Rabenhof: Viel gut essen
Oktober 18, 2017 in Bühne
VON MICHAELA MOTTINGER
Kreisky rocken Sibylle Berg

Franz Adrian Wenzl performt den verbalen Rundumschlag von Typ Mittelschicht. Bild: © Rabenhof / Nikolaus Ostermann
Sein altes Wohnviertel wird zu einem Mix aus Bobo-Behausungen und Asylantenheim umgebaut. Seinen Vorgesetztenjobtraum hat er an Frau Hüdüczü verloren, den Arbeitsplatz gleich dazu, hat er ihr doch ihren „doppelten Quotenanspruch – weiblich und Migrationshintergrund“ ins Gesicht gekotzt. Frau Claudia und Sohn Anselm haben das Weite gesucht. Nun steht er in seiner nicht abbezahlten Fast-Profi-Küche und brutzelt, was das Zeug hält.
Denn heute Abend sollen, werden sie, hofft er … heimkommen? Der arme „kleine Mann“, er könnte einem fast leid tun. Bevor er seinen Verbalrundumschlag beginnt. Auf alles und jeden, das und die ihm fremd sind – und das ist zu allererst einmal er selbst. „Ich weiß, dass ich ich bin, weil ich eine Wohnung habe, zu der mein Schlüssel passt“, singt Kreisky-Frontmann Franz Adrian Wenzl. Die Wienerwut-Rocker haben Teile von Sibylle Bergs Texttirade „Viel gut essen“ zu sechs neuen Songs vertont, den großen Rest spricht „Austrofred“ Wenzl bei diesem, seinem quasi Debüt als Schauspieler.
Nach Aufführungen in Deutschland und der Schweiz ist die in ihren beiden Heimatländern hassgeliebte Autorin mit ihrem Monolog nun im Rabenhof angekommen, und wirkte beim tosenden Schlussapplaus und den Standing Ovations sichtlich gerührt, ja sogar ein wenig schüchtern. Vater-Land/Mutter-Sprache, vielmehr: der empfundene Verlust derselben an neue Verhältnisse, das ist auch Thema von „Viel gut essen“.
Da steht er nämlich, der Repräsentant der sogenannten, von allen politischen Couleurs heiß umbuhlten Mittelschicht, weiß, hetero, xenophob, homophob, frauenfeindlich und ein Feind moderner Kunst, früher beruflich sogar erfolgreich, und sieht die Fassade bröckeln. Das Fundament seiner Existenz ist brüchig geworden. Das erzeugt Frust. Der erzeugt Gewaltbereitschaft. Aber noch ist er ruhig, der „kleine Mann“ und will nur kochen und die Geschichte seines Scheiterns erzählen. „Ich war immer angestellt, meinem Bedürfnis nach Planungssicherheit geschuldet“, sagt er. „Ich hatte nie das Bedürfnis nach Regelunkonformität. Ich wollte nicht aufbegehren“, sagt er.

Kreisky: Klaus Mitter, Martin Max Offenhuber, Lelo Brossmann und Franz Adrian Wenzl. Bild: © Rabenhof / Nikolaus Ostermann

Bernd Supper und Willi Landl: Bild: © Rabenhof / Nikolaus Ostermann
Und wie er das sagt. Wenzl trifft einen Ton zwischen bekanntem Politikertypus und sozialfaschistischem Prediger, ausgerechnet sein Protagonist doppeldeutig ein „Europe“-Fan, und der Eindruck bewahrheitet sich mit Fortschreiten des Abends, wenn Wenzl seine Sätze zunehmend als Parolen formuliert, diese immer öfter ins Mikrophon donnert. Oder sich in Glencheckanzug und Schwarzer-Kontinent-Shirt darüber wundert, dass „in Afrika eine Familie ein Monat von einem Stück Topfenstrudel leben“ kann. Die Musik erhöht den Druck, die Dynamik der Eskalation steigert sich stetig. Bald fehlt hinter ihm nur noch das Heimatplakat.
Berg und die Band wollten der Rabenhof-Aufführung etwas Wienerisches geben, und dazu gehört wohl, dass Wenzls Auftritt was Kabarettistisches hat. Die Kreiskys sind halt Kreisler-Kinder. Im Gemeindebautheater (wo die, die hier, eh immer eines Geistes sind) wurde jedenfalls gejohlt und gelacht (im Unterschied zur deutschschweizerischen Publikumsschreckstarre), da versteht man sich aufs Hinterfotzige, das Knallharte wird Kleinkunst, das Grausliche grotesk. Wie sich Wenzl so von Geschmacklosigkeit zu Geschmacklosigkeit zetert, das ist scham- und schonungslos, zynisch und provokant, und es ist melancholisch. Es ist wahnwitzig komisch und zum Brüllen traurig. Wenzl balanciert über Bergs Klischeeberg auf dem schmalen Grat von So was sagt man nicht! und Das wird man doch noch sagen dürfen!
Dort also, wo‘s die einen für den endlich notwendigen Tabubruch halten und die anderen für Rassismus. Früher hatte die politisch korrekte Mehrheitsgesellschaft beim Reden das Sagen, die anderen schwiegen, jetzt wächst der „kleine Mann“ über sich hinaus. Der Einzelne ist gar nicht mehr so anonyme Masse, das Schweigen wird laut, deshalb wird Wenzl außer von Klaus Mitter am Schlagzeug, Gitarrist Martin Max Offenhuber und Lelo Brossmann am Bass von einem Chor begleitet. Man hat sich dafür Bernd Supper von The Scarabeusdream, Maximilian Atteneder von Catastrophe & Cure und den oberösterreichischen Jazzsänger Willi Landl ausgeborgt.
Und die drei sind nun die Perversions- und Percussiongruppe, gestalten das schlechte und das böse Gewissen, die schlechten und die bösen Kindheitserinnerungen – die Mutter ging dem lieblos schweigsamen Vater mit „Jeff aus Eritrea“ durch: „Die armen Asylanten. Aber tanzen tun sie so anmutig. Sie haben so elegante, unterprivilegierte Gliedmaßen, da staunt die Frau auf ihrem Tretroller, da beben ihre roten Unterarme. Und schon gab es sie nicht mehr.“ Das Trio mimt auch Gourmetküchen-Aficionadas, es feiert als Herrn Jedermanns Kopfdruckkochtopf dessen Rezepte. „Kapern sind die Krönung des Fischfonds“, psalmodiert es. Oder: „Die Tomaten glänzen wie Halbedelsteine.“ – „Paradeiser heißt das bei uns“, kontert Wenzl.

Tänzeln in Starschnitt-Attitüde:Franz Adrian Wenzl. Bild: © Rabenhof / Nikolaus Ostermann

Martin Max Offenhuber, Franz Wenzl, Sibylle Berg, Klaus Mitter und Lelo Brossmann: Bild: © Rabenhof / Ingo Pertramer
Auch, wenn der Chor über Claudia und Anselm singt, klingt’s oft wie Kirchenchoral. Die heilige Institution Familie. Heißt, wenn die Frau Blumen will, soll sie einen Fleurop-Lieferanten heiraten; will sie sich selbstverwirklichen, „irgendwas aus Ton oder Schmuck gestalten“. Dass andere von ihm abhängig sind, findet der Ex-Alleinverdiener „sinnstiftend“. Und will der Sohn zum Ballett, ist er ent-***, also jedenfalls aus der Art geraten. The Final Countdown. Franz Adrian Wenzl performt seinen Bühnenfreak mittlerweile mit Rebellenattitüde, tanzt über die Bühne wie ein Fred-Starschnitt. Unter seinen Posts erbeben Internetforen, seine Leserbriefe sind im mehrfachen Wortsinn Reaktion.
Der Kampf an allen Fronten hat längst begonnen. Musikalisch als die „Mobilmachung des gesunden Menschenverstands“: „Wir sind keine dumpfe braune Horde/wir sind das Volk/wir sind Bürger mit Bürgerrechten/und die holen wir uns./Stillgestanden./In einer Reihe./Die Ausgabe der Waffen erfolgt jetzt -“
Trailer: www.youtube.com/watch?time_continue=8&v=12sFvR-KeFE
- 10. 2017