Kunsthalle Krems: Remastered. Die Kunst der Aneignung

November 25, 2017 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Die Hand an einen anderen Künstler legen

Jonathan Monk A Copy of Deflated Sculpture No. 1 , 2009/14, AP Privatsammlung, Berlin Courtesy der Künstler und Casey Kaplan, New York. Bild: Adam Reich

Kein Kunstwerk ist ohne die Kunst anderer denkbar, stellt doch jede künstlerische Setzung eine bewusste oder unbewusste Bezugnahme auf bereits existierende Kunstwerke dar. Doch was geschieht, wenn aus einer Bezugnahme eine Aneignung wird? Wenn sich Künstler der Werke anderer durch Übermalung oder Auslöschung bemächtigen oder auf symbolischer Ebene durch Reinszenierung, Fortschreibung oder mediale Übersetzung Hand daran legen?

Die Ausstellung „Remastered. Die Kunst der Aneignung“, ab 26. November in der Kunsthalle Krems zu sehen, fokussiert auf diese Kunst der Aneignung von Kunstwerken und gibt Einblick in eine seit der historischen Appropriation Art unvermindert virulente künstlerisch-konzeptuelle Praxis.

Sein eigenes Werk auf einem anderen aufzubauen zeugt von Dialogbereitschaft und ist durchaus brisant: Denn es ist ein Unterschied, ob Zeitungsausschnitte collagiert, Werbebilder verwendet oder Lehrtafeln übermalt werden, und so im Kunstfeld zirkulieren oder ob sich Kunstwerke die Bühne mit ihren Wiedergängern von anderer Hand teilen müssen. Zugrunde liegt jeder aneignenden Geste das Moment des Affiziertseins:

Die Macht der Faszination verhilft dem angeeigneten Objekt zum Status des Akteurs. Aus der vermeintlich souveränen Aneignung wird so ein Dialog auf Augenhöhe, der sich zwischen dem Referenzwerk und der Aneignung sowie den dahinter stehenden Künstler entspinnt. Die in der Ausstellung präsentierten Gesten der aneignenden Zuwendung sind mannigfaltig. Neben der symbolischen Aneignung, die dem Referenzwerk ein Simulacrum an die Seite stellt, ist die physische Aneignung durch Einverleibung oder Auslöschung ein Sonderfall im breiten Spektrum der Aneignungen.

Lisl Ponger Geisterbeschwörung , 2012, Courtesy Charim Galerie, Wien © Lisl Ponger / Bildrecht, Wien, 2017

Richard Pettibone Andy Warhol ‚’Flowers‘, 1964 , 1971. Collection David et Marcel Fleiss, Galerie 1900-2000, Paris

Kunstwerke, die aus der symbolischen Aneignung anderer Kunstwerke hervorgehen, eröffnen einen Dialog, der auf einer Geste der Wiederholung basiert. Grundvoraussetzung dieser referenziellen Kunst ist es, dass das Nachfolgende mit dem Vorangehenden in Zusammenhang gebracht werden kann. Der Grad der Differenz muss innerhalb eines gewissen Spektrums angesiedelt sein – wenngleich manche Werke wie Marcel Duchamps Flaschentrockner einen so langen Schatten werfen, dass ihm auch monströse Verzerrungen wie Misha Strojs „Portabottiglie“ (2006) nicht entkommen können.

Die Ähnlichkeit, welche Aneignung und Referenzwerk miteinander in Verbindung setzt, kann von formaler Kongruenz bis zur losen Anspielung unterschiedlich stark ausgeprägt sein, wie die fotografischen (Re-)Inszenierungen von Luigi Ghirri, Lisl Ponger und G.R.A.M., die skulpturalen Verschiebungen bei Rodney Graham, Simon Dybbroe Møller und Martin Wöhrl oder die prozessualen Übersetzungen von Klaus Mosettig, Rosemarie Trockel und  Gavin Turk zeigen. Zudem setzt eine referenzielle Geste voraus, dass das frühere Werk überhaupt aufgerufen werden kann, also im (Bild-)Gedächtnis verankert ist.

So programmatisch wie exemplarisch führt John Baldessari dies in „Double Bill:…And Matisse“ (2012) durch die Kollision zweier Details aus kunsthistorisch kanonisierten Gemälden von Henri Matisse und Giacomo Balla vor Augen. Anders als bei den Anverwandlungen auf symbolischer Ebene wird im Fall der physischen Aneignung die Integrität der Werke angegriffen.

Die in der Ausstellung versammelten physischen Aneignungen durchmessen das weite Feld von Arnulf Rainers Übermalungen von Werken, die ihm von Künstlerkollegen zugesandt wurden, über Asger Jorns und Enrico Bajs Modifikationen von trivial-dekorativen Gemälden und Jake und Dinos Chapmans teilübermalte Radierungen von Francisco de Goya bis hin zu Martin Kippenbergers Verwendung eines Gemäldes von Gerhard Richter als Tischplatte in „Modell Interconti“ (1987).

Ming Wong Lerne Deutsch mit Petra von Kant / Learn German with Petra von Kant , 2007. (Still) Digitale Videoinstallation, Courtesy der Künstler, Vitamin Creative Space, Guangzhou, und carlier | gebauer, Berlin

Neben den physischen Einverleibungen funktionieren auch jene Werke nicht über eine Strategie der Ähnlichkeit, bei denen die Künstler das Referenzwerk zum Ausgangspunkt für Fortschreibungen und Reenactments nehmen. So animierte Sigmar Polkes berühmter „Apparat mit dem eine Kartoffel eine andere umkreisen kann“ (1969) Matthias Klos und Christian Wallner zur Herstellung eines eigenen Apparates und zur filmischen Dokumentation dieser „Fetischproduktion“. Nada Prlja baut ihre Reflexion über die Informationspolitik der Medien auf der berühmten Performance „Balkan Baroque“ (1997) von Marina Abramović auf.

Und Jonathan Monk schuf 2002 mit „Small Fires Burning (after Ed Ruscha after Bruce Nauman after)“ eine Art Sequel zu einer bereits auf Aneignung beruhenden Arbeit von Bruce Nauman. Schließlich stellt Aneta Grzeszykowska mit ihrer Reinszenierung von Cindy Shermans „Untitled Film Stills“ (1977–1980), denen ihrerseits eine doppelte Fiktion zugrunde lag, Fragen zu aktuell gültigen Weiblichkeitskonzepten und ihrer medialen Konstruktion.

Das Kaleidoskop der Ausstellung „Remastered – Die Kunst der Aneignung“ zeigt neben historischen Positionen der Appropriation Art vorwiegend zeitgenössische Arbeiten sowie Werke, die bisher noch nicht unter dem Aspekt der Aneignung gesehen wurden. Dem kanonischen Status der referenzierten Werke entsprechend könnte man die Ausstellung auch als eine – in ihrer Lückenhaftigkeit wieder ungemein aufschlussreiche – Geschichte der Kunst des 20. Jahrhunderts „aus zweiter Hand“ ansehen.

www.kunsthalle.at

25. 11. 2017