TAG: Auf der Suche nach dem sechsten Sinn

September 17, 2017 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Die wundersame Wiederentdeckung des Konrad Bayer

Das Publikum wird in Augenschein genommen: Johanna Orsini-Rosenberg und Paul Skrepek mit der legendären Konrad-Bayer-Fellmütze. Bild: © Judith Stehlik

Beim Eintreten schon, mit Blick auf die Spielfläche, wird klar, dass hier bald etwas so Wunderbares wie Wundersames stattfinden wird. Eine Schrammelgitarre lehnt da und wartet auf ihren Einsatz, daneben die schlankste Ausführung eines Schlagzeugs. Rote Schnüre durchziehen die Bühne kreuz und quer, wie in einer dieser Kinokrimikomödien, in denen mit roten Laserfäden Edelsteine vor Dieben geschützt werden.

Ein leerer Bilderrahmen zum Hindurchdeklamieren. Im Hintergrund: die Wundermaschine. Mit Kofferplattenspieler und Tonbandgerät und einem Trichter zum Hineinmusizieren … Im TAG hatte Samstagabend in Kooperation mit Pistoletta Productions „Auf der Suche nach dem sechsten Sinn“ Premiere. Eine Wiederentdeckung, eine ganz großartige Hommage an den Schriftsteller Konrad Bayer. Bayer war Mitglied der Wiener Gruppe, vielleicht deren provokativster und rätselhaftester, sicher deren vergrübeltster Kopf. Ein selbstquälerischer Unruhegeist, der sich mit Magie und schamanischen Riten beschäftigte, der mittels Chloroform Rauschzustände erprobte, der fliegen wollte und unsichtbar sein – und der sein egomanisch-wildes Bohème-Leben in der Verhüllung als Dandys bestritt. Schauspielerin Johanna Orsini-Rosenberg und Musiker und Maschinenkünstler Paul Skrepek, die den von Regisseurin Elisabeth Gabriel zusammengestellten Abend gestalten, tragen in dessen Verlauf immer wieder die berühmte Konrad-Bayer-Fellmütze.

„der sechste sinn“ ist Bayers letztes Werk, eine unvollendete Roman-Collage, 1964, die einen sagen, weil eine seiner Geliebten nicht erschien, die anderen, weil die deutsche Schriftsteller-„Gruppe 47“ ihn und seine Schriften in der Luft zerfetzt hatte, drehte er im Zimmer die Gashähne auf und starb. Bayer, der kaum einen Richtsatz der allgemeinen Sprachordnung gelten ließ, der den „methodischen Inventionismus“ erfand, eine Art Systematisierung von alogischen Begriffsfolgen, der in seinem Texten radikalsten Surrealismus betrieb, die Sprache dabei beständig in einem Schwebezustand und nie mit auch nur einem Buchstaben auf dem Boden, erzählt darin von den Leiden des jungen Franz Goldenberg.

Zur Musik aus Paul Skrepeks Wundermaschine läuft ein Goldenberg’scher Film noir. Bild: © Judith Stehlik

Nina! Und Körper und Seele öffnen sich zum Weltpanorama: Johanna Orsini-Rosenberg. Bild: © Judith Stehlik

Der liebt eine gewisse Nina. Sie macht ihm Körper und Seele zum „weltpanorama“, ist aber auch ein wenig flatterhaft, vor allem, als sie vorübergehend den Fisch heiratet, während Goldenberg seinerseits mit Miriam gern ins Kino geht … „als er die hose auszog, sah nina über seinen schamhaaren die inschrift in gotischen lettern: ,ich habe den sechsten sinn‘. seither war sie ihm verfallen“, rezitiert Orsini-Rosenberg. Ein Kabinettstück wie sie repetitiv Goldenbergs Notizbucheintragungen vorliest. Die Miete zahlen, Brot, Milch, Zigaretten kaufen, in die Bibliothek gehen, auf Nina warten.

Dabei zwei Sätze, die als Bayers programmatischer Imperativ gelten können: „das geschwätz vermeiden“, immer wieder auch an den oberen Rand seiner schreibwütend bekritzelten Blätter geschrieben, und: „die verneinung nicht vergessen.“

Durch Orsini-Rosenbergs fabelhafte Darstellungskunst wird, was ein literarisch-musikalischer Abend hätte werden können, zur veritablen Theateraufführung. Sie tanzt und turnt über die Bühne, macht aus dem Verspeisen eines Apfelstrudels einen Kinky-Sex-Orgasmus, und scheut auch vor einem gewagten Stunt mit Tisch und Stuhl nicht zurück.

Sie und Skrepek wechseln metronomgetaktet Rollen und Identitäten, werfen sich mit Verve in Bayers Strudel aus Sinn und Unsinn, und bedienen Dada wie gaga. Es ist fast so schön wie weiland im Strohkoffer. Will man denken. Unter den „sechsten sinn“ sind Bayers „konkrete texte“ gemengt, seine Brachialpoesie, ausgeklügelte Wort- und Phrasenspiele, Kalauer, extravagante Montagen und serielle Wortfolgen. Teilweise vom genialischen Paul Skrepek vertont. Es gibt offensichtlich nichts, dem der Mann keine Töne entlocken kann, selbst einen mit nur einer Saite bespannten Bogen macht er zum schaurigen Musikinstrument.

„erstens will ich fröhlich sein
zweitens mich vergnügen
drittens ist die erde mein
das sollte doch genügen“,

trägt Johanna Orisini-Rosenberg vor, auch die „moritat vom tätowierten mädchen“, einer Spenglerbraut, die der Hautschmuck das Augenlicht kostet, und „moral“: „der wille ist ein eitler wahn / und richtet argen schaden an“. Paul Skrepek singt „Glaubst i bin bled“, 1969 schon von der Worried Men Skiffle Group in Musik gegossen. Ja, man macht sich einen Karl, und bei Bayer heißt das:

Das eigene Spiegelbild kann einem ganz schön fremd sein: Johanna Orsini-Rosenberg und, auf der anderen Seite des Bilderrahmens, Paul Skrepek. Bild: © Judith Stehlik

„und karl und karl wird da zum vorläufigen karl ernannt. da nennt karl karl karl. ein karl entspinnt sich. karl entpuppt sich als karl und karl entschliesst sich karl bei karl zu lassen und lässt karl bei karl doch karl lässt karl nicht mit karl bei karl und entschliesst sich karl nicht bei karl zu lassen wenn karl mit karl bei karl bleibe. und karl verzichtet auf karl.“

Man zeigt auf Leintuch-Leinwand einen Film noir mit sich selbst als Trenchcoat-Detektiven, und macht ausschließlich aus den Vokalen A und O, als wären’s die Überbleibsel der menschlichen Existenz, einen vielsagenden Dialog. Die beiden werfen sich die Laute wie Bälle zu. Das α und das Ω, bei Bayer ist alles immer am Rande des Weltuntergangs. Zu trennen, was da Scherz, was Satire ist, und was tiefere Bedeutung hat, ist nicht einfach. Annäherung ist möglich, Verständnis – mit Einschränkungen. Bayers „poetische acte“, sein l’art pour l’art mit dem Anspruch, der Welt durch eine Sprachrevolution beizukommen, kann man nur auf sich wirken lassen. Dies gilt für die „schönen“ Sätze mit ihrer unbezwingbaren Suggestivkraft ebenso wie für die hermetischen, seine spröden Textformalismen, die dem Zuhörer jeden Zutritt verweigern.

Was nun die „Suche nach dem sechsten Sinn“ betrifft, so entführen Johanna Orsini-Rosenberg und Paul Skrepek das TAG-Publikum – mucksmäuschenstill aufmerksam und erst am Ende begeisterten Applaus hören lassend – in eine groteske Abenteuergeschichte rund um Franz Goldenberg und sein absurdes und immer brüchiger werdendes Leben. Ein Abend wie eine Reise durch die Welt im Kopf von Konrad Bayer: „weil die welt muss fantastisch sein, weil sie ist dann besser.“

Trailer: vimeo.com/234110718

dastag.at

  1. 9. 2017