Elizabeth Strout: Die Unvollkommenheit der Liebe
August 29, 2016 in Buch
VON MICHAELA MOTTINGER
Zum Schluss auch noch ein Schweizer Nazi-Schließfach

Die Unvollkommenheit der Liebe von Elizabeth Strout
Es ist schon so. Als großer Fan von Elizabeth Strout hatte man sich den ganzen Sommer auf ihren neuen Roman gefreut, doch umso größer ist nun die Enttäuschung. Es mag mitunter die Qualität eines Buches sein, das es den Leser ärgert, und tatsächlich giftet einen diese Protagonistin Lucy, nicht Jordan, sondern Barton, immer wieder möchte man sie bei den Schultern packen und schütteln, befreie dich!, finde dich!, werde ein Ich!, doch die bestimmende Emotion bleibt: ein desillusionierter Dämpfer.
Wie es ausgerechnet dieses Bändchen der sonst so ausgezeichneten US-Autorin auf die Longlist für den diesjährigen Man Booker Prize geschafft hat, erschließt sich einem nicht. Zum mutmaßlich ersten Mal wagte die Schriftstellerin den Ausbruch aus dem ihr so vertrauten und stets so brillant geschilderten Gründerstaaten-Kleinstädter-Milieu – und dieser Ausbruch muss als gescheitert angesehen werden.
In „Die Unvollkommenheit der Liebe“, das ab heute im Buchhandel erhältlich ist, liegt Ich-Erzählerin Lucy Barton im Krankenhaus in Manhattan. Nach einer Blinddarmoperation hat sich eine rätselhafte Infektion in ihrem Körper ausgebreitet, zeitweise kämpfen die Ärzte um ihr Leben. Neun Wochen wird es dauern, bis sie sich von ihrem Krankenbett wieder erheben kann, dies erzählt sie rückblickend, und als sie eines Tages die Augen aufschlägt, sitzt ihre Mutter an ihrem Bett. Eine Frau, mit der sie nichts gemein zu haben glaubt und zu der sie schon lange keinen Kontakt mehr hat, um deren Liebe zu buhlen sie aber selbst in dieser schwierigen Lebenssituation nicht aufhören kann.
Diese kammerspielartige Situation wurde von Strout entworfen, um entlang der kaum vorhandenen Gespräche der beiden eine Familienbiografie zu entwerfen. Wie sie’s normalerweise mit Verve und viel Verständnis für Zwischenmenschliches tut. Diesmal allerdings bleibt, was die Geschichte zweier zwanghaft über die kaputten Beziehungen anderer redenden Frauen werden hätte können, eine Beschreibung von Menschen, die sich ihr Leben zergrübeln und zerquälen, einer Mutter, deren nadelspitze Sticheleien zeigen, wie man einer Mutter nie gut genug sein kann, die der Werdegang ihrer Tochter nur verwirrt oder maximal neidisch macht, und dieser Tochter, die sich ihres Selbstwerts unbewusst immer noch einen „Niemand“ nennt und deren therapieüberfällige Ängste und Nöte man nicht haben möchte, auf halber Strecke stecken.
Im Roman wird über eine New Yorker Autorin namens Sarah Payne berichtet, man erinnert sich an ein gleichnamiges britisches Pädophilenopfer aus dem Jahr 2000, und dieser Sarah Payne wird vorgeworfen, ihre Romane und deren Figuren an einer gewissen Stelle einfach verenden zu lassen. Die Reklamation muss weitergereicht werden. Strout mag viele Lucy Bartons gekannt haben und kennen, doch scheint sie selbst so greifbar an so vielen Stellen durch, dass einen das Gefühl beschleicht, sie halte künstlich etwas vom Leser fern. Sie arbeitet in einer Art höchster Geheimhaltungsstufe, als ob ihr persönlich Lucys Story zu tief und zu nahe gehe. In „Die Unvollkommenheit der Liebe“ wird nichts ausgemalt, und man muss auch nicht alles en Detail wissen, um es zu verstehen, den Missbrauch und die Misshandlungen durch den Vater, die seelische Kälte und die Kaltschnäuzigkeit der Mutter, die Fremdheit und ergo die Distanz gegenüber den Geschwistern, doch Strout hat ihr Buch hermetisch abgeriegelt und verweigert einem den Zugang dazu. Das aber tut Literatur niemals gut, bis zu einem gewissen Grad der Selbstverletzung bleibt ein Seelenstrip des Schriftstellers unerlässlich.

Bild: Pixabay

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Noch schlimmer allerdings wiegt die Sprache. Wie gerne hätte man formuliert, sie sei schlicht und schön, so unsentimental und klar wie intensiv, über Strouts „Das Leben natürlich“ hieß es an dieser Stelle „kaum ein anderer Autor kann gleichzeitig so prosaisch und so poetisch erzählen“, doch klafft auch hier eine Schere zwischen Wollen und Wirkung. Lucy Barton schildert ihren Weg zur Bestsellerautorin, aber einer solchen Schreibstil hat sie nicht. Höflichst könnte man ausdrücken die einfache Sprache sei wie gesprochen, als wär’s die erzählte Chronik einer mittelschichtigen Supermarktangestellten oder einer von der Computerisierung in ihrem Büro ausgesonderten Schreibkraft, doch niemals die einer nunmehr gefeierten hauptberuflichen Wortschöpferin.
Die Strout hat sich auf ein Terrain begeben, das ihr unbekannt ist und dessen Meisterin zu werden sich ihr nicht erschlossen hat. Auf dem Höhepunkt steht Lucys erster Ehemann, der, weil er deutschstämmig ist und Lucys Vater Soldat im Zweiten Weltkrieg war, von ihren Eltern nicht nur abgelehnt, sondern in einer hysterischen Germanophobie samt den aus dieser Verbindung stammenden Töchtern regelrecht gehasst wird. Aber kurz bevor die Ehe scheitert, erbt er – ein Schließfach in der Schweiz voll mit Großvaters Nazi-Geld, und freilich nimmt Lucy bei der Scheidung von diesem Stereo-Typ keinen Cent an … Der Schlusssatz des Buches ist folgender: „Leben, denke ich manchmal, heißt Staunen.“ Lesen auch. Wobei es hier für Staunen die passenden Synonyme fassungslos, sprachlos, aus allen Wolken fallen gibt.
Über die Autorin:
Elizabeth Strout wurde 1956 in Portland, Maine, geboren. Nach dem Jurastudium begann sie zu schreiben. Ihr erster Roman „Amy & Isabelle“ wurde für die Shortlist des Orange Prize und den PEN/Faulkner Award nominiert und ein Bestseller. Für „Mit Blick aufs Meer“ bekam sie 2009 den Pulitzerpreis. Erschienen sind seither unter anderem „Das Leben natürlich“ (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=6494) und „Bleib bei mir“ (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=11917). Elizabeth Strout lebt heute in Maine und New York.
Luchterhand Literaturverlag, Elizabeth Strout: „Die Unvollkommenheit der Liebe“, Roman, 208 Seiten. Aus dem Amerikanischen von Sabine Roth.
www.randomhouse.de/luchterhand
Wien, 29. 8. 2016
[…] die Bestsellerautorin, war die Protagonistin in „Die Unvollkommenheit der Liebe“ (Rezension: http://www.mottingers-meinung.at/?p=21705). Damals lag sie im Krankenhaus und haderte mit ihrer unerträglichen Mutter, nun erfährt man […]
[…] William!“ Zwar ist die Erzählerin die schon aus „Die Unvollkommenheit der Liebe“ (Rezension: http://www.mottingers-meinung.at/?p=21705) und „Alles ist möglich“ (Rezension: http://www.mottingers-meinung.at/?p=30582) bekannte […]