Ute Bock Superstar: Houchang Allahyari im Gespräch
Januar 8, 2019 in Film
VON MICHAELA MOTTINGER
„Eine Zeit mit einer seltsamen Weltanschauung“

Ute Bock Superstar: Regisseur und Schwager Houchang Allahyari würdigt das Werk der großartigen Menschenhelferin. Bild: © Stadtkino Filmverleih
Mit seinem Dokumentarfilm „Ute Bock Superstar“, der am 18. Jänner in den Kinos anläuft, würdigt Regisseur Houchang Allahyari die große Menschenrechtsaktivistin, die vor einem Jahr verstarb. Allahyari zeigt das Vermächtnis seiner Schwägerin. Familienangehörige und Mitarbeiter, ehemalige Zöglinge und Flüchtlinge, Kinder und Erwachsene, Politiker und Prominente erzählen von Begegnungen und Erlebnissen.
Und schaffen das schillerndes Bild einer einfachen Frau, die Unglaubliches geleistet hat. „Ute Bock Superstar“ geht von der Lücke aus, die ihr Tod hinterlässt und stellt die Frage, ob diese Gesellschaft nicht mehr denn je eine Symbolfigur für Menschlichkeit braucht. Eine Rolle, die Ute Bock immer abgelehnt hat, denn was sollte daran symbolisch sein, einem Hungernden zu essen und einem Obdachlosen Quartier zu geben – wie Houchang Allahyari im Gespräch berichtet:
MM: Was mir an Ihrem Film am besten gefallen hat, ist, dass er in politischen Zeiten wie diesen das andere Österreich zeigt, dass er Menschen zeigt, die sich engagieren, die auf die Straße gehen, die nicht bereit sind, alles nur so hinzunehmen. Das war für mich das schönste Erlebnis, als ich „Ute Bock Superstar“ gesehen habe.
Houchang Allahyari: Dieses Erlebnis wollte ich auch haben. Wir leben in einer Zeit mit einer seltsamen Weltanschauung. Alles dreht sich um die Ökonomie, um Geld und wie man dazu kommt, und die Menschlichkeit ist in den Hintergrund getreten. Das ist auch meine Begeisterung für Ute, dass sie immer nur ein Mensch bleiben und nie etwas besonderes sein wollte. Diese Frau hatte eine Einfachheit, die einen berührte. Für sie war völlig klar, dass mitten in Europa niemand hungern oder ohne Dach über dem Kopf sein sollte. Ich bin froh, dass ich in einem Land lebe, in dem es solche Menschen gibt, sie helfen mir, auch, wenn das politische Klima kälter wird, was Österreich betrifft, optimistisch zu bleiben.
MM: Sie haben mit Ihrem neuen Film, nach „Bock for President“ und „Die verrückte Welt der Ute Bock“, eine Bock-Trilogie vollendet. Warum ist Ihnen dieser dritte Teil ein Anliegen, hatten Sie das Gefühl, die Geschichte ist nicht fertigerzählt?
Allahyari: „Ute Bock Superstar“ ist mir ein enormes Anliegen, weil ich möchte, dass dieser Name den Leuten weiter im Gedächtnis bleibt. Ich bin zwar nicht so sehr für symbolische Dinge, weil mir die Realität immer wichtiger ist, aber in diesem Fall glaube ich, die Menschen brauchen Ute als Symbol. Ihr Tod reißt ein riesiges Loch in unsere Gesellschaft, aber was sie getan hat, soll überdauern und anderen ein Vorbild zum Handeln sein. Deshalb wollte ich diesen dritten Film machen, obwohl sehr viele dagegen waren, weil sie meinten, es sei mit zwei Filmen genug, von denen es im ersten Teil um ihre Arbeit geht, und im zweiten ihre Erzählungen, die ich dokumentarisch ja nicht erfassen konnte, von Schauspielern und Ute selbst dargestellt wurden.
MM: Dieser Film nun …
Allahyari: … ist persönlicher, handelt auch davon, wie Ute Bock zu Ute Bock wurde. Da diesmal die engste Familie, die immer um sie war, zu Wort kommt, können wir das Phänomen noch einmal von einer anderen Seite beleuchten. Ich dachte, wenn ich das nicht mache, wer sollte es sonst tun? Ich kenne Ute seit mehr als 50 Jahren, wir haben so viel zusammengearbeitet. Sie hat auch mir sehr viel geholfen, so gesehen ist diese Frau für mich ganz hoch oben, für die ganze Familie ist sie das, und das hat mich bewogen, noch einen Film zu machen.
MM: Ute Bock war früher Ihre Schwägerin. Im Film zu Wort kommen Ihre Ex-Frau Helga, Ihre Söhne Tom-Dariusch und Kurosch, Ihre Tochter Petra zu Wort, man sieht alte Familienfotos … Da gab es offensichtlich noch sehr viel Material, das Sie aufarbeiten wollten?
Allahyari: Selbstverständlich. Das ist Material, das die Familie und ich selbst gehabt haben, vieles haben wir extra für den Film und das zeitgleich erscheinende Buch zusammengesucht.
MM: Tut sich der Verein Ute Bock (www.fraubock.at) nun schwerer, da das Aushängeschild nicht mehr unter uns ist?
Allahyari: Es ist schwer für mich, diese Frage zu beantworten, weil ich in die Vereinsangelegenheiten nicht involviert bin. Ich nehme an, dass es nicht einfach ist. Ich wünsche allen Institutionen in Österreich, nicht nur dem Ute Bock Haus und dem jüngst gegründeten Bildungszentrum, dass ihr Engagement gewürdigt und auch finanziell wertgeschätzt wird. Ich bewundere alle, die sich um andere Menschen kümmern, bei deren Arbeit der Mensch im Vordergrund steht, egal, ob Österreicher oder Ausländer.
MM: Ihr Sohn Kurosch geht ja beruflich auch in diese Richtung.
Allahyari: Ja, er ist total infiziert von der Tante. Er arbeitet zusammen mit seiner Lebensgefährtin bei Purple Sheep und im Schützenhaus.

Wegbegleiter: Houchang Allahyari im Gespräch mit Josef Hader. Bild: © Stadtkino Filmverleih

Für Allahyari ein berührender Filmmoment: Ute Bocks Schützlinge sprechen an ihrem Grab. Bild: © Stadtkino Filmverleih
MM: Im Gespräch mit Kurosch lassen Sie auch von ihm betreute Kinder zu Wort kommen. Das geht einem richtig ans Herz.
Allahyari: Ja. Diese Kinder haben so viel Hoffnung, die denken nicht daran, dass sie Flüchtlinge sind, die verstehen sich als hierher gehörig, die reden teilweise schon mit Wiener Dialekt, die wollen Polizist oder Koch werden, wenn sie groß sind. Man sieht, dass sie in die Gesellschaft hier eingebettet sind, und dass sie hier vorwärtskommen wollen.
MM: Wer diese Szenen sieht, kann gar nicht auf die Idee kommen, jemanden wieder wegzuschicken – sollte man glauben.
Allahyari: Aber das 18-jährige Mädchen, mit dem ich gesprochen habe, wird ausgewiesen werden.
Ich hoffe immer noch, dass sich eine andere Lösung findet, weil sie eine 100-prozentige Österreicherin ist. Sie plante ja auf die Tourismusfachschule zu gehen und auch zu studieren.
MM: Wie haben Sie Ute Bock kennengelernt?
Allahyari: Ich habe als junger Student, eine hübsche Frau kennengelernt, das war Helga, und Ute eben ihre Schwester. Als wir dann Kinder hatten, hat Ute öfter auf sie aufgepasst, und als sie in der Zohmanngasse im Lehrlingsheim gearbeitet hat, war ich Psychiater in einer Haftanstalt gearbeitet, da hatten wir immer wieder gemeinsame Klienten. Dann habe ich auch die Jugendlichen in der Zohmanngasse betreut, und schließlich hatte ich die Ehre, Ute selbst in ihrer letzten Zeit medizinisch zu betreuen. So ist unser Band immer fester und fester geworden. Es war wirklich eine schöne Freundschaft zu dieser Frau.
MM: Ein Wort, das bei Ihren Gesprächspartnern regelmäßig fällt, ist Respekt. War sie so respekteinflößend, hatte Frau Bock auch eine weiche Seite?
Allahyari: Ja. Wenn sie mit ihrer Katze spielte. Die Härte war für sie ein Schutzmantel vor der Machtlosigkeit. Sie konnte wahnsinnig grob sein, auch zu mir, ich nenne das ihren Wienerischen Charme. Aber sie hat manchmal wirklich nicht gewusst, was sie noch anstellen soll, um helfen zu können. Sie hat nie Nein sagen können, wenn jemand etwas brauchte, das war ihre weiche Seite.
MM: Wenn man sie im Film so auf diversen Bühnen stehen sieht, hat man den Eindruck, dass Frau Bock den Applaus und die Aufmerksamkeit auch genossen hat.
Allahyari: Sie hat schon Freude daran gehabt, vor allem, wenn sich die Gelegenheit bot, jungen Leuten etwas zu vermitteln und mit ihnen zu diskutieren. Ich hatte nie das Gefühl, dass sie sich als Star fühlte, das kommt von mir, Ute würde sich darüber nur lustig machen. Den Titel „Bock for President“ gab es zuerst auf T-Shirts, von dort habe ich ihn genommen. All das ist von außen gekommen. Utes Bestreben war nie, ein Star zu werden, aber natürlich war ihr bewusst, je bekannter sie wird, umso mehr Geld wird für den Verein gespendet. Das war ihr wichtig.
MM: Weil Sie von den T-Shirts sprechen: Der Name ist ja längst eine Trademark. Es gibt „Bock auf Kultur“, „Bock auf Bier“, Laptophüllen, Taschen, sogar Babybodys mit Aufdruck …
Allahyari: Sie hat selbst immer Witze gemacht darüber. Sie sagte zum Beispiel über „Bock auf Bier“: Meine Kinder beschweren sich, dass ich nicht will, dass sie Alkohol trinken, und jetzt mache ich selber Werbung für Bier. Sie hat eben alles versucht, um zu Geld zu kommen. Dolores Schmidinger hat einmal zu ihr gesagt: Frau Bock, Sie sind die Mutter Teresa von Österreich. Und Ute darauf: Na, da ist ein Unterschied. Mutter Teresa bekommt Geld von Gott, ich nicht, ich muss betteln gehen. Diese Schlagfertigkeit und ihr schwarzer Humor waren einmalig. Diesen ätzenden Witz habe ich auch erst hier kennengelernt. Der gefällt mir irgendwie.

Bundespräsident Alexander van der Bellens Rede beim Lichtermeer zu Ehren von Ute Bock. Bild: © Stadtkino Filmverleih

Tausende Menschen kamen, um Abschied zu nehmen. Bild: © Stadtkino Filmverleih
MM: Haben Sie, als Sie nach Wien kamen, lange gebraucht, um sich an diese Mentalität zu gewöhnen?
Allahyari: Sowieso, aber jetzt bin ich derart drinnen, dass ich Schwierigkeiten habe, wenn ich in meiner Heimat bin, weil ich falsch verstanden werde. Im Iran ist die Kultur eben eine andere.
MM: Sie schneiden im Film kurz die Operation Spring von 1999 an, wo es in der Zohmanngasse eine Drogenrazzia samt anschließendem Skandal gab. Das hat Frau Bock sehr gebeutelt, wie man sieht.
Allahyari: Ja, diese Episode wollte sie in den Film einbringen, sie hat davon erzählt, ich hätte es weggelassen. Das war für sie wirklich eine schwierige Sache.
Denn wenn in ihrem Haus gedealt wird, ist auch sie eine Dealerin. Ute hatte gerade einen Preis bekommen, und gleichzeitig wurde sie vom Dienst suspendiert und später pensioniert. Gott sei Dank stand die Presse sehr hinter ihr.
MM: Was war während der Dreharbeiten Ihre berührendste Begegnung?
Allahyari: Berührt war ich, als Utes Kinder, ihre Flüchtlinge, an ihr Grab gekommen sind. Das war für mich so emotional, dass ich die Szene im Film erst gar nicht verwenden wollte. Berührend war für mich auch das Lichtermeer, wo tausende Menschen von Ute Abschied genommen haben, auch die Rede von Alexander van der Bellen. Das war für mich sehr wichtig, was er über die Menschenrechte gesagt hat, dass sie für manche nur ein Papier sind, das man wegwerfen kann. Wenn ein Bundespräsident so etwas sagt, dann hat das Gewicht. Dieses Lichtermeer war für mich eigentlich der Grund zu sagen, ich mache den Film.
MM: Als Sie nach Österreich kamen …
Allahyari: Als ich ins Land kam, gab es nie solche Probleme, wie heute. Wir waren Exoten, das ja, aber deswegen auch gut behandelt. Die Leute waren nett und hilfsbereit. Ich kann mich erinnern, dass ich als Student gar nichts gehabt habe, ich habe bei einem Rechtsanwalt im ersten Bezirk gewohnt und hatte nie das Gefühl, dass ich ein Ausländer bin. Diese Ausländer-Sache ist langsam gekommen und immer mehr geworden. Diese Geschichte habe ich noch niemandem erzählt: Ich habe einmal in der Zeitung gelesen, dass eine Schweizer Familie einen Studenten für einen Monat einladen würde. Ich habe hingeschrieben – und habe vier Wochen an einem wunderbaren See verbracht. Ich bin dann viele Jahre im Sommer hingefahren. Wo ist diese Freundlichkeit geblieben?
MM: Eine wie Ute Bock brauchen wir also dringend?
Allahyari: Ja, klar. Ich hoffe mehrere, nicht nur eine.
MM: Es gab ja sogar Bestrebungen den Dr.-Karl-Lueger-Platz in Ute-Bock-Platz umzubenennen.
Allahyari: Was aber nicht gemacht wurde. Dann hieß es, der Ute-Bock-Platz kommt woanders, aber passiert ist nichts. Ich werde sicher dahinter sein, eine Anfrage ans Magistrat stellen. Es wäre schön, wenn der Name Ute Bock weiter bestehen bleibt, ich kann ja nicht dauernd Filme machen.
MM: Was wünschen Sie diesem Land fürs Neue Jahr?
Allahyari: Wenn es auch kitschig klingt, Freundschaft, Menschlichkeit, ein bisschen an die anderen denken, nicht nur an sich selbst, nicht nur Geld für wichtig halten. Sicher, ohne geht’s nicht, aber so wichtig ist es auch wieder nicht. Ich hoffe, dass die Menschen in Österreich wieder eine Einheit werden, ich wünsche mir, dass es keine Spaltung der Gesellschaft mehr gibt. Ich weiß, das wird es nicht geben, aber wünschen darf man ja. Ich wünsche mir, dass man den Menschen als Mensch betrachtet, egal, welche Herkunft, Hautfarbe oder Religion er hat. Und ich wünsche mir, das sage ich jetzt als Psychiater, dass die Menschen für sich eine Normalität finden.
Die Filmkritik: www.mottingers-meinung.at/?p=31289
Trailer: vimeo.com/303082307
8. 1. 2019
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[…] und fragt sich wie uns: „Wo ist diese Freundlichkeit geblieben?“ (Das ganze Interview: http://www.mottingers-meinung.at/?p=31182 anlässlich seines Films „Ute Bock Superstar“, Rezension: […]
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