Christine Nöstlinger: Ned, dasi ned gean do warat
April 20, 2019 in Buch
VON MICHAELA MOTTINGER
Die letzten Gedichte der großen Menschenkennerin
„I frog mi imma: Wos is schlimma? Bes oda bled?“, lautet eine Gedichtzeile von Christine Nöstlinger. Dies nur eine der Erkundungen, die die Menschenkennerin und Alltagsbeobachterin im nun im Residenz Verlag erschienen Lyrikband „Ned, dasi ned gean do warat“ unternimmt. „Dass sie tatsächlich in ihrer letzten Schaffensphase nach mehr als 30 Jahren wieder zur Dialektdichtung zurückkehrte, war eine Überraschung und zunächst auch ihre Privatangelegenheit; sie hat es nämlich in den zahlreichen Gesprächen und Interviews kaum oder nie erwähnt und auch keine Anstrengungen unternommen, diese Werke zu veröffentlichen“, weiß Gerald Votava.
Der ein fabelhaftes Nachwort zu den 22 Poemen verfasste, die die Nöstlinger in ihrem letzten Lebensjahr geschrieben und als ihre finale literarische Arbeit hinterlassen hat. Man kannte einander. Votava spielte in der Leinwandadaption von Nöstlingers autobiografischem Roman „Maikäfer flieg“ (Filmrezension: www.mottingers-meinung.at/?p=17909, Votava im Gespräch: www.mottingers-meinung.at/?p=18019) und im Rabenhof in einer Theaterfassung von „Iba de gaunz oamen Leit“.
Am 9. Mai wird er ebendort gemeinsam mit Ingrid Burkhard, Michael Köhlmeier und Walter Soyka „Ned, dasi ned gean do warat“ präsentieren. Tiefsinnig, rabenschwarz und voll lakonisch-heiterer Zwischentöne, so lesen sich diese neuen Dialektgedichte. Sie erzählen von Sorgen und Hoffnungen, von Bösartigkeiten und von dem Umgang mit dem Alter: „D Haud is foitat wuan / und din wia Seidnbabia / S Heaz globfd efda / dobed so schnö wias soi / d Schriad wean ima woglada, / vund oidn Freind kuman / schdod Aunsichdskoatn / Badazzedln, … Owa waunsd aufn Friedhof / in da Aufborungshalle / a bissl probelign wüsd / kumd glei d Rettung / und bringt di aufd Bsichatri.“
Ob Beziehungskrisen, Scheidungskriege und darob Messerstechermorde, Sich-schiach-Finden oder Anders-Sein und noch tausend Ängste und Heimlichkeiten, die einem das Leben versauen, das Miliö, das Vabrecha mocht, oder der alltägliche Auslenda-Hoss, Nazis und Konsorten, die die Mitmenschlichkeit gefährden, Nöstlinger will und kann über all das reimen. „Der Rechtsextremismus in seiner gegenwärtigen Entwicklung“, so Votava, „war in Gesprächen mit Christine Nöstlinger ein immer wiederkehrendes Thema.“ Es waren wohl ihr Aufwachsen zu Zeiten des Nationalsozialismus, das Nöstlinger zu jener unbestechlichen politischen Klarheit brachte, die sie wieder salonfähig gemachte Politkonzepte und deren Propaganda-Techniken sowie die aktuellen sozialen Ungerechtigkeiten durchschauen ließ.

Bild: pixabay.com

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Dass sie zuletzt verstärkt zum Zeit-Ungeist befragt wurde, sagt viel über die heutige Gesellschaft aus. „Gelebt hab‘ ich während der Nazi-Zeit. Ich weiß also, wie leicht die Leute böse und unmenschlich werden können. Das geht über Nacht, bitte. Diese ,Tuchent der Zivilisation‘ scheint mir sehr löchrig und leicht wegzuziehen zu sein“, formulierte Nöstlinger in einem Gespräch mit der Kontrast Redaktion im Juli 2018. „Wenn ich 40 wäre, würde ich sagen: ,Okay, die Vernunft muss überwintern und kommt wieder.‘ Aber so lange ich lebe, wird sie nicht wiederkommen. Und damit habe ich nicht gerechnet“, zitiert Votava sie aus einem Deutschlandfunk-Interview mit Ute Wegmann aus dem selben Jahr. Mag sein, dass diese Erkenntnisse die Mauna und Fraun, selbst die Kinda, in ihrer Lyrik brutaler, grässlicher, brachialer werden ließen, als in ihren Kinder- und Jugendbüchern. Das Gedicht als Dampfventil für die Dichterin, ist ein Gedanke, der betroffen macht.
„Da Meia“, schreibt sie, „is echa so a Schdüla, sogd / sei Rua haum wüla … Noch dem, wos da Nochba hean kau / redta schdundenlaung sein Goldfisch au … wosa denen dedad / wauna d Mochd dazua hedad. / Daschiasn, dastechen, dawiagn, / da kaunst de Ganslhaud griagn. / Und des sann o de hoamlosan Sochn. / Dea ded no vü wos Eagares mochn, / wia mid an Kometn d Wöd daschlogn / Soi ma des an Bolizisdn sogn?“
Nöstlinger hegt Sympathien für die Spinner und Außenseiter. Ihre neuen Charaktere erinnern natürlich an die oamen Leit und sind doch Figuren des Jetzt. Nicht nur da Meia und seine allein mit dem Goldfisch geteilten geheimen Gewaltfantasien, auch die arbeitsscheue Jasmin vun da Vira-Schdiagn oder der Westbaunhof-Rudl, der sich jeden Tag die kleinen und großen Dramen entlang des Bahnsteigs anschaut, und das sein Leben nennt. Oder da berümte Mola, der, zum Erstaunen der anderen Beisl-Besucher, wira Sandla daheakummt. Das Herz schnüren einem Verse ab, über Kinder, die aus Fenstern fallen:
„In Wien / in Favoritn, in Meidling, owa a mittendrin, /foit jede Wochn / daweu de Mama in da Kuchl beim Kochn, / a Kind ausn Fensta. / Vielleicht sich i jo eh nua Gschbensta, / owa i man, de Gschroppn woin si afoch hamdran. / San auf den Schas / vun eanara Zukunfd ned has. / Sogn si, i daschboa / ma sibzg grodngrausliche Joa. / De Wadschn / waun di d Gschwisda vagadschn. / Des Sitznbleim / und des unnedige Bewabungsschreim / den Stress / mit de Voideppn beim A-em-es, / des Unglik / mid da hasn Liebe aufn easchdn Blik, / und aum End / foasd mid woglade Gnia und zidrige Hend / den Roladoa spazian. / Do vatschüsd si do jeda Gschrob mid Hian / bevua eam s Lem / de bahoate Härtn kaun gem.“

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Typisch Nöstlingers verquerer Humor, möchte man da sagen, dies Wechselspiel von Poesie und Sarkasmus, die hohe Kunst, ihren Leserinnen und Lesern beim Lachen ebendieses im Halse stecken zu lassen. Dass man mir ihr hat „wundervoll depperte Witze machen können oder sich gemeinsam an der Genialität und Magie von Leonard-Cohen-Songs erfreuen, über das Fernsehprogramm lachen oder sich über sexuelle Phänomene der Gegenwart austauschen“, bestätigt Gerald Votava.
Christine Nöstlingers unnachgiebiges Auftreten gegen Rassismus, Sexismus, Diskriminierungen jeder Art, war in ihren späten Jahren stets Gegenstand ihrer Betrachtungen. Ihr Feminismus war prinzipiell ein konstruktiver, einer, der nicht den Machtkampf von Mann gegen Frau suchte, sondern ausgleichende Gerechtigkeit, die Möglichkeit für beide Geschlechter, aus absurden Rollenverhältnissen auszusteigen und das Gemeinsame weiterzuentwickeln. Dass ihr der emanzipatorische Kragen dennoch platzten konnte, zeigen ihre Zeilen über eine geprügelte Frau: „Worum losdsasi grin und blau haun vun eam? / Worum losdsasi wia depat schimpfn vun eam? / Worum mochds daun no d Haxn brad fia eam? / Worum trend sa si denn ned endlich vun eam? … weu ma a ois Putzfetzn mid sim Euro d Stund / ned was, wia ma one Mau d Kinda durchbringa soi.“
Für die wesentlichste frauenrechtlerische Forderung an die Sprache, hatte die Sprachkünstlerin übrigens eine patente Lösung parat. Aus dem Falter, 2018: „Ich bin allerdings ein Hasser des Binnen-I. Ich halt’s einfach nicht aus, was hinzuschreiben, was ich nicht reden kann. Und dann die Weiterungen mit der, die, das, ich kenn mich ja schon gar nicht mehr aus, einen schrägen Strich oben, einen unten. Aber von mir aus soll man doch ÄrztInnen mit kleinem i schreiben. So viele Jahrhunderte gibt es Ärzte, dann gibt es ab jetzt halt nur noch Ärztinnen.“
Über die Autorin: Christine Nöstlinger, 13. Oktober 1936 bis 28. Juni 2018, lebte als freie Schriftstellerin in Wien. Ihr Werk wurde international vielfach ausgezeichnet. Sie war die erste Trägerin des Astrid-Lindgren-Preises (2003) und erhielt den Andersen Award sowie unter anderem den Ehrenpreis CORINE für ihr Lebenswerk (2011), das Große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich (2011), den Bruno-Kreisky-Preis für ihr publizistisches Gesamtwerk (2012), Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen den Lebenswerk-Preis (2016). Zuletzt erschienen: „Glück ist was für Augenblicke. Erinnerungen“ (2013).
Residenz Verlag, Christine Nöstlinger: „Ned, dasi ned gean do warat“, Gedichte, 80 Seiten. Mit einem Vorwort von Michael Köhlmeier, einem Nachwort von Gerald Votava und Illustrationen von Barbara Waldschütz.
- 4. 2019
[…] Noch bis kurz vor ihrem Tod arbeitete die Autorin an Gedichten im Wiener Dialekt, die sich unter anderem mit dem Alter und dem Tod beschäftigen. Christine Nöstlinger starb am 28. Juni 2018 im Alter von 81 Jahren. Der Gedichtband „Ned das I ned gean do warat“ erschien, illustriert von Tochter Barbara Waldschütz, im April 2019 im Residenzverlag. Rezension: http://www.mottingers-meinung.at/?p=32865 […]