Armes Theater Wien: Illusionen

August 11, 2016 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Eine todernste Komödie über das Trugbild Liebe

Daniel Ruben Rüb, Krista Pauer, Florine Schnitzel. Bild: Christian Vondru

Albert, verwirrt über Sandras späte Liebesgeständnisse: Daniel Ruben Rüb mit Krista Pauer und Florine Schnitzel. Bild: Christian Vondru

Wenn Krista Pauer zu Beginn mit dunklem Timbre Annett Louisans „Belüg mich noch einmal“ singt, ihr „Bring diesen Augenblick für eine Ewigkeit zurück“, gibt sie damit gleichsam den Grundton des Abends vor. Das Arme Theater Wien zeigt Iwan Wyrypajews „Illusionen“, und es mag der Atmosphäre im Ottakringer Bockkeller und seinem Garten geschuldet sein, ist aber sicher der feinfühlig humorigen Regie von Erhard Pauer zu danken, dass man sich in einem modernen Sommernachtstraum wähnt.

Wyrypajew, der russische Theatergründer, Regisseur und Dramatiker, hat einen Vier-Personen-Text über das Trugbild Liebe geschrieben, über die falsche Wahrnehmung von Wirklichkeit, über Selbsttäuschung und die von anderen. Eine leise ironische, todernste Komödie über das Suchen und Nicht-Finden und wenn doch Nicht-Erkennen der wahren Liebe. Ein Stück, in dem die Protagonisten sich nacheinander aufs Sterbebett legen und entschlafen. Keine Angst, sie sind alle weit jenseits der Achtzig und ihr Witz mildert die Melancholie. Pauers Inszenierung zaubert ein Lächeln, dessen Augenzwinkern auch von den paar Tränen rührt, die im Publikum nur allzu gern verzwickt werden. Gelungen ist ein sehr sympathischer Abend mit den großartigen Darstellern Krista Pauer, Florine Schnitzel, Victor Kautsch und Daniel Ruben Rüb.

Sie spielen die beiden Ehepaare Danny und Sandra (Kautsch und Schnitzel) und Albert und Margret (Rüb und Pauer). Seit Ewigkeiten ist man verheiratet und teilweise noch länger befreundet, doch nun, da es ans Ende geht, will jeder dem anderen die „Wahrheit“ sagen. Was in etwa so klingt: Sandra gesteht Albert ein Leben lang nur ihn geliebt zu haben, Gefühle, die dieser nun auch in sich zu entdecken glaubt. Danny räumt ein, immer nur Margret begehrt zu haben. Und Margret bekennt sich zu einer Affäre mit Danny. Doch Vorsicht vor den eigenen Fantasiegebilden. Es wird sich noch herausstellen, welche dieser Bekenntnisse „Illusionen“ sind … Wyrypajews Stück hat einen Leitsatz, der die Hoffnung in sich birgt: „Es muss doch irgendetwas Beständiges geben, in diesem sich ständig wandelnden Universum“.

Daniel Ruben Rüb. Bild: Christian Vondru

Daniel Ruben Rüb. Bild: Christian Vondru

Krista Pauer und Florine Schnitzel. Bild: Christian Vondru

Krista Pauer und Florine Schnitzel. Bild: Christian Vondru

In Rückblenden berichten die Schauspieler von den vier Leben ihrer Figuren, von deren Wünschen und Träumen, davon, was Erfüllung für sie bedeutet, und warum Liebende einander immer missverstehen müssen. Es ist eine Szenenfolge mit Streiten und Stricken, und die Zuschauer sitzen mittendrin in dem, worin man sich ohne große Mühe selbst erkennen kann. Pauer hat den Text als Partitur genommen und seine sich spiegelnden Strukturen wie ein Musikstück umgesetzt. Die Schauspieler sind ebenso in ihren Rollen wie Erzähler über diese, und sie geben einander aus diesen Positionen auch die Regieanweisungen. Da sorgt bei Margret etwa für Unmut, wenn Albert nicht lang genug vor ihr knien will, und Danny reagiert mit Unverständnis, weil Sandra ihn minutenlang wütend umkreist.

Allen voran Krista Pauer und Daniel Ruben Rüb glaubt man die Echtheit der Gefühle in ihrem Changieren zwischen komischer Verzweiflung und tiefer Verletztheit, sie wie immer hinreißend temperamentvoll, doch ist ihre Margret hinter der flotten Fassade fragil wie Glas, er ein gesettelter Teddybär, den die unerwarteten Herzensverwirrungen völlig aus der Bahn werfen. Victor Kautschs Danny ist dagegen unendlich viel kopflastiger, einer, der seinen Platz in der Welt sucht – und diesen, dies nur eine der amüsanten retrospektiven Anekdoten, auf einem australischen Outback-Brocken findet, siehe wütendes Umkreisen von Sandra. Die wird von Florine Schnitzel als bodenständig-patentes ewiges Mädchen gestaltet. Eine, die halt nicht weinen konnte, als mit dem Gemüse irrtümlich eine Schnecke auf dem Griller landete. Was nebenbei vor 40 Jahren passiert ist, ihr aber immer noch vorgeworfen wird …

Florine Schnitzel, Krista Pauer und Victor Kautsch. Bild: Christian Vondru

Danny findet seinen Platz in der Welt, Sandra schäumt: Victor Kautsch mit Florine Schnitzel und Krista Pauer. Bild: Christian Vondru

Die „Illusionen“ sind der Stoff, aus dem sonst Geschlechterschlachten sind, doch Iwan Wyrypajew hat daraus ein versöhnliches Philosophikum über die Treffsicherheit von Amors Pfeilen gemacht. Ein „Drum prüfe, wer sich ewig bindet …“, das das Arme Theater Wien auf heiter-besinnliche Weise umsetzt. Dass es so gut gelingt, mag daran liegen, dass die Liebe und die Art, wie hier Theater gespielt wird, miteinander verwandt sind. Vorstellungen bis 26. August.

www.armestheaterwien.at

Iwan Wyrypajew im Gespräch: www.mottingers-meinung.at/?p=2016

Wien, 11. 8. 2016