Armes Theater Wien: Atmen
November 16, 2017 in Bühne
VON MICHAELA MOTTINGER
Der ökologische Fußabdruck in Babypatscherln

In der Babyfrage gibt es tausend Wenns und Abers: Aris Sas und Krista Pauer. Bild: Vondru
Soll man, darf man in diese Welt noch ein Baby setzen? An dieser Frage reibt sich in Duncan Macmillans Stück „Atmen“ ein junges Paar auf. Es diskutiert das Damoklesschwert Klimawandel, macht sich schon Sorgen um den CO2-Ausstoß des nicht einmal noch Geborenen – zehntausend Tonnen nämlich! – und dessen ökologischen Fußabdruck. Zu den weltanschaulichen kommen die persönlichen Fragen.
Was macht die Schwangerschaft mit dem Körper der werdenden Mutter, was wird das Kind mit dem Paargefühl der beiden machen? Wo doch eigentlich alles gut funktioniert … Noch bis 20. November zeigt das Arme Theater Wien im WUK-Projektraum diese Auseinandersetzung. Erhard Pauer hat inszeniert, Krista Pauer und Aris Sas spielen.
Alles beginnt bei Ikea, wo er plötzlich den Wunsch äußert, Vater werden zu wollen. Einen neuen Menschen machen, da fällt ihr das „Atmen“ schnell schwer. Krista Pauers Figur reagiert panisch; hypernervös plappernd versucht sie, ihre Furcht wegzureden, während Aris Sas‘ Charakter sich um Souveränität bemüht. Noch. Denn Theaterpraktiker Macmillan zeichnet ein Beziehungsbild mit verschwimmenden Standpunkten, je nach gerader Befindlichkeit ändern sich die Positionen, die Handlung nimmt mehr als eine Wendung.

Aus zärtlicher Zuneigung … Bild: Vondru

… wird bald eine Dauerdiskussion. Bild: Vondru
Der britische Autor hat mit seinem Wohlstandslamento ein Bobo-Paradebeispiel fürs Zerreden von wichtigen Themen geschaffen. Es ist, als wäre sein Stück der Stoff, an dem die Grünen zerbröselt sind. Im Changieren zwischen Gewissheiten und darob (Ver-)Zweifeln und vor allen Dingen Selbstzweifeln.
Weil man das doch schließlich sei, steht er auf dem Standpunkt, „Die Welt wird gute Menschen brauchen“, ergo müssten sich auch die Klugen vermehren. Sie hält dagegen: „Ich könnte sieben Jahre lang jeden Tag nach New York und zurück fliegen, und mein CO2-Fußabdruck wäre immer noch nicht so groß, wie wenn ich ein Kind kriege.“ Als er noch an ihren Argumenten kaut, kommen bei ihr neue hoch. Im Schönbrunner Tiergarten schieben alle einen Kinderwagen!
Von der ersten Baby-Erwähnung über die verkrampften Empfängnisversuche samt unfreiwilligem Coitus interruptus geht es nun im dialogischen Schnellverfahren weiter zu positivem Schwangerschaftstest, man theoretisiert sich schon bis zur Matura, dann aber Fehlgeburt, Trennung, Versöhnung, zur endlich doch noch stattfindenden Ankunft eines Sohnes und schließlich zu den Friedhofsgedanken einer verbitterten Rentnerin in einer Katastrophen-Welt.

Zwei Stühle reichen dem ATW als Requisite für Badewanne, Bett oder Auto. Bild: Vondru
Krista Pauer und Aris Sas fallen sich bei ihrer Tour de Force großartig ins Wort, wechseln mühelos die authentisch klingenden Alltagstöne und ebensolche Emotionsstadien, und reden und reden und reden … er der ein wenig schlicht Gestrickte, der ihr alles recht machen will und nicht kann, sie die angestrengt Intellektuelle, die keinen Anlass für Vorwürfe, Beziehungs- und Nervenkrisen und überspannte Vorträge in Sachen politischer Korrektheit auslässt.
Und mitten in der Diskussion die klischierten Scherze über den bald hängenden, weil vom Baby ausgesaugten Busen, die hassgeliebte Quasi-Schwiegermutter und die Nöte eines Fremdgehers. Das Stück ist nicht neu, man hat es schon gesehen. Selten aber durfte im kontroversiellen und doch so moralinsauren Text ein derart hinterhältig ironischer Humor aufblitzen, wie in Erhard Pauers Inszenierung.
Krista Pauer und Aris Sas machen das mit kleinen Gesten, mit einem Augenrollen, wenn sie Macmillan den sprichwörtlichen Zaunpfahl aus der Hand nehmen, vor allem Sas‘ Blicke sprechen dann Bände. Und: Die beiden sind eine ausgezeichnete Zwei-Personen-Disko. An szenischen Mitteln braucht das Arme Theater Wien für seinen formidablen Abend nur zwei Stühle. Sie sind Bett und Badewanne und WC, und sogar eine Autofahrt funktioniert mit ihnen.
- 11. 2017