Jüdisches Museum Wien: Jedermanns Juden

Juli 13, 2021 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Von Publikumslieblingen und Deportierten

Jedermann und der Tod auf dem Domplatz: Alexander Moissi und Luis Rainer, 1929. Bild: © ASF Photo Ellinger

Das Jüdische Museum Wien zeigt ab 14. Juli eine Rückschau auf 100 Jahre Salzburger Festspiele und die jüdische Teilhabe am weltweit bedeutendsten Festival der klassischen Musik und darstellenden Kunst. Vor 100 Jahren setzte der Theaterproduzent und Visionär Max Reinhardt gemeinsam mit dem Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal seine Vision für Salzburg um.

Sie erklärten die Stadt zur Bühne und Salzburg wurde zum Inbegriff für innovatives Theater auf Freiluftbühnen, Musik in absoluter Perfektion und Tanz als Ausdruck der Avantgarde. Jüdische Künstlerinnen und Künstler waren am Erfolg entscheidend beteiligt bis zur Machtübernahme des NSRegimes 1938.

Heute gilt es, sie wieder vor den Vorhang zu holen. Im Zentrum der Ausstellung stehen einige noch nie gezeigte Objekte aus dem Nachlass von Max Reinhardt sowie vielfältige Kunstwerke, die den Aufstieg der Festspiele bis heute, sowie die Lebenswege der verschiedenen handelnden Personen, ihre Karrieren und Fluchtwege nachzeichnet. Die erste Phase der Salzburger Festspiele von 1920 bis 1925 prägte Hofmannsthal mit seinen im

katholischen Erlösungsgedanken geschrieben Stücken „Jedermann“ und „Das Salzburger große Welttheater“. Letzteres inszenierte Reinhardt 1922 in der Kollegienkirche, was einen Skandal auslöste, da ihm Entweihung des Sakralraums vorgeworfen wurde. Während Karl Vollmoellers szenische Pantomime „Mirakel“ in Reinhardts Inszenierung in London und New York riesige Hallen bis zum letzten Platz füllte, fiel die Salzburger Adaptierung eher bescheiden aus.

Ihre Blütezeit erlebten die Festspiele von 1926 bis 1933: Um ein größeres Publikum anzulocken, inszenierte Max Reinhardt nun Komödien wie Goldonis „Diener zweier Herren“ und Shakespeares „Sommernachtstraum“, die spielerisch Musik und Tanz integrierten. Gleichzeitig fällt auf, dass zwar Schauspieler und Schauspielerinnen jüdischer Herkunft vertreten waren, doch nicht die wenigen Stars unter ihnen, die an anderen Orten aber sehr gerne mit Reinhardt zusammenarbeiteten.

Nach der Fertigstellung des Festspielhauses konnten weit opulentere Operninszenierungen realisiert werden. Im Architekten Oscar Strnad fand sich ein visionärer Bühnenbildner, in Bruno Walter ein Dirigent von Weltrang, der seine Karriere bei Gustav Mahler begonnen hatte. Dessen Schwager wiederum war Arnold Rosé, Konzertmeister der alljährlich in Salzburg aufspielenden Wiener Philharmoniker. Von der Wiener Staatsoper kamen nicht nur die Kostüme und die Kulissen, sondern auch die ProtagonistInnen. Die berühmten jüdischen Stimmen an der Oper waren weiblich: Rosette Anday, Claire Born, Elisabeth Schumann und andere gehörten zu den Stars ihrer Zeit.

Faust I, 1935: Max Reinhardt und das ewige Gretchen Paula Wessely (li.). Bild: © ASF Photo Ellinger

Genii locorum: Hugo von Hofmannsthal, Max Reinhardt und der schwedische Dirigent Einar Nilson. Bild: © ASF Photo Ellinger

Drei Jahre später im Nazi-Visier: Bruno Walter, Thomas Mann und Arturo Toscanini, 1935. Bild: © ASF Photo Ellinger

Der Künstlerclan in Salzburg: Hermann Thimig, Helene Thimig, Hugo Thimig und Max Reinhardt. Bild: © ASF Photo Ellinger

1928 gab die Leningrader Opernwerkstatt mit drei MozartOperninszenierungen ein von antikommunistischen Protesten begleitetes Gastspiel, Tilly Losch führte ihren Tanz der Hände auf, Hofmannsthal Tanzpantomime „Die grüne Flöte“ glänzte mit futuristischen Kostümen. Auf der BallettBühne beeindruckte die Choreographin Margarete Wallmann mit ihren Inszenierungen.

Die Plakate für 1938 mit den Stars Toscanini und Reinhardt waren schon gedruckt, doch nach dem Einmarsch deutscher Truppen entlud sich die lange aufgestaute Wut der lokalen Nazis in martialischen Aktionen: Die Synagoge und die wenigen jüdischen Geschäfte in Salzburg wurden verwüstet. Am 30. April 1938 fand am Salzburger Residenzplatz die einzige Bücherverbrennung in der Geschichte Österreichs statt.

Reichspropagandaminister Joseph Goebbels hatte jedoch das Problem, dass er nun eine Institution übernehmen und neugestalten wollte, die er jahrelang mit allen Mitteln bekämpft hatte. Katholische Programmpunkte wie der „Jedermann“ und die Kirchenmusik wurden abgesetzt, die jüdischen Protagonistinnen und Protagonisten waren längst verhaftet oder geflohen.

Hans Moser, Das Salzburger große Welttheater, 1925. Bild: © ASF Photo Ellinger

Nach Kriegsbeginn büßte die Inszenierung zusehends an Opulenz ein, zuletzt wurde fast nur noch vor Soldaten auf Heimaturlaub gespielt. Die amerikanische Besatzungsmacht hatte 1945 ihr Hauptquartier in Salzburg aufgeschlagen und erstrebte eine rasche Normalisierung des zivilen Lebens.

Einmal mehr boten die Festspiele eine internationale Kulisse. Um den künstlerischen Betrieb auf höchstem Niveau zu gewährleisten, wurden durch ihre Tätigkeit für das NS-Regime belastete Künstlerinnen undKünstler, wie Karl Böhm, Wilhelm Furtwängler, Attila Hörbiger, Herbert von Karajan, Clemens Krauss oder auch Paula Wessely nach einem kurzfristigen Auftrittsverbot wieder engagiert.

Zu den wenigen jüdischen Künstlerinnen und Künstlern gehörten der Schauspieler Ernst Deutsch, der in den folgenden 15 Jahre den Tod im „Jedermann“ spielte. Der Geiger Yehudi Menuhin kam zu zwei Gastspielen, um der vom NS-Regime verwüsteten Kulturlandschaft beizustehen. Der Opernregisseur Herbert Graf feierte einige gelungene Inszenierungen und war an den Entwürfen Clemens Holzmeisters für das Große Festspielhaus beteiligt …

www.jmw.at

13. 7. 2021