Burgtheater: Geächtet
November 27, 2016 in Bühne
VON MICHAELA MOTTINGER
Glaubensfragen mit Anchovi-Fenchel-Salat

Die Einladung zum Abendessen wird Folgen haben: Katharina Lorenz, Fabian Krüger, Nicholas Ofczarek und Isabelle Redfern. Bild: Georg Soulek, Burgtheater
Zum Schluss überschlug sich das Publikum vor Glück. Darsteller, Regisseurin und Autor wurden mit tosendem Applaus bedankt, der Beweis dafür, dass Burgtheaterdirektorin Karin Bergmann einmal mehr das richtige Gespür dafür hatte, womit man Zuschauerreihen und Kasse füllt. Heimkehrerin ans Haus Tina Lanik inszenierte das 2013 mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnete Debütstück „Geächtet“ des US-Autors Ayad Akhtar als Österreichische Erstaufführung.
Akhtar hat seine familiären Wurzeln in Pakistan, und aus diesem Umstand hat er einen Text gezimmert, nach dem Motto: Treffen sich ein Jude, ein Muslim, eine Weiße und eine Afroamerikanerin zum Abendessen … Oft und gerne wird er mit Yasmina Reza verglichen, was stimmt punkto der Schablonenhaftigkeit seiner Figuren, was nicht stimmt hinsichtlich ihrer scharf geschliffenen, sarkastischen Dialoge. „Geächtet“ ist weder Boulevard, wiewohl sich Lanik für ihre Arbeit vieler seiner Mechanismen bedient, noch Konversationsstück, und auch nicht deren beider „Anti“-Spielart. Es ist ein sich gegenseitig bereits sattsam bekannte Urteile und Vorteile An-den-Kopf-Werfen, eine platte Belanglosigkeit über Glaubensangelegenheiten bei Anchovi-Fenchel-Salat, und auch, wenn Theater auf das Rätsel, warum die drei abrahamitischen Religionen nicht und nicht miteinander können, natürlich keine Antwort geben kann, so wären doch zumindest spannendere Fragen möglich gewesen. Nichts Neues gibt es hier zu erfahren und zu begreifen oder gar anzunehmen. Ob es sein muss oder ob es tatsächlich so sein muss, das weltpolitisch brisanteste Thema dieser Tage in der Art auf einer Bühne zu verhandeln, ist immerhin eine der offenen, mit denen man das Theater nach eindreiviertel Stunden verlässt.
„Ironie wird überbewertet“, heißt es an einer Stelle im Stück, doch Lanik weiß sich Luft zu verschaffen, indem sie Witz und Gewitztheit über ihre Inszenierung einbringt. Als wolle sie das, was sie da so konservativ-konventionell im designerweißen Ambiente von Stefan Hageneier abschnurren lässt, konterkarieren, arbeitet sie mit kleinen Gesten heraus, dass hinter Akhtars teilweise zutiefst amerikanischen Klischees auch eine Wahrheit über gesellschaftliche Gruppenidentitäten und deren Krisen steckt, über ein „Wir“- und „Ihr“-Gefühl, dass in Europa längst, sicher länger als in den USA beheimatet ist. Lanik verlässt sich ganz auf ihre Schauspieler, und sie tut gut daran, weil die vier es meisterlich verstehen, ihren Figuren Fleisch und Blut anzuhaften.
Vor allem Fabian Krüger und Nicholas Ofczarek gelingt das glänzend, Katharina Lorenz und Isabelle Redfern haben es etwas schwerer, weil die Frauenfiguren besonders blass sind, doch beide finden mit Bravour eine Linie in der Konturlosigkeit ihrer Rollen. Krüger spielt als Amir überzeugend einen Mann, der sich gegen die Islamophobie seiner Umgebung einen Schutzpanzer aus lässiger Coolness zugelegt hat. Alles hat er getan, um einer unter gleichen zu werden, selbst den pakistanischstämmigen Familiennamen Abdullah gegen den gefälligeren indischen Kapoor getauscht. Dem Islam und dem Koran hat er, weil „eine lange Hate-Mail an die Menschheit“ abgeschworen, nun wartet der erfolgreiche Wirtschaftsanwalt darauf, zum Partner seiner Kanzlei befördert zu werden. Er ist so überheblich, borniert und gelackt, wie die WASP, von denen er gern einer wäre, doch hat er sich diesen Status nur erheiratet.

Isaac greift bei Emily gern einmal zu: Katharina Lorenz und Nicholas Ofczarek. Bild: Georg Soulek, Burgtheater

Am Ende eskaliert die Situation in häuslicher Gewalt: Katharina Lorenz und Fabian Krüger. Bild: Georg Soulek, Burgtheater
Durch Emily, dargestellt von Katharina Lorenz, eine verträumte, leicht verpeilte Malerin, die sich ein ihren Bedürfnissen angepasstes Bild vom Islam zurechtgerückt hat. Das besteht vor allem in ihrer großen Bewunderung der Ornamentik und des Architekturdekors, was sich als der große Ehekonflikt mit Amir entpuppt – hie Kunst, hie IS-„Kalifat“, da Verklärung, dort Verteufelung. Der zweite teflonbeschichtete Erfolgsmensch ist Isaac, Nicholas Ofczarek gibt den Kurator vom Whitney als von sich selbst besoffenen, süffisanten Intellektuellen. Extradry attackiert er Amir mit seinen alltagsrassistischen Sticheleien.
9/11, dieses große Trauma, muss vorkommen, ebenso der Israel-Palästina-Konflikt. Isaac ist Jude – und verheiratet mit einer Afroamerikanerin, Isabelle Redfern, die es aus dem Ghetto an die Spitze der New Yorker Anwaltschaft gebracht hat. Sie wird Amir die Beförderung vor der Nase wegschnappen. Der hat sich nämlich durch familiäre Verstrickungen verdächtig gemacht und ist nun im Visier von Freunden und Vorgesetzten. Was folgt, ist klar, wie das Amen im Gebet: Alkohol und Eskalation. Amir wird in eine Verteidigungshaltung gedrängt, und es sind die besten Momente des Abends, wenn Krüger und Ofczarek sich mit ihren Provokationen gegenseitig hoch lizitieren.
Dabei wird wie unterm Stammtischwimpel mit den Begrifflichkeiten jongliert, Glaube, Religion, ihn vereinnahmende, sie ausführende Institutionen, Fanatismus bis zum Terrorismus, alles schlagen Amir und Isaac über ein Leisten, ohne, dass der Autor an einer Stelle deutlich definierend eingreift. In den USA, und auch in Deutschland, wo das Stück unter anderem am Münchner Residenztheater zu sehen war, wurde „Geächtet“ von islamophilen wie islamophoben Gruppen mit lautem Hurra! begrüßt. Auch dies ein Zeichen dieser Zeit. Und unterm Strich betrachtet das stärkste, das Ayad Akhtar zu setzen vermag.
Am Ende gibt’s häusliche Gewalt, der in der öffentlichen Meinung Unterdrückte rächt sich, indem er, wie’s ihm Sure 4:34 ja gestattet, seine Frau abwatscht, und mit Christoph Radakovits einen Neffen, der sich in einer Moschee den Islamisten angeschlossen hat. Im Programmheft zieht Dramaturg Florian Hirsch Lessings weisen „Nathan“ an den Haaren herbei. Bei Akhtar kommt das Christentum gut weg, weil’s nicht vorkommt, seine jahrhundertelange, Globus umspannende Missionierung als Mordsinstrument des Herrn, die Verfolgung Andersgläubiger, die Geldbeschaffungsmaschine „Glaube“ … Dem Judentum wird ewige Wehleidigkeit und Verfolgungswahn bescheinigt – dies aber mutmaßlich schon Inhalt des ältesten jüdischen Witzes der Welt.
Wien, 27. 11. 2016
[…] Bestes Stück – Autorenpreis: Ayad Akhtar für „Geächtet“, Burgtheater (Rezension: http://www.mottingers-meinung.at/?p=23688) […]
[…] Bestes Stück – Autorenpreis: Ayad Akhtar für „Geächtet“, Burgtheater (Rezension: http://www.mottingers-meinung.at/?p=23688) […]
[…] „arabisch“. Akhtar, dem Burgtheaterpublikum von seinen Stücken „Geächtet“ (Rezension: http://www.mottingers-meinung.at/?p=23688) und „The Who and the What“ (Rezension: http://www.mottingers-meinung.at/?p=28977) bekannt, legt damit […]