Franzobel: Rechtswalzer
März 20, 2019 in Buch
VON MICHAELA MOTTINGER
Groschen-Roman rund um den Regierungskrimi
Es wird Seite 356, bevor endlich in der Staatsoper getanzt wird, eng an eng, eins, zwei – drei, Hetz und Hetze im Menschengewühl, wer’s mag. Der Leser jedenfalls ist schon vorher atemlos, nach einer wilden Jagd durch skurril-sadistische Mordszenen und politische Minenfelder, und wenn der Fernsehkommentator schließlich sagt, „an diesem Abend wird die Erde in Österreich wieder für flach erklärt“ (nämlich zum Tanzparkett), dann zielt Franzobel mit diesem Bonmot letztlich auf jenen reaktionären, restriktiven Zeit-Ungeist, dem er mit seinem neuen Krimi den Kampf ansagt.
„Rechtswalzer“ ist Franzobels dritten Groschen-Roman, heißt: dass er auch diesmal Gruppeninspektor Falt Groschen als Ermittler einsetzt. Das Jahr ist 2024, eine Zukunft ganz nahe, zu nahe am Heute, sind die Straftaten doch nur der Rahmen für das dystopische Gesellschaftsbild, das der Autor entwirft. Als hätten bei ihm angesichts der aktuellen nationalen Stimmung im Land sämtliche Gefahrensensoren angeschlagen, ist dieses Atmosphärische von Vaterland und Muttersprache auch das Beste am Buch.
Das fruchtbar Scheußliche an diesem durchaus popliterarisch durchzuschmökerndem Text ist, dass einem nichts mehr an den Haaren herbeigezogen, aus der Luft gegriffen, in Österreich unmöglich erscheint. „Rechtswalzer“ ist eine beißende Satire, erzählt mit sarkastischem Wortwitz, die die herrschenden Verhältnisse zur Kenntlichkeit entstellt. Das Setting: Türkis-Blau ist gescheitert, die LIMES-Bewegung hat die Wahl gewonnen und damit begonnen, den Staat nach ihren Vorstellungen umzugestalten: „neue Verfassung, ein nationales Glaubensbekenntnis, alle Medien hatten sich gegenüber einer Regierungsbehörde zu verantworten, Sozialhilfeempfänger mussten gemeinnützige Arbeit verrichten …“ Die Partei für den „wahren Sozialismus“ ist – vor allem antiislamisch – angetreten, um die „westlichen Werte“ und das „christliche Abendland“ zu verteidigen. Weshalb der zuständige Minister das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung in „Amt des Glaubens“ umbenennt.
Und alldieweil das Volk dem sich Meister nennenden Regierungschef huldigt, sein Vize ist das Meisterlein, die Wegseher nichts bemerkt haben wollen von Staatsgewalt und Willkür, verschwinden nach und nach Intellektuelle, Künstler, kritische Journalisten in Umerziehungslagern, wird der rechtsradikale Rand der Szene entdämonisiert, werden Muslime in Geschäften nicht mehr bedient, am Ende ausgewiesen, nachdem sie ihr Vermögen zurücklassen mussten. In dieses Vierte Reich pflanzt Franzobel drei Krimihandlungsstränge. Zum einen ist da Malte Dinger, stolzer Besitzer einer Bar für erlesenen Gin, Ehemann und Vater, optisch ein Oskar-Werner-Typ, inhaltlich typisch Bobo mit Sinn fürs Savoir Vivre, für den eine Fahrscheinkontrolle zur Katastrophe wird. Malte wird beim Schwarzfahren erwischt, weil er renitent ist, rufen die Schwarzkappler die Polizei, es kommt zu einem Handgemenge, bei dem Malte versehentlich einem Beamten einen Zahn ausschlägt – und schon geht’s ab ins Gefängnis, erst ins Landl, dann nach Stein, aus Untersuchungshaft werden 25 Jahre, denn der LIMES hat die Gesetze empfindlich verschärft.
Während sich für Malte eine kafkaeske Abwärtsspirale dreht, wird der dauergrantelnde Groschen zu einer Leiche gerufen, der Ermordete wurde mit einem brennheißen Klistier ums Leben gebracht. In der Wohnung finden sich die Fingerabdrücke eines Gemeindesekretärs aus Untergrutzenbach, Edwin Kalterer, und der erscheint auch gleich, um Groschen eine abenteuerliche Geschichte über Amtsmissbrauch und Korruption in seinem Provinzkaff aufzutischen, bevor er spurlos verschwindet. Also, und dies der dritte Twist, macht sich der Kommissar auf ins Weinviertler Antiidyll, wo er einen emsigen LIMES-Bürgermeister und die Baumeistersfamilie und LIMES-Großspender Hauenstein kennenlernt, die gar kein großes Geheimnis aus ihren gemeinsamen krummen Geschäften machen.
Was Franzobel in der Tat großartig beherrscht, ist die Beschreibung von Lokalkolorit und Personen, er erweist sich als genauer Beobachter diverser heimischer Gesellschaftsschichten, vom ennuyierten Geldadel bis zum Häfn-Milieu, von gewieften Politberatern bis zu glatzköpfigen Neonazis. Dabei bedient er sich gern der Genresprache, wenn er diese „Mensch gewordene Pitbulls“ nennt, oder über Groschens Sekretärin schreibt, „die dralle Blondine mit dem Sexappeal einer jungen Marilyn Monroe schien aus allen Nähten zu platzen“, und andere Wisecracks, die einen an Carter Brown denken lassen.
Das im Wortsinn Kapital-Verbrechen der Hauensteins unterfüttert Franzobel mit dem bestialisch erschlagenen Witwentröster der Patriarchin, einem ung’schmackig per Klobesen zu Tode gefolterten Hausmädchen und einem – Maltes Zellengenosse – an der Türklinke erhängten Ex-Lobbyisten. Und derweil er die drei Handlungsverläufe sich miteinander verknüpfen lässt, wird aus Morden der Balkanmafia ein Wirtschaftskrimi um Österreichs wertvollsten Rohstoff. Alles kulminiert auf dem Opernball, wo Franzobel im Gegensatz zu Josef Haslinger eine einzige Terroristenzelle nicht ausreicht, sondern mehrere Attentäter ins Spiel kommen. Das furiose Finale dieses rasanten Pageturners, der sich als Posse ausgibt und dennoch keine ist, und auf dessen Red Carpet sich von Volks-Rock’n‘Roller-Verlobter über Ex-Operettendiva mit blondierter Pudelfrisur bis zu den beiden wichtigsten „Ballmüttern“ Wiens einiges an High Society wiedererkennen kann. Schönster Satz des Ganzen: „In Österreich ist noch nie jemand an Oberflächlichkeit zugrunde gegangen.“
Über den Autor: Franzobel, geboren 1967 in Vöcklabruck, erhielt unter anderem den Ingeborg-Bachmann-Preis, den Arthur-Schnitzler-Preis und den Nicolas-Born-Preis. Bei Zsolnay erschienen zuletzt die Krimis „Wiener Wunder“ 2014 und „Groschens Grab“ 2015 sowie 2017 der Roman „Das Floß der Medusa“, für den er auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis stand und mit dem Bayerischen Buchpreis ausgezeichnet wurde. Sein neuestes Buch ist der Krimi „Rechtswalzer“.
Zsolnay, Franzobel: „Rechtswalzer“, Kriminalroman, 416 Seiten.
www.hanser-literaturverlage.de/verlage/zsolnay-deuticke
20. 3. 2019
Ich hab’s hörbuch, hervorragend gelesen vom Robert Reinagl sehr zu empfehlen…….
Danke für den Tipp!
[…] einer Bearbeitung von Franzobel (Rezension von dessen aktuellem Roman „Rechtswalzer“: http://www.mottingers-meinung.at/?p=32483). Bis zum Start der Generalsanierung kehren bekannte Regiekräfte auf die Hauptbühne des […]
[…] hat doch auch Franzobel, wie er zuletzt mit der Krimigroteske „Rechtswalzer“ (Rezension: http://www.mottingers-meinung.at/?p=32483) bewies, ein Gespür für beißende Satire, sarkastischen Wortwitz und wie Ohrfeigen schallenden […]
[…] Buchrezension – Franzobel: „Rechtswalzer“: http://www.mottingers-meinung.at/?p=32483 […]
[…] zuletzt die Krimis „Wiener Wunder“, „Groschens Grab“ und „Rechtswalzer“ (Rezension: http://www.mottingers-meinung.at/?p=32483) sowie 2017 der Roman „Das Floß der Medusa“ für den er auf der Shortlist für den Deutschen […]