Volkstheater: Halbe Wahrheiten

April 30, 2016 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Eine feine Farce ohne billige Pointenjagd

Christoph Rothenbuchner und Evi Kehrstephan. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Diese Pantoffel sind offenbar ohne Besitzer: Christoph Rothenbuchner als Greg und Evi Kehrstephan als Ginny. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Am Volx/Margareten hatten Alan Ayckbourns „Halbe Wahrheiten“ als Produktion für die Bezirke Premiere. Und Lukas Holzhausen bewies damit, dass er nicht nur als Schauspieler („Alte Meister“, Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=15451, nächste Vorstellung am 5. Mai), sondern auch als Regisseur große Klasse ist. Er hat vom Stück des britischen Dramatikers den halbdurchsichtigen Firnis des Edelboulevards abgekratzt und eine feine Farce freigelegt.

Mit der geht er nicht auf billige Pointenjagd, Holzhausen hat seinem Darstellerquartett auch ein Spiel mit verschwörerischem Augenzwinkern untersagt, sondern er unterläuft den Witz sozusagen, dreht ihn einmal in den Köpfen der Zuschauer und fängt ihn hinterrücks wieder auf. Er hat die Schauspieler Doris Weiner, Michael Abendroth, Evi Kehrstephan und Christoph Rothenbuchner angeleitet, ihre Figuren und deren Verwirrungen und Verzweiflungen ernst zu nehmen, und gerade daraus entsteht die höchste Komödiantik. Vieles wird mit solcher Lakonie hingesagt, als hätte Loriot bei dieser Arbeit Pate gestanden. Die geschliffenen Dialoge sind auf den Punkt inszeniert. Mehr lässt sich von einem Ayckborn-Abend nicht wünschen.

Die Handlung ist verzwickt, nicht zuletzt, weil man einem Publikum, das sie noch nicht kennt, nicht zu viel verraten sollte. In London leben Greg und Ginny, erst kürzlich haben sie einander kennengelernt, und irgendwie hütet Ginny ein Geheimnis um ein paar Herrenpantoffel, aber Greg ist verliebt und will heiraten. Als Ginny aufs Land zu ihren Eltern fährt, reist er nach, um einen anständigen Antrag vor der Familie zu machen. Doch bei Sheila und Philip angekommen, ist offenbar alles ein bisschen anders, und die Vater-Tochter-Beziehung … naja … Ayckbourns Humor lebt von der Höflichkeit. Würde jemals jemand nachfragen, oder kurz nachdenken, die Katastrophen würden sich relativieren. So ist alles Missverständnis und Erstaunen und Notlüge und vornehmes Verzichten. Einer findet den anderen seltsam, aber jeder ist ein Schelm, der daher denkt … Ayckbourns Charaktere beherrschen perfekt die Kultivierung des Aneinander-Vorbeiredens. Und die Schauspieler im Volx, wie man das über die Bühne bringt.

Doris Weiner, Christoph Rothenbuchner und Michael Abendroth. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Die zukünftigen „Schwiegereltern“ sind verwirrt, aber freundlich: Doris Weiner, Christoph Rothenbuchner und Michael Abendroth. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Als Zuschauer muss man einfach nur zur Kenntnis nehmen, dass, wenn Fremde in jemandes Grünanlage stehen, der nichts anderes als freundlich zu ihnen sein kann. Hans Kudlich hat als Raum für den Austausch dieser Freundlichkeiten einen mittelschwer pflegebedürftigen Garten hingestellt, mit einer ungesund wuchernden Hecke, durch die Michael Abendroth dann und wann brechen muss. Als quasi Tür-auf-Tür-zu-Ersatz. Zwischen Gartentisch und -stühlen entfaltet sich der Wahnsinn.

Christoph Rothenbuchner ist als Greg die Idealbesetzung, der wohlerzogene junge Mann, so wild entschlossen, einen guten Eindruck zu machen, dass er unmögliche Situationen heraufbeschwört. Er ist von Anfang an in der Defensive, weil Ginny offenbar eine schamlos routinierte Schwindlerin ist. Evi Kehrstephan allerdings zeigt das mit so viel Charme, ihr Spiel lässt Ginnys Sympathiewerte derart nach oben schnellen, dass ihr niemand böse sein kann. Als würde man schon ahnen, dass es auch für ihr Handeln einen guten Grund gibt. Die Begegnung mit Sheila und Philip entwickeln die beiden zu einem surreal-anarchischen Spaß, sie reißen Abgründe auf, über denen die Wahrheit nur noch ein schmaler Grat ist.

Holzhausen bringt mit seiner Inszenierung die Figuren erst recht ins Schleudern. Und plötzlich steht die existenzielle Frage auf, was etwas wert ist. Ehe – Elend – Eifersucht, da müssen die einen erst einmal hin, wo die anderen schon längst nicht mehr sind. Vor allem Doris Weiner gestaltet das als Sheila ganz vorzüglich. Die Dame ist über viele Jahre ehegeschult, ergo abgeklärt, und sie weiß, welche Knöpfe sie drücken muss, um den Göttergatten auf die Palme zu bringen. Mit Sheila hat Weiner die vielleicht beste Rolle im Stück, denn sie entwickelt sich. Von perplex dahin, dass nicht mehr sicher ist, was sie nicht versteht oder nicht verstehen will. Jedenfalls ist es mehr, als die anderen ihr zutrauen – und so gehört Doris Weiner auch der Schlussgag. Den sie mit entzückender Grandezza vorträgt.

Michael Abendroth. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Ab durch die Hecke: Michael Abendroths Philip ist das Leben zurzeit gar nicht grün. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Michael Abendroths Philip ist ein Schlitzohr mit Tendenz zu Quengler und Querulant, wenn’s nicht nach seinem Willen geht. Doch Abendroth ist als Schauspieler zu brillant, um nur einen Unsympath zu gestalten. Sein Philip ist ein Sehnsüchtler, auf der Suche nach seiner Jugend, nach einem vorletzen Abenteuer, man hat Mitleid mit ihm, wie da sein Kartenhaus zusammenbricht.

Und dann kommt der Moment, wo er „Vater“ wird, die Zungen werden gespitzt, der Tonfall gereizter, er nützt die Situation und ist doch wieder nur – ein Unsympath. Abendroth macht das, so zwischen Tropf und Trottel, ganz hervorragend. Nach zwei Stunden „Halbe Wahrheiten“ und einer unvollständigen Auflösung aller Verzwicktheiten, konnte man einem gelungenen Theaterabend freudig applaudieren. Hier wurden definitiv keine halben Sachen gemacht! Das Volkstheater in den Bezirken darf sich zu Recht über eine schöne letzte Produktion zum diesjährigen Saisonschluss freuen.

Die ursprünglich als vierte Produktion in den Bezirken geplante Uraufführung von Thomas Glavinic’ Theatererstling „Mugshots“ wird im Dezember in der Regie des Autors nachgeholt. Und auch Lukas Holzhausen soll kommende Spielzeit von Intendantin Anna Badora wieder mit einem Regie-Projekt betraut werden. Wie er der Bühne bereits verriet, wird’s „ein echter Knaller“.

www.volkstheater.at

Wien, 30. 4. 2016