger stillen, Durst löschen, Nackte bekleiden, Fremde aufnehmen, Kranke pflegen, Gefangene besuchen, fügte der Rhetoriklehrer Lactantius im dritten Jahrhundert noch die Ehrung der Verstorbenen hinzu und vervollkommnete damit analog zur Zählung der Todsünden die Siebenzahl. Die zunehmende verbale und ethische Verwahrlosung des Diskurses, die Verhärtung gegen jene, denen es schlechter geht, und das Gefühl, mit Europa und der Welt gehe es unaufhörlich bergab, hat Kristine Tornquist und Jury Everhartz dazu inspiriert, ja fast gedrängt, dem etwas Positives entgegenzusetzen. sirene erteilte sieben Autorinnen und Autoren, Komponistinnen und Komponisten den Auftrag, sich eines dieser Werke der Barmherzigkeit anzunehmen.

1 – Ewiger Frieden. Bild: © Armin Bardel

2 – Elsa. Bild: © Armin Bardel
Playlist DIE VERBESSERUNG DER WELT
1. Die Toten begraben: EWIGER FRIEDEN – Text: Kristine Tornquist, Musik: Alexander Wagendristel.
Eine Frachtkiste wird ins russische Bestattungsinstitut geliefert. Es handelt sich dabei um Cargo200, so die Bezeichnung für militärische Tote. Die beiden Bestatter verständigen die Witwe und machen sich auf ihre übliche Arbeit gefasst. Doch dieser Tote, stellt sich heraus, ist kein gewöhnlicher Fall, denn er ist in einem Krieg gefallen, den es nicht gibt. Derart geleugnet von der Staatsmacht sieht die Witwe keinen Bedarf an einem Begräbnis und der Leichnam steigt aus dem Sarg. www.youtube.com/watch?v=ASkHq2GZsqA
2. Die Nackten bekleiden: ELSA – Text: Irene Diwiak, Musik: Margarete Ferek-Petric.
Drei halbwüchsige Schüler wetten, wer von ihnen über die Ferien eine Frau dazu bringt, sich auszuziehen. Ein Foto soll es beweisen. der verwöhnte Nicolas löst diese Aufgabe wie gewohnt mit Geld. Er überredet die verschuldete Putzfrau Elsa, sich gegen Bezahlung vor ihm auszuziehen und fotografieren zu lassen. Eine moderne Paraphrase zu Schnitzlers Fräulein Else. www.youtube.com/watch?v=bSJd01PmViY

3 – Der Durst der Hyäne. Bild: © Armin Bardel

4 – Der Fremde. Bild: © Helmut Hussian
3. Den Durstigen zu trinken geben: DER DURST DER HYÄNE – Text: Kristine Tornquist, Musik: Julia Purgina.
Die kongolesischen Bauern Rosine und Mamadou haben ihre Kuh verloren – sie hat das Wasser des Flusses getrunken, in den die Kobaltmine ihre Abwäser leitet. Von der Mine ist keine Entschädigung zu bekommen, deshalb gehen sie zum traditionellen Zauberer, der ihnen verspricht, das Ungleichgewicht wieder zurechtzurücken, den Fluss zu reinigen und den Bauern ihre Kuh wiederzubeschaffen. www.youtube.com/watch?v=370SwYUX1CM
4. Die Fremden aufnehmen: DER FREMDE – Text: Martin Horváth, Musik: Gerhard E. Winkler.
Ein Fremder bittet um Unterschlupf. Der Vater der Familie nimmt den Fremden auf, er beruft sich auf das Gesetz der Nächstenliebe. Der Sohn ist empört, denn das Beherbergen eines Fremden ist gegen das Gesetz. Die Mutter ist von der fremden Kultur irritiert und mag vor allem nicht, dass der Fremde und die Tochter sich näherkommen. Die blinde Tochter allein sieht den Fremden mit den Augen des Herzens – vorurteilslos und mitfühlend.www.youtube.com/watch?v=QtZe2jd8ud4

5 – Amerika oder die Infektion. Bild: © Armin Bardel

7 – Die Verwechslung. Bild: © Kristine Tornquist
5. Die Kranken pflegen: AMERIKA ODER DIE INFEKTION – Text: Antonio Fian, Musik: Matthias Kranebitter.
Die Ärzte sind besorgt, die beiden alten Patientinnen leiden an einer Infektion. Frau Hinterleitner isst nichts mehr. Und Frau Obermaier ist verwirrt und phantasiert. Nur der Besuch ihres Sohnes, eines erfolgreichen Kochs in Amerika, von dem sie immerfort spricht, könnte ihr helfen. Doch der Sohn ist nicht aufzufinden. So wird ein junger Koch aus Ottakring überredet, für Frau Obermaier den Sohn zu spielen. www.youtube.com/watch?v=5NwndJzrCmo
6. Den Hungrigen zu essen geben: IKARUS – Text: Thomas Arzt, Musik: Dieter Kaufmann.
Victor, der junge Produktentwickler der Firma Ikarus, hebt ab. Auf seinem Höhenflug verliert er den Boden unter den Füssen: weder hat er Zeit für seine schwangere Freundin Marie und seinen Freund Alexander, noch für den Bettler, der vor dem Eingang des feinen Restaurants, in dem Victor mit seinen Geschäftspartnern diniert, hungert. Doch als die Erfolgskurve sinkt und Victor zur Umkehr oder vielmehr zum Absturz zwingt, findet er sich zuletzt gerade dort – als hungriger Habenichts vor der verschlossenen Tür. www.youtube.com/watch?v=_-HKpGnBpuc
7. Die Gefangenen besuchen: DIE VERWECHSLUNG – Text: Helga Utz, Musik: Thomas Desi.
Der junge Gustav sehnt sich nach Freiheit, er kritisiert das System der DDR. Als Systemfeind wird festgenommen. Während sein Vater hilflos verzweifelt, macht sich seine verwirrte Grossmutter auf, um Gustav im Gefängnis zu besuchen. Ihr Besuch erscheint den Beamten verdächtig und Gustav wird verprügelt. Er landet schwer verletzt in der Krankenstation des Gefängnisses bei der sanften Krankenschwester Pauline. www.youtube.com/watch?v=HYz0Lp0x4no&t=7s
Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=43890 www.sirene.at www.sirene.at/video
15. 7. 2021