Akademietheater: Die Perser
Mai 21, 2017 in Bühne
VON MICHAELA MOTTINGER
In der Einfachheit liegt die Kraft

Geht an ihre Grenzen: Christiane von Poelnitz als Königsmutter Atossa. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater
Der Satz fällt schnell: „Wo, um Himmels Willen, liegt dieses Athen?“ Die Königsmutter Atossa spricht ihn, und in ihm liegt wohl begründet, warum man sich für die älteste überlieferte Tragödie der Theatergeschichte nach wie vor zu interessieren hat. Sinnlos Kriege zu führen, Konflikte zu schüren am anderen Ende von Welt und Vernunft, das wirft einen zurück auf diese Tage, die nicht heutiger sein könnten und dennoch antik-zeitlos sind. Welch ein Stoff, welch ein Autor.
Am Akademietheater hat Michael Thalheimer Aischylos‘ „Die Perser“ inszeniert. Auf die ihm eigene Art der theatralen Reduziertheit hat er das große Thema auf dessen Essenz verfeinert. Einmal mehr belegt der großartige Regisseur, dass in der Einfachheit die Kraft liegt, einmal mehr überlässt er seinen Schauspielern die Bühne – und deren Kraft ist überwältigend. Der Abend reißt einen hin und her und mit, und am Ende ist man beinah so erschöpft, aber glücklich wie die Darsteller.
Aischylos hat sein Drama 472 v. Chr. verfasst. Es behandelt den Untergang des Perserreiches nach einer unnötigen kriegerischen Auseinandersetzung mit den Griechen.
Nachdem sein Vater Dareios bei Marathon von Athen vernichtend geschlagen wurde, sinnt sein Sohn Xerxes nach Rache. Er bricht mit einer riesigen Flotte und einem Landheer auf, er baut mit seinen Schiffen einen Ponton an die griechische Küste – und wird doch von der widerständigen Minderzahl bei der Seeschlacht von Salamis vernichtend geschlagen. Das Eroberungsvolk ist endgültig liquidiert.
Der große Dramatiker Aischylos nahm als Soldat auf Siegerseite an dem Gemetzel teil. Dass er acht Jahre danach sein Stück verfasste, wird mit zwei Beweggründen erklärt: Zum einen galt es die Geburt des Okzidents, den Beginn eines Europas zu feiern, das sich endlich von der Bedrohung durch den Orient befreit hatte. Zum anderen aber wollte der Dichter anhand des Negativ-Beispiels „sein“ Athen wohl vor Überheblichkeit und Selbstüberschätzung warnen. „Hybris“ ist der Gedanke, um den sich sein Text dreht. Der freilich keine Antikriegsaufforderung ist, konnte sich der antike Mensch ein Dasein ohne diesen vermutlich gar nicht vorstellen.

„Das nackte Elend“: Merlin Sandmeyer ist als Xerxes ein Ereignis. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Der Chor des persischen Ältestenrates, Falk Rockstroh, belehrt die Königinmutter. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater
Am Akademietheater nun treten einem fünf Darsteller mit der ganzen Wucht ihrer Möglichkeiten entgegen. Christiane von Poelnitz, die Antikengeschulte, tritt erst als goldene Gottesmutter Atossa auf – denn die Perser verehrten ihre Herrscher als solche, als kalkulierende Politikerin, die beim Chor des persischen Ältestenrates Rat sucht und diesen doch zu gängeln weiß. „Und morgen gehört uns Griechenland“, tönt es noch kurz in der angemessen zeitgemäßen Textbearbeitung von Durs Grünbein, dann erscheint der Bote, dann reißt sich Atossa die edlen Kleider vom Leib und steht im schwarzen Hemdchen da.
Wie die Poelnitz diese plötzliche Verlorenheit, dieses Unverständnis über den Verlust der eigenen Größe, wie sie die Sorge um den geliebten Sohn spielt, nervös und zittrig und dennoch stolz erhobenen Hauptes, das ist große Klasse. Im quasi Wortsinn fällt ihr die Decke auf den Kopf, der einzige Bühnenbild-„Trick“ von Olaf Altmann, der Plafond saust wie ein Fallbeil herunter, wieder und wieder, und bringt mit sich den „Aschesturm“ der Gemeuchelten. Der die Darsteller kurz bis zur Unsichtbarkeit einhüllt.
Falk Rockstroh als der Ältestenrat changiert zwischen der Loyalität zum Herrscherhaus und der Anklage, dass hier „für nichts“ persische Männer geopfert wurden. Er ist in seiner Performance ebenso statisch kistallklar, wie Markus Hering, der als Bote die Unglücksbotschaft zu übermitteln hat – und dabei heult wie ein getretener Hund. Einem ganzen Volk, machen die beiden bewusst, ist nicht erklärlich, was da über es gekommen ist – ergo gibt man schnell einem Daimon die Schuld. Rockstroh, mit seinen schwarzen Augen blind (?), lässt Atossa keine Ruhe, er treibt sie vor sich her, jetzt, jetzt, gilt es politische Weichen zu stellen.
Es wird also der Daimon von Dareios aus dem Grab beschworen. Der kommt, Branko Samarovski in Kothurn und mit Teleskopstecken, doch kann er seinem Volk weder mit Rat noch Tat dienen. Auch ihm bleibt nicht mehr, als die Hybris seines Sohnes zu beweinen, bis er wieder in der Ewigkeit verschwindet.
Denn Anmaßung ist tatsächlich die große Sünde des Xerxes, brach er doch auf voll der Zerstörungswut. Nun kehrt er heim, im Wortsinn „das nackte Elend“. Merlin Sandmeyer, dieses eben erst aus der Schauspielschule geschälte Talent, erscheint blutig und bloß, ein von Minderwertigkeitskomplexen geplagtes Rich Kid, ein Neurosenkönig, der gegen die übermächtige Vaterfigur antreten wollte und nun vor der Verfetzung seiner Unternehmung steht. Sandmeyer spielt den Xerxes als vom Wahnsinn Umzingelten, tatsächlich gesteht ihm Thalheimer eine beinah Freud’sche Psychologisierung seiner Figur zu, wo ringsum subtile Stereotypheit herrscht – und Sandmeyer meistert die Aufgabe mit Bravour.

Markus Hering zerbricht als Bote an seiner bösen Nachricht. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Die Stimme aus dem Grab: Branko Samarovski als Dareios‘ Geist. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater
Endlich ist mit seinem fulminanten Auftritt auch die bis dahin im Halbdunkel gehaltene Bühne hell erleuchtet. Man sieht Blut und Boden, beim frenetischen Schlussapplaus arbeitet sowohl das Ensemble als auch das Leading Team hart daran, auf dem glitschig-ekeligen Untergrund nicht über die Rampe zu rutschen. Michael Thalheimers Aufführung besticht in ihrer Brillanz, er ist einer der wenigen Regisseure, die auf den ersten Blick an ihrer Bühnenhandschrift zu erkennen sind, und sich dennoch nie wiederholen. Wie eine gute Rockband, deren Sound man sofort wahrnimmt, auch wenn jedes neue Album eine Weiterentwicklung auf dem künstlerischen Weg ist.
Und P.S.: Weil dieses on-dit ist, dass man „Richard III.“ nach dem so verehrten wie überlebensgroßen Gert Voss an der Burg nie mehr zu machen bräuchte: Hier täte sich buchstäblich eine blutjunge Möglichkeit auf …
[…] Christiane von Poelnitz als Josephine Krüger in „Pension Schöller“ von Carl Laufs und Wilhelm Jacoby, Burgtheater, und als Atossa in „Die Perser“ von Aischylos, Akademietheater (Rezensionen: http://www.mottingers-meinung.at/?p=23491, http://www.mottingers-meinung.at/?p=25118) […]