Akiz: Der Hund
Februar 22, 2020 in Buch
VON MICHAELA MOTTINGER
Ein Kellerkind steigt empor zur Haute Cuisine
„Wirre Gedanken setzten sich auf das Fensterbrett meiner Seele und zwinkerten mir zu, fremde und unheimliche Bilder tauchten in meinem Kopf auf, dann zündeten die Geschmacksnerven auf meiner Zunge.“ So beschreibt der Erzähler seinen ersten Kulinargasmus. Mo manscht grausiges Fastfood in einem grindigen Dönerstand, und der ihm die Köstlichkeit kredenzt hat, ist der neue Putzfetzen für volle Bratfettkästen, versiffte Arbeits- platten und die Straßenscheiße auf den Mercedesreifen des Chefs.
Was Mo probiert hat – aus Zigarettenstummeln gekratzten Tabak, scharf angebraten, serviert auf angebrannten, mit ausreichend Wodka abgelöschten Brotkrümeln – ein Gedicht-Gericht!
„Der Hund“ hat es komponiert, so nennt Autor Akiz den titelgebenden Außenseiter seines Debütromans, und wer denkt, DBC Pierres „Das Buch Gabriel“ wäre überbordend-unappetitlich-barock gewesen und Juan Bas‘ „Skorpione im eigenen Saft“ hart jenseits der Grenze des guten Geschmacks, der muss sich erst einmal Akiz‘ Roman à la Amuse Gueule auf den Hirnsynapsen zergehen lassen.
Inspiriert hat den hauptberuflichen Filmemacher sein bester Freund, dank dessen Job im Il Nido in Santa Monica, wo weiland die Hollywoodstars dinierten, und sich die mexikanischen Köche nach Dienstschluss zu illegalen Straßenrennen versammelten. Akiz ließ sich sogar selbst von einem Restaurant anheuern, um die Brigade bei ihrer allabendlichen Küchenschlacht en détail zu studieren. Sein Method Writing ist dem Resultat anzumerken, in lapidar-sarkastischen Sätzen trennt er die Dekadenz des Speisesaalparadieses von der Hölle an den Herden, schildert die Götzenverehrung seltener Salze und mysteriöser Mineralwässer wie den Tanz ums goldene Kalb.
So viel Bibelvers muss sein, nicht umsonst spielt sich bald alles im Gourmettempel „El Cion“ ab, in den der Hund wie ein chaotischer Dämon eindringt, um dort für alle Ewigkeit die Zehn Kochgebote zu zerschmettern. „Der Hund“ ist von jener grotesken Sinnlichkeit aus Blut, Schweiß und Tränen, nicht nur erstere Körperflüssigkeit von Mensch wie Tier, die den doppelmoralischen Balanceakt zwischen Nutztierquälerei und wollüstigen Delikatessern ausmacht. So sehr der von Akiz spitzfedrig „Nido“ genannte Gourmetkritiker, ein in seiner Grausamkeit gnadenloser, Sterne vom Restauranthimmel holender Gott, auf die Satire der Avantgarde-Cuisine-Szene verweist:
Die „Tradition“, den seltenen und geschützten Ortolanen, die Augen auszustechen, weil blinde Vögel mehr fräßen, bevor die nunmehrigen Fettammern in Armagnac nicht ge-, sondern ertränkt werden, gibt es tatsächlich. Diese Prozedur ist eine der Stellen im Buch, an denen einem auch als keineswegs Kostverächter der Gusto vergeht. Müsste man „Der Hund“ in Bildern wiedergeben, sie wären wohl nicht unähnlich denen aus Akiz‘ surrealem Horrorthriller „Der Nachtmahr“ (www.youtube.com/watch?v=xrQkasMhy6Q).

Bild: pixabay.com

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„Der Hund“ also. Steht in der Dunkelheit plötzlich vor Mo. Ungewaschen, langzottert, Augen wie Stecknadeln, irgendwie abartig. „Sein Gesicht wirkte fiebrig, gierig und triebgesteuert, fast schon pervers, aber irgendwie auch wie von einer filigranen Statue aus einer anderen Zeit.“ Er soll aus einem Erdloch, einem Keller im Kosovo gekrochen sein, einer rabenschwarzen, totenstillen Kindheit, wo sich in der Isolation sein Geschmackssinn allerdings in lichte Höhen schraubte. Der Hund kann Lebensmittel lesen, kann „schmecken, ob die Kartoffeln in der Nähe der Autobahn geerntet wurden oder das Fleisch von einem Tier stammte, das schmerzlos oder qualvoll hingerichtet wurde.“ Er sieht beim Essen „die schwitzenden Titten der Frau hinter dem Herd und die nikotingelben Achseln der Gabelstapelfahrer in den Großlagerhallen“.
Mo, der an besseren Tagen in Moskaus Elitelokalen gebrutzelt hat, wittert eine zweite Karrierechance. Mithilfe des Hunds will auch er einen Platz in der Palast-Küche ergattern, im „El Cion“, doch bedenkt er bei seinem „Ein Hund kam in die …“ nicht, was der schweigsame geschätzt Zwanzigjährige dem vor Zorn brüllenden Küchenbullen alles zu stehlen gedenkt, Würde, Wertschätzung, das lässig-laszive Eheweib, womit sich wie für den Eierdieb aus dem Volkslied Valentinos Küche in eine Todeszone verwandelt – Valentino! Gerade erst aus dem Gefängnis entlassen, inhaftiert gewesen, weil er einem unzufriedenen Gast die Vorderzähne ausgeschlagen hatte.
Akiz zeichnet seine Figuren wie das Cabinet des Dr. Caligari. Valentino, müde, aggressiv, halb wahnsinnig, weil getrieben von einer rastlosen Suche nach innerem Frieden, ist Herr über ein Heer wie somnambul schuftender Nachtwesen, Aufputschmittel abhängiger, arroganter Spitzenköche, in High Heels verdammte Servierkräfte, die sich die Rückenschmerzen wegkoksen. Souschefin Lilly ist ein bigotter, platinblonder Pitbull, der alles hasst, „was einen Schwanz hatte“, weshalb deren Träger im Männerberuf auch fürchten, von Lilly gebissen zu werden. Die Gäste gleichen Karikaturen derselben – Wirtschaftsbosse, Politiker, Prominente aller Art, allesamt ausgestattet mit dem „vulgären Selbstbewusstsein“ des Geldadels, die ihre jeweiligen Eroberungen ins El Cion „wie hochgezüchtete Rennpferde in die Arena“ führen. Zum ebenfalls haubenheißen Konkurrenzlokal herrscht Kalter Krieg, der gebissbeschädigte Besucher soll dessen Spion gewesen sein.
Derart plastisch entwirft Akiz seine skurrile Parallelwelt, Kopf, Bauch und Arsch einer Zwei-Klassen-Gesellschaft auf den beiden Seiten des Passes, in der jene, die die Orgie vorbereiten, niemals zu deren Vollzug eingeladen sind, deren Perspektiven Akiz hingegen problemlos wechselt. Ein gutes Drittel von 190 Seiten verwendet er für die Erschaffung des Mythos „Hund“, bis der wie der Antichrist ins Allerheiligste einbricht, bis aus dem geprügelten ein bissiger wird, eine Legendengestalt, die durch ihre Heraufbeschwörung immer mehr verwischt. Und apropos, heraufbeschwören: Mitten drin Mo, der wie ein neutestamentarischer Prophet mit immer neuen Gleichnissen und in Romanform bereits retrospektiv die bevorstehende Apokalypse ankündigt.

Bild: pixabay.com

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Der Hund wird zum Star, was er im Wortsinn anrichtet, sieht zwar aus „wie ein überfahrenes Tier am Straßenrand, dessen aufgeplatzte Gedärme auf dem heißen Asphalt verteilt sind“, aber der Geschmack! Gemahnt an das Gelage eines „bockfüßigen, dauergeilen, hakennasigen, nackten Gottes, dem dralle Frauen mit dicken Titten ohne Unterbrechung Weintrauben in den Mund stopfen, während sie auf seinem Gesicht reiten“. Seine archaischen Kreationen werden als kontroverse, unverschämte Kunstwerke gefeiert, schon hat die hysterische Society dafür die Losung Cuisine Brut parat – da befiehlt Valentino dem Hund seine Frau Alisha zu bekochen. Und die ist schärfer als jedes seiner Messer.
Dass diese nicht nur schneiden, sondern auch fliegen können, liest sich aus dem Folgenden: eine Verführung, gegen die der Schlange mit ihrem Apfel läppisch wirkt, endlich die Epiphanie des Nido, ein letztes Abendmahl mit gülden-giftiger Jīn-Wā-Kröte. Das Ende entfaltet sich als unheilige Dreifaltigkeit, eine Dessertvariation so gar nicht nach literarischem Standardrezept, darf man doch offenbar sein bevorzugtes wählen. „Der Hund“ wird nicht jedem munden, der Leser muss willens sein, sich auf Akiz‘ anstößige Extravaganza einzulassen. Hat einen das Verschlingen des Buchs aber süchtig gemacht, hofft man auf seinen nächsten Schritt Richtung Sphärenküche, heißt: Akiz‘ Verfilmung seines Stoffs.
Über den Autor: Akiz, geboren 1969, lebt als Regisseur und Drehbuchautor in Berlin und Los Angeles. Bekannt wurde er durch Filme wie „Das wilde Leben“ und „Der Nachtmahr“, mit dem er auch bei der Viennale zu Gast war. Einer seiner Freunde jobbte in den Neunzigerjahren in einem Edelrestaurant in Los Angeles. Dort am Pass, wo das Essen aus der Küche an die Kellner überreicht wird, kam Akiz die Idee zu seinem ersten Roman.
hanserblau im Carl Hanser Verlag, Akiz: „Der Hund“, Roman, 192 Seiten.
Akiz über „Der Hund“: www.youtube.com/watch?v=PgU6G1UPfvE
www.hanser-literaturverlage.de www.akizzz.com
- 2. 2020