Circus Roncalli: Reise zum Regenbogen

September 17, 2016 in Tipps

VON MICHAELA MOTTINGER

Sehen, was Sie noch nie gesehen haben!

Paolo Carillon hüllt die Welt in sanft schillernde Seifenblasen. Bild: Circus Roncalli

Paolo Carillon hüllt die Welt in sanft schillernde Seifenblasen. Bild: Circus Roncalli

Roncalli, das ist Gesamtkunstwerk auf dem Rathausplatz, das sind Fantasiewesen und skurrile Geschöpfe, die das Publikum schon lange vor dem Einlass abholen und in ihre Welt entführen, das ist der Kindheitsgeruch nach Zuckerwatte und gebrannten Mandeln. Roncalli, das sind die Clowns, die Pierrots, die Colombinen, die dummen Augusts, sie wie immer das Herz der Show.

„Reise zum Regenbogen“ heißt die, die Roncalli-Gründer Bernhard Paul zum 40-Jahr-Jubiläum seines Circus erdacht hat, und bis man endlich drinnen ist im Zelt, ist man dort längst angekommen, längst verzaubert, längst im Zirkusfieber. Minutenlang werden sie mit Applaus bedacht, der Herr Direktor und sein Spektakel. Beide sind sie Wiener. Beide nun bis 16. Oktober in Wien zu sehen. Für das hochkarätige Programm, durch das Clown-Conférencier Gensi und seine Kollegen Anatoli Akerman und Ramon, der sich mit seiner spaßigen Art durch die Nummern crasht, führen, hat Bernhard Paul sich sozusagen neu erfunden. Die Nostalgie früherer Shows ist natürlich da, das Sentiment und die leise Melancholie gehören zur Roncalli-Melange. Etwa, wenn Paolo Carillon und seine verrückten Maschinen mit sanft schillernden Seifenblasen jede harte Realität weichzeichnen. Oder das Duo Pykhov. Seiltänzerin Yana, die auf einer von ihrem Mann sanft geschaukelten Mondsichel, Richtung Himmel schwebt.

Ai'Moko bezauberte das Publikum mit dem Cyr-Rad. Bild: Circus Roncalli

Clown-Akrobat Ai’Moko bezaubert das Publikum mit dem Cyr-Rad. Bild: Circus Roncalli

Jongleur Ty Tojo hebt eine alte Kunst auf eine völlig neue Stufe. Bild: Circus Roncalli

Jongleur Ty Tojo hebt eine alte Kunst auf eine völlig neue Stufe. Bild: Circus Roncalli

Doch diesmal sorgen auch viele junge, vielfach bereits preisgekrönte Artisten mit ihren temperamentvollen Nummern für Tempo und modernes Flair. Schauen heißt Staunen, und Stimmung ist vom ersten Moment an. Neben der Poesie der Bilder besticht auch die akrobatische Leistung. Sehen Sie, was Sie noch nie gesehen haben! Etliche Darbietungen in dieser Form tatsächlich zum ersten Mal. Ty Tojo, der 18-jährige Amerikaner mit japanischen Wurzeln, in Monaco bereits mit dem Newcommerpreis ausgezeichnet, hebt die Kunst der Jonglage auf eine neue Ebene. Scatman Robert Wicke beweist, dass man Beatboxen, Singen und Kekse essen gleichzeitig kann – und freilich fordert der Comedian die Zuschauer auf, es ihm gleich zu tun. Ohne mitzumachen kann man bei Roncalli nicht dabei sein.

Vivi Paul begeisterte das Publikum im Luftring. Bild: Circus Roncalli

Vivi Paul begeistert das Publikum im Luftring. Bild: Circus Roncalli

Lili Paul zeigte zum ersten Mal ihre Kontorsionsakrobatik. Bild: Circus Roncalli

Lili Paul zeigt Kontorsionsakrobatik. Bild: Circus Roncalli

Und mitten drin die beiden Töchter. Vivi Paul als Harlekina mit keckem Hütchen am Luftring und Lili Paul mit ihrer Kontorsionsakrobatik. Die Erstgeborene präsentiert sich mit Anmut und einem Augenzwinkern, ganz „alte Häsin“, das 17-jährige Nesthäkchen der Familie zeigt seine Kunst zum ersten Mal in der Manege. Nach dem Schlussapplaus zu schließen der Liebling des Publikums ist das Wunderwesen Ai’Moko, eine Erfindung des venezolanischen Clown-Akrobaten Aime Morales, das im surrealen Raum eines Cyr-Rads lebt und mit diesem einen anmutigen Konflikt um die eigene Daseinsberechtigung austrägt. Was der bereits hoch dekorierte Künstler da zeigt, ist etwas auch für Zirkuserfahrene völlig Neues.

Gleich dem Foucault'schen Pendel schwebt Lift durch die Luft. Bild: Circus Roncalli

Gleich dem Foucault’schen Pendel schwebt Lift durch die Luft. Bild: Circus Roncalli

Das Duo Pykhov balanciert auf der Mondsichel. Bild: Circus Roncalli

Das Duo Pykhov: Yana balanciert auf der Mondsichel. Bild: Circus Roncalli

Ebenso wie die Darbietung des fliegenden Quartetts namens Lift. Gleich einem Foucault’schen Pendel schwingen die beiden Herren ihre Partnerinnen durch die Luft, lassen sie, selbst nur von einem Hüftgurt gehalten, bis unter die Kuppel abheben. Das kanadisch-südamerikanische Kleeblatt hat mit dem Porteur Parallele ein neues Genre entwickelt und wurde dafür beim Paris Nachwuchszirkusfestival mit Silber belohnt. Die vier sind ein rasanter, ein atemberaubender Schlusspunkt der Show. Zu Recht bejubelt, bevor sich die Zuschauer mit bunten Luftballons beschenkt glücklich nach Hause träumen.

Nach Wien ab Oktober in Graz und ab November in Innsbruck.

www.roncalli.de

Wien, 16. 9. 2016