Volkstheater: Das Narrenschiff
September 10, 2016 in Bühne
VON MICHAELA MOTTINGER
Laufender Probenprozess vor Publikum

Einblick ins Workshoptheater: Bei Dušan David Pařízek symbolisieren ein Dutzend Schminktische die Schiffskabinen. Stefanie Reinsperger, Jan Thümer, Sebastian Klein, Katharina Klar, Seyneb Saleh, Anja Herden, Lukas Holzhausen und Rainer Galke. Bild : © www.lupispuma.com / Volkstheater
Wenn diese Inszenierung in ein, zwei, drei Wochen fertig sein wird, ist aus ihr sicherlich eine sehr schöne und spannende Arbeit geworden. Derzeit allerdings ist, was man auf der Bühne des Volkstheaters sieht, noch in mehrerer Bedeutung des Wortes unkonzentriert. Regisseur Dušan David Pařízek zeigt als Saisoneröffnungspremiere des Volkstheaters „Das Narrenschiff“ von Katherine Anne Porter in einer eigenen, tadellos griffigen Textfassung, doch ist, was er zeigt, ein laufender Probenprozess vor Publikum.
Ein Eindruck, der insofern durchaus gewollt sein mag, als Pařízek, wie immer auch fürs Bühnenbild verantwortlich, neben eine Schiffsdeck-Spielfläche ein Dutzend Schminktische platziert, die als eine Art Backstagebereich ist gleich Schiffskabinen dienen, und an denen alle Schauspieler immer anwesend sind. Doch dies „Workshoptheater“ darf nicht Ursache dafür sein, dass die Handlung in alle Richtungen zerfließt, dass sich einem nicht erschließt, welche Geschichte hier eigentlich erzählt – Stoff gäb’s ja genug aus den „Rassen“ und Klassen, von Kapital und Krise bis Sozialismus und Nationalsozialismus – und welchen Sukkus sie haben soll. Diverses versteht man schlicht nicht, und dies nicht im Sinne von enigmatisch, sondern von unverständlich.
Warum etwa reist Bulldogge Bébé ohne Herrl Professor Hutten, und wenn man auf den Hund schon wert legt, warum fehlt die Schlüsselszene des Romans, ihre Rettung durch den Zwischendeck-Basken, der dabei freilich sein Leben verliert? Warum ist statt Hutten der sittenstrenge jüdische Kaufmann Julius Löwenthal Schweizer, warum die hyperhysterische Condesa offenbar aus Simmering entsprungen, außer dass Lukas Holzhausen und Stefanie Reinsperger den jeweiligen Zungenschlag beherrschen?

Passagiere gehen an Bord: Jan Thümer, Gábor Biedermann, Lukas Holzhausen, Seyneb Saleh und Rainer Galke. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Michael Abendroth brilliert als Schiffsarzt Dr. Schumann; mit Stefanie Reinsperger als La Condesa. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater
Am besten ist der Abend dort, wo Pařízek Porter spielen lässt. Wenn ihn dann ab und an der didaktische Zeigefinger des deutschen Diskurstheaters in die Seite sticht – als kubanisch-spanische misera plebs wird dazu das Publikum angeleuchtet und angesprochen -, dann ist das eben … Volkstheater unter Anna Badora. Zu diesem theaterpädagogischen Ansatz passt, dass der Regisseur wieder seinen obligatorischen Overheadprojektor mitgebracht hat, auf dem die Schauspieler fröhlich Folien hin und her schieben. Das kennt man bereits ebenso, wie die Versuche des Souffleurs einem Düsseldorfer Mimen hiesige Dialekte beizubringen. Siehe „Alte Meister“. Wiener reden zwar vielleicht komisch, können aber übers Jahr durchaus was im Kopf behalten …
Die Momente entstehen aus einzelnen Bildern. Anja Herden als Mary Treadwell und Michael Abendroth als Schiffsarzt Dr. Schumann schaffen in ihren bestechenden Auftritten die Atmosphäre, die man sich für den ganzen Abend gewünscht hätte. Die beiden präzisieren Situationen, die Amerikanerin mit dem Sarkasmus einer Siegernation und jenem Lieber-gar-nicht-wissen-Wollen, das lange die Haltung der USA zum Dritten Reich kennzeichnete, der Deutsche mit einer verweht-nostalgischen Melancholie, die beinah anachronistisch den Untergang alles Guten und die Morgendämmerung des Bösen charakterisiert. Der Kapitän ist abwesend wie Gott, so dass der Teufel seinen Platz einnimmt – Rainer Galke ist als nationalsozialistischer Zeitungsherausgeber Siegfried Reber Agitator, Angstmacher und derart großmäuliger „Piefke“, wie’s der österreichischen Seele ein Stachel in derselben ist. Katharina Klar und Sebastian Klein gestalten mit viel Engagement das On-Off-Liebespaar Jenny Brown und David Scott.

Bei der Todesfiesta nimmt der Dampfer endlich Fahrt auf: Lukas Holzhausen, Seyneb Saleh und Rainer Galke. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater
Anderen Darstellern, wie Seyneb Saleh als Lizzi Spöckenkieker, Gábor Biedermann als Wilhelm Freytag, Bettina Ernst als Frau Otto Schmitt oder vor allem auch Jan Thümer als William Denny, wünscht man von Herzen mehr Zeit für ihr Spiel in dieser beinah dreieinhalbstündigen Aufführung. Wie’s werden wird können, zeigt sich nach der Pause, wenn der Dampfer endlich Fahrt aufnimmt und eine Todesfiesta beginnt.
Mit grell geschminkten Totenkopfmasken, mit Sätzen, die wie im Rhythmus der Füße stampfen. Marschiert und gestorben wird immer noch wo, da ist Gestern wie heute. In dieser Szene blitzt Pařízeks inszenatorische Brillanz auf, am Rest kann ganz ehrlich noch gefeilt werden.
Michael Abendroth im Gespräch: www.mottingers-meinung.at/?p=21783
Wien, 10. 9. 2016