Rabenhof: Jö Schau

April 25, 2019 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Genialische Hommage an Georg Danzer

Jö Schau: Oliver Welter, Christoph Krutzler und Lucy McEvil singen Georg Danzer. Bild: © Rabenhof / Sophie Menegaldo Newman & Co

Beim Intro von „Jö Schau“ ist bereits klar, dass hier nicht nach Vorschrift musiziert werden wird. „Der Nackerte im Hawelka“ wird nämlich als Viergesang intoniert, die ausführenden Akteure sind Lucy McEvil, Christoph Krutzler, Oliver Welter und Alf Peherstorfer, das Nestroypreis-Quartett für den André-Heller-Abend „Holodrio, lass mich Dein Drecksstück sein!“ im Rabenhof. Nun haben sie sich ebendort das Œuvre von Georg Danzer vorgenommen, und genialischer als mit dieser Hommage kann man den legendären Liedermacher gar nicht würdigen.

Oliver Welter hat als musikalisches Mastermind der Unternehmung die Songs neu arrangiert, Hausherr Thomas Gratzer wie schon bei „Holodrio“ die Regie übernommen – mit dem Ergebnis einer Aufführung, die das gestrige Premierenpublikum am Ende ausgiebig akklamierte.

„Jö Schau“ führt in die Wiener Vorstadt und zur dort beheimateten Halbwelt. Veronika Tupy stellt dafür ein Café-Beisl auf die Bühne, das definitiv schon bessere Tage erlebt hat, ein 70er-Jahre Setting samt Flipper und ausrangiertem Autodrom-Mobil, auf den Tischen die Zeugen der Nacht, Gösser, Stoli und Asbach.

In diesem Etablissement geben Lucy McEvil, Oliver Welter und Christoph Krutzler die Trottoirschwalbe in der Leoparden-Kombinesch, den Ledersakko-Strizzi und den Goldketterl-überm-Feinripp-Träger, Peherstorfer in bewährter Manier den Barpianisten. Die Gemütslage unter den Gestrandeten in dieser schäbigen Spelunke ist Langeweile, man wartet auf einen Kunden oder den Rausch, und weil beides nicht kommt, hebt man halt zur Singerei an. Das heißt, nicht nur.

Das Ensemble interpretiert diverse Danzer-Texte auch ohne Tonkunst, und tatsächlich, gesprochen erweist sich umso deutlicher, welch großer Poet der gegen seinen Willen mit dem Austropop-Mascherl Versehene war. Welters Werk-Auswahl beinhaltet sowohl die großen Hits als auch wiederzuentdeckende Kleinode, sie reicht von den Spaßliedern übers Schwermütige bis zu den gesellschaftskritischen Songs, und selbstverständlich hinüber ins Suderantische und Versaute. Die Darsteller machen aus Danzers mit Gaudenzdorfer Auskennertum geschaffenen Miniaturen allerhand Typen – solche zum Bemitleiden und solche zum Abgrausen. Mit Charme und Witz und Hang zum Kabarettistischen gestalten sie des Schöpfers Ang’soffene und Ang’speiste, Kniera und Tachinierer, Gfrastsackln und Auf-die-Goschn-Gefallene, seine alter egoistischen Hirnzermarterer und die Zyniker.

Lucy McEvil als Elfi mit Alf Peherstorfer. Bild: © Rabenhof / Sophie Menegaldo Newman & Co

Vorstadtcasanova Christoph Krutzler greift zur Gitarre. Bild: © Rabenhof / Sophie Menegaldo Newman & Co

Lucy McEvil kann sogar ein „Geh in Oasch“ mit Sexappeal ausstatten und ergreifen, wenn sie über „Meine arme tote, aufgeschnittene Mutter“ sinniert, Oliver Welter darf zwischen „Ruaf mi net aun“ und dem „Legendären Wixxerblues“ sein Selbstmitleid verschmachten, mitunter dazu countrymäßig heulen wie ein Schlosshund, und gemeinsam mit Christoph Krutzler la Lucy im Dialog „San Sie ledig/Zieh dich aus“ als Möchtegernmacho bedrängen. Aus der „Elfi“ fertigen McEvil und Welter ein Duett, singt sie eben „du woast dreizehn joa“ und er „du woast anazwanzg und wunderscheh fia mi“, die „Ballade vom versteckten Tschurifetzen“, auf Hochdeutsch: ein Intimpflegetuch nach dem Geschlechtsverkehr, präsentiert McEvil mit Alf Peherstorfer als Rap.

Danzers Stücke eignen sich perfekt fürs Schauspielen, eine Disziplin, in der Christoph Krutzler zur Hochform aufläuft, der im ebenfalls gemeinsam mit Welter vorgetragenen Mix von „I verlass di/I wünsch da vü Glück“ und der Zeile „laß die mutter sche griaßen / und der nachbarin ihr’n hund“ eine neue Dimension weinerlicher Tragikomik anpeilt. Als so großmäuliger wie minderbegabter Mime macht er aus „Ich bin da Mörda“ ein Kabinettstück, als „Vorstadtcasanova“ greift er zur Klampfn, um die Damen zu Gitarrenklängen „übas glanda“ zu biagn. Es rührt ans Herz, Danzers Dialekt- und Kraftausdrücke, seine Wienerismen zu hören, die mittlerweile so akut vom Aussterben bedroht sind.

Mittendrin wird’s – wiewohl die Lieder alle zu Beginn der 1980er-Jahre entstanden sind – politisch, brisant, hochaktuell. Lucy McEvil singt  „Ruhe vor dem Sturm“, Christoph Krutzler über „Die Freiheit“, die im Zoo als seltene Art ausgestellt worden, hinter Gittern aber spurlos verschwunden ist. Dem Song hat Oliver Welter einen afrikanischen Rhythmus unterlegt, während er, als „Der alte Wessely“ von Hitler schwärmt, der „mid der gaunzn ausländischn bruat“ aufgeräumt hätte, sein Klavierspiel ins Atonale gleiten lässt. Schließlich „Ihr habt die Macht“: „euch geht es nicht um unser wohl / das lässt euch völlig kalt / und hinter eurem lächeln steckt / die fratze der gewalt / das recht, das ihr euch anmaßt / heißt nicht gerechtigkeit / gesetze panzern eure welt / doch nicht für alle zeit / noch täuscht ihr viele / doch ihr seid von einigen durchschaut / und irgendwann da kommt der tag / wo euch kein mensch mehr traut / ihr haltet uns in finsternis / doch wir entzünden licht / ihr habt die macht / noch habt ihr sie – / unsre liebe / habt ihr / nicht“.

Geh in Oasch: Lucy McEvil, Oliver Welter, Christoph Krutzler und Alf Peherstorfer. Bild: © Rabenhof / Sophie Menegaldo Newman & Co

Dem ist nichts hinzuzufügen. Außer natürlich „Lass mi amoi no d’Sunn aufgehn’n segn“ am Schluss und Standing Ovations danach, außer, dass man gern noch den „Frauenmörder Wurm“ oder die „Alte Drecksau“ oder übers Haschisch im Schokoladenei gehört hätte … oder … oder … oder? Verehrter Herr Danzer, meine Verehrung, habedere, werte Rabenhof-Truppe.

Video: www.youtube.com/watch?v=ajScO1D7hBw&feature=youtu.be

www.rabenhoftheater.com

  1. 4. 2019