Landestheater NÖ: Romeo und Julia
Oktober 8, 2017 in Bühne
VON MICHAELA MOTTINGER
Dramaqueen trifft Keifzange, am Ende beide tot

Upper-Class-Kids beim (selbst)mörderischen Zeitvertreib: Tim Breyvogel und Seyneb Saleh als Romeo und Julia. Bild: Alex Pelekanos
Beim Verlassen des Theaters macht es ein schätzungsweise siebenjähriger Knabe aus der Reihe vor einem deutlich. „Mama, warum sind die alle wieder aufgestanden und haben weitergespielt?“ Jahaha! Weil sich da einer was gedacht hat. Sebastian Schug inszenierte am Landestheater Niederösterreich Shakespeares „Romeo und Julia“ als Mix aus untoten Neo-noir-Film-Fechtkünstlern, sinistrem Lucius-Malfoy-Lookalike und dem Thomas-Bernhard-„Theatermacher“-Zitat:
„Selbst an unseren Staatstheatern lernt kein Mensch mehr sprechen“. Güldene Ausnahme: Johanna Tomek als Amme. Trostlos. Da war man extra nach St. Pölten aufgebrochen, um sich shakespearen zu lassen, doch selten hatte der Welt größte Lovestory weniger Liebe, die Darsteller weniger Charisma, die Inszenierung weniger Tiefgang. Wo’s doch so ist, dass man ob der Seelenblähungen des Lerchen-Pärchens seit Gymnasiumstagen dachte: Durchbrennen, Job suchen, in Glück und Frieden leben, wo liegt euer Problem, Freunde?, so tritt immerhin dies in Schugs Arbeit klar zu Tage. Ein Haufen verwöhnter Upper-Class-Kids macht sich den Ennui mit Mord und Selbstmord spannend. Kraftvolles Spektakel statt romantischer Himmelwärts-Verklärung, das wär‘ was gewesen. Nur bleibt der Versuch nicht im Ansatz stecken, er wird gar nicht erst unternommen …
Wo also anfangen im Unglück? Beim Tschinderassabum? Die Jungs beweisen gleich eingangs, dass sie besser den Degen als Worte führen können. „Romeo“ Tim Breyvogel schaut aus, wie aus dem Wasser gezogen, gepflegt grungig, jedenfalls hat er von Beginn an den irren Märtyrer- und das Selbstmitleid im Blick. Lasst mich den „Unendlichen Spaß“ haben, ich knüpfe mich dafür auch in der Garage auf! Man sagt es wirklich nicht gern, aber, nachdem er unter Donner und Blitz seine Julia kennengelernt hat, ist es tatsächlich besser, dass aus den beiden nix geworden ist.

Julia trinkt das Gift: Seyneb Saleh mit Johanna Tomek als Amme, Elzemarieke de Vos als Mercutio, Josephine Bloéb als Graf Paris, Emanuel Fellmer als Tybalt und „Romeo“ Tim Breyvogel. Bild: Alexi Pelekanos

Plastikklumpenbett: Seyneb Saleh mit Josephine Bloéb, Stanislaus Dick als Benvolio, Emanuel Fellmer, Elzemarieke de Vos, Martina Spitzer als Lady Capulet und Johanna Tomek. Bild: Alexi Pelekanos
Seyneb Saleh spielt die höhere Tochter höchst ungestüm, wenn diese Julia alles ist, dann kein zartes Fräulein. Im Gegenteil, das Früchtchen, eigentlich: der Trampel, wütet gegen alle ihr Untergebenen, von Eltern bis Amme, und man stelle sich das Angetraute vor: Romeo, die Dramaqueen, Julia, die Keifzange – wo soll das enden, wenn nicht bei Kishon? Ach ja: In der Drei-Stunden-Aufführung schnappen sich Romeo und Julia jedes irgend taugliche Selbstmordinstrument, um sich aus dem Leben zu befördern, werden aber stets von gutmeinenden Helfern am Suizid gehindert. Man hätte früher Zuhause sein können …
Was sonst noch gilt es zu bejammern, außer dem Fehlen des berühmten Balkons? Elzemarieke de Vos erprobt sich als Mercutio und ist ein durchaus schelmisch-tänzelnder Freigeist, der seinen Welthass auskotzt (Mercutio und Tybalt/Emanuel Fellmer schließen mit einem Zombie-Kuss auch den Pausenvorhang), bevor das Ensemble Guns n’Roses schändet. Diese jenseitige Darbietung von „Sweet Child of Mine“ hat sich Axl Rose echt nicht verdient. Josephine Bloéb wäre ein sehr passabler, zarter, leise anbetender Graf Paris, hätte die Regie ihr den Raum gegönnt, den die Figur gelohnt hätte. Stanislaus Dick mimt einen gutgelaunten Benvolio.

Es geht dem Ende zu: Seyneb Saleh mit Martina Spitzer, Thomas Bammer als Bruder Lorenzo und Josephine Bloéb. Bild: Alexi Pelekanos
In den Mittelpunkt des Geschehens rückt Schug ein geschmolzenes und wieder erstarrtes schwarzes Plastikpodest, irgendwie unappetitlich, aber sehr sinnig Beischlafnest und Aufbahrungsbett in einem. Where do we go now? Dem Ende zu. Da darf noch einmal gelacht werden, wenn Romeo unter heftigem Geknarze einen Eisendeckel aufstemmt, um sein Zufallsopfer Paris zu begraben. Den Liebenden gönnt die Regie keinen sanften Tod. Romeo zappelt sich zu Tode, Julia rührt mit dem Dolch in ihrem Bauch herum. Die bereits Gefällten kommen wieder und wieder und wieder. Sie werden als Chor und Bühnencombo benötigt.
Die Produktion läuft bis 31. Jänner am Landestheater Niederösterreich und auch als Silvester-Vorstellung. Am 19. und 20. Dezember ist „Romeo und Julia“ an der Bühne Baden zu Gast.
- 10. 2017
Also da bin ich jetzt tatsächlich baff, das zu lesen. Komme gerade aus der Vorstellung, bin entrückt, völlig verzückt, beglückt, möchte Julia & Romeo nie wieder irgendwo anders sehen. Tolle Inszenierung, grandiose schauspielerische Leistung von allen, ich finde rein gar nichts zu bemeckern. Außer der Tatsache, dass es sich um die letzte Vorstellung gehandelt haben soll … das macht mich traurig. Hätte es gern mindestens einmal noch gesehen !! Bravissimo !!!!!!
Dem ist nicht viel hinzuzufügen. Ein so schönes Stück so ins Lächerliche zu ziehen ist eine Schande. Ich wollte meinem Sohn das Theater ein bisschen schmackhaft machen. Ich hoffe, er kommt jemals wieder mit und gibt dem Theater noch eine Chance. Wir sind in der Pause gegangen. Für diejenigen, die geblieben sind, kann man nur hoffen, dass es noch besser wurde. Schade ums Geld und Schade um die Zeit.