Forum Frohner: Rot ich weiß Rot
Mai 19, 2016 in Ausstellung
VON RUDOLF MOTTINGER
Ein Bilder-Sturm in der politischen Windstille

Wolfgang Flatz: Fist, 1987. Land Niederösterreich, Landessammlungen NÖ. Bild: Andreas Gießwein © Bildrecht, Wien, 2016
Zahlreiche hochklassige Kunstausstellungen setzen sich mit ästhetischen Aspekten auseinander, rücken humorvolle oder kulinarische Perspektiven ins Zentrum, erschließen Gerüche, bieten Gelegenheit zum Verweilen, entspannen und genießen. Die Ausstellung „Rot ich weiß Rot. Kritische Kunst für Österreich“, die ab 22. Mai im Forum Frohner auf der Kunstmeile Krems zu sehen ist, führt dagegen auf ein Kernanliegen der Kunst zurück. Anlass ist ein literarisches Werk, das vor fast vierzig Jahren geschrieben wurde und bis heute unvermindert aktuell geblieben ist.
1979 nimmt das Buch „Rot ich weiß Rot“ eine kritische Reflexion mit dem künstlerischen Klima in Österreich vor. Ausgangspunkt dafür ist die These einer „politischen Windstille“, die laut einem Bericht der FAZ dazu führt, dass es in Österreich keine Kritiker des eigenen Landes gäbe.
Dem stellen 70 Autorinnen und Autoren, von Thomas Bernhard bis Helmut Qualtinger, von Friederike Mayröcker und Elfriede Jelinek, von Josef Haslinger bis Peter Handke, eine umfassende Kritik der politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Situation unseres Landes entgegen. Die Schau lotet nun die Relevanz des Buches für das Kunstschaffen aus. Sie spürt Deutungen der nationalen Identität nach, beschäftigt sich mit dem Nachwirken des Nationalsozialismus, zeigt alternative Lebensmodelle auf und thematisiert die kritische Auseinandersetzung mit Geschlechterfragen.

Manfred Deix: Bundesadler Neu I, 1989. Land Niederösterreich, Landessammlungen NÖ. Repro: Kathrin Kratzer © Manfred Deix, 2016
Am Anfang der Deutung Österreichs steht Leopold Kupelwiesers Überhöhung der Heimat in der Allegorie „Austria“, entstanden um 1848. Staatswappen und Landkarten von Manfred Deix, Oswald Tschirtner und August Walla sehen Österreich später neu und anders. Der „Widerstandsbutton“ von Johanna Kandl und Ingeborg Strobl greift schließlich die Idee der Landesfarben auf und färbt Österreich als Protest gegen die Regierungsbildung des Jahres 2000 schwarzblau.
Der Nationalsozialismus wird in Susanne Wengers Werken der letzten Kriegsjahre verarbeitet. Die Bilder verbinden Traum und Trauma der als „entartet“ gebrandmarkten Künstlerin. Auch das Nachleben des Nationalsozialismus wird zum Thema. Viktor Matejka, als Symbolfigur eines unermüdlichen Aufzeigers tritt ebenso in Erscheinung wie der Grenzgänger Padhi Frieberger, der in seinem Werk „Scheißbrauner Lippizaner“ eine touristische Visitenkarte Österreichs demontiert, indem er den Aufstieg der Spanischen Hofreitschule im Dritten Reich aufzeigt.
Der „Herr Karl“ ist dagegen Helmut Qualtingers Mitläuferfigur – fotografiert 1962 von Franz Hubmann – die in sympathischer Tarnung die Skrupellosigkeit des Durchschnittsösterreichers entlarvt. Wie schwer das offizielle Österreich mit Neuem umgehen konnte, zeigt Herbert Boeckls Wettbewerbsbeitrag „Das große Welttheater“ für den Eisernen Vorhang der Staatsoper des Jahres 1955. Boeckl analysiert den Zustand Österreichs zwischen Nachkriegselend und Öffnung für den internationalen Aufbruch. Die Jury war überfordert und gab Rudolf Hermann Eisenmenger den Vorzug, der – von Adolf Hitler bewundert – die Kriegsjahre 1939 bis 1945 als Präsident des Wiener Künstlerhauses verbracht hatte.

Gottfried Helnwein: Selbstporträt mit Cyril und Ali, 1988. Land Niederösterreich, Landessammlungen NÖ. Bild: Peter Böttcher © Bildrecht, Wien, 2016
Aktionistische Kunstformen bilden einen Aufschrei gegen die Verdrängungspolitik und Enge der späten Nachkriegsära. Während der Aktion „Blutorgel“ 1962 lassen sich Adolf Frohner, Otto Muehl und Hermann Nitsch für drei Tage in einem Atelierkeller einmauern, um revolutionäre Ausdrucksformen zu entwickeln. Ebenso wie Günter Brus mit seinem „Wiener Spaziergang“ 1965, der auch als Kurzfilm zu sehen ist, lösen sie einen Skandal aus. In der Folge entwirft Otto Muehl ein alternatives Gesellschafts- und Lebensmodell, das 1972 in die Kommune Friedrichshof mündete.
Seit den 1970er-Jahren thematisieren zahlreiche Künstlerinnen das Frauenbild in der Gesellschaft und untersuchen überkommene Wertemuster. VALIE EXPORT, Christa Hauer, Ona B. oder die Gruppe „Die Damen“ entwickeln dabei unterschiedliche Zugänge – von politischen Handlungen bis hin zu künstlerischen Experimenten. In ihren Aktionen und Filmen, wie ihrem ersten Spielfilm „Der unsichtbare Gegner“ aus dem Jahr 1976, untersucht VALIE EXPORT den Körper als Symbol der Identitätsfindung und bildet damit einen zentralen Anknüpfungspunkt für feministische Positionen bis heute.
Die Ausstellung vereint zahlreiche Genres, Techniken und Medien, von der Zeichnung zur Malerei, von der Skulptur zum Film, von der Karikatur zur Fahne. Etwa 50 Arbeiten von 36 Künstlerinnen und Künstlern beziehungsweise Kollaborationen setzen sich intensiv mit Österreich und seiner politischen, sozialen und gesellschaftlichen Realität auseinander.
Wien, 19. 5. 2016