Wien Museum, Jüdisches Museum: Der Prater

März 4, 2016 in Ausstellung

VON RUDOLF MOTTINGER

Vergnügungsviertel mit Licht- und Schattenseiten

Kinderkarussell, um 1955 Bild: Leo Jahn-Dietrichstein Fotografie © Wien Museum

Kinderkarussell, um 1955
Bild: Leo Jahn-Dietrichstein Fotografie © Wien Museum

Riesenrad, Watschmann, Ringelspiel. Zuckerwatte, Langosch, Autodrom und dann kopfüber … Keiner, der nicht die schönsten Erinnerungen mit dem Wiener Prater verbindet. Nach der Erstkommunion, als Firmling oder später verliebt mit der Liebsten in der Liliputbahn. Das Wien Museum zeigt ab 10. März die Schau „In den Prater! Wiener Vergnügungen seit 1766“.

Das Haus verfügt über eine große Sammlung zum Thema. Ein Teil dieser Objekte ist permanent im Pratermuseum im Planetarium beim Riesenrad ausgestellt, viele Objekte aus der Pratersammlung lagern aber im Depot. Und gerade in den vergangenen zwei Jahrzehnten kamen viele dazu. Im Jubiläumsjahr werden die weniger bekannten Prater-Schätze nun geborgen und ausgestellt. Zu sehen sind etwa 650 Objekte großteils aus eigenem Bestand. Die Ausstellung selbst teilt sich in drei Abschnitte: Von den Anfängen ab 1766 bis zur Praterregulierung anlässlich der Weltausstellung 1873; die Blütezeit ab 1873 bis zum Ersten Weltkrieg; der Prater von der Zwischenkriegszeit bis heute.

Mit dem 7. April 1766 überließ Joseph II. das bis dahin kaiserliche Jagdgebiet Prater der Öffentlichkeit. In seinen Anfängen war der Prater ein naturbelassener Bereich nahe beim Stadtzentrum, der Freiräume für Spektakuläres wie etwa szenische Feuerwerke und Ballonflugexperimente bot. Noch im 18. Jahrhundert siedelten sich gastronomische Betriebe an, Limonadenstände, Imbissbuden, Gasthäuser und Kaffeehäuser entlang der Hauptallee. 1801 wurde das Panorama eröffnet, in dem man inmitten eines riesigen Rundgemäldes die Illusion hatte, in einer fremden Stadt zu sein, und im Circus Gymnasticus konnte man Kunstreitervorführungen sehen. Mit der „Praterregulierung“ im Vorfeld der Weltausstellung 1873 begann die eigentliche Blütezeit des Wiener Praters. Fantasievolle Neuerungen wie der Blumenkorso oder der Vergnügungspark „Venedig in Wien“ auf der Kaiserwiese trugen dazu bei, den Prater imagemäßig weiter aufzuwerten. Die Rotunde und das 1897 errichtete Riesenrad wurden zu neuen Wahrzeichen Wiens.

Als das erzählt die Ausstellung in Wort und Bild. Und auch von den 1950er-Jahren, in denen die Flipper, Glücksspielautomaten und Stoßspieler Einzug in den Prater hielten. Seinen zwielichten Ruf als „sündige Meile“ wird er ebenso schwer los, wie den, ein Paradies für Kleinkriminelle und Taschlzieher zu sein. Der Prater setzt die Gesetze außer Kraft, daran mag auch der Versuch nichts ändern, seinen Vorplatz mit einem neuen Touristenviertel zuzukitschen. Dass die langjährigen Pläne, aus dem Wurstelprater einen einheitlichen Themenpark internationaler Prägung zu machen, gescheitert sind, mag wohl auch mit der charmanten Widerständigkeit dieses Ortes zu tun haben, der für die Stadt nach wie vor von zentraler Bedeutung ist.

Ein Kapitel Pratergeschichte, das im Wien Museum angesprochen wird, ist die Arisierung zahlreicher Betriebe unter den Nationalsozialisten ab 1938. Damit befasst sich ab 16. März eingehend eine Ausstellung im Jüdischen Museum Wien:

Jüdisches Museum: „Wege ins Vergnügen. Unterhaltung zwischen Prater und Stadt“

Mit der Öffnung des Praters für die Öffentlichkeit vor 250 Jahren, fand auch das Vergnügen einen neuen Kristallisationspunkt im Herzen Wiens. Auf dem Weg aus der Stadt in den Prater siedelten sich sehr rasch zahlreiche Volkssängerlokale, Varietés, Possenbühnen und Theater an, die oft in jüdischem Besitz waren und ein sehr unterschiedliches Publikum begeisterten. Als die Leopoldstadt ab 1850 ein jüdischer Einwandererbezirk aus den Ländern der Monarchie wurde, entwickelte sich das Straßengeflecht zwischen Donaukanal, Augarten und Praterstern zum Zentrum der multikulturellen Wiener Moderne. 1927 berichtete Joseph Roth: „Die zwei großen Straßen der Leopoldstadt sind: die Taborstraße und die Praterstraße. Die Praterstraße ist beinahe herrschaftlich. Sie führt direkt ins Vergnügen. Juden und Christen bevölkern sie.“ Die Ausstellung „Wege ins Vergnügen“ spürt den interessantesten Darbietungsorten nach. Zu Wort kommen Zuschauer, Zensur und Presse. „Auftritte“ haben aber auch die damals gefeierten Stars der Szene wie Heinrich Eisenbach, Abisch Meisels, Gisela Werbezirk, Gertrud Kraus oder Hans Moser.

Erzählt wird auch, dass das neue Wahrzeichen des neuen Vergnügungsviertels, das Riesenrad, Gabor Steiner, dem jüdischen Direktor des Carltheaters gehörte. Steiner errichtete auch die berühmte Praterattraktion „Venedig in Wien“. Nach dessen Bankrott erwarb der jüdische Geschäftsmann Eduard Steiner das Riesenrad. Er wurde so wie alle anderen jüdischen Eigentümer der Unterhaltungssetablissements im Zuge der Vertreibung und Ermordung der Wiener Jüdinnen und Juden zwischen 1938 und 1945 enteignet und alle Spuren jüdischen Lebens in der Leopoldstadt wurden ausgelöscht. An das frühere Vergnügungsviertel erinnert heute kaum noch etwas. Diese Schau nun soll diesen verloschenen Teil der jüdischen Wiener Geschichte wieder ins Bewusstsein rücken.

Mit einem Ticket der Wien-Museum-Ausstellung kann gratis das Pratermuseum beim Riesenrad besucht werden. Zusammen ergeben die drei Ausstellungen eine Rundschau auf der Welt vielleicht bekanntestes, sicher aber meistbesungenes Vergnügungsviertel. Ein Blick, in seine lichtesten Momente und seine dunkelsten Abgründe.

www.wienmuseum.at

www.jmw.at

Wien, 4. 3. 2016