Landestheater NÖ: Tartuffe

Februar 28, 2016 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Zum Schluss eine zeitpolitische Satire

Albrecht Abraham Schuch und Tobias Voigt Bild: Nurith Wagner-Strauss

Albrecht Abraham Schuch und Tobias Voigt
Bild: Nurith Wagner-Strauss

Ihr seid alle von meinem Wohlwollen abhängig, lässt der Präsident am Ende ausrichten. Da ist Tartuffe wie vorgesehen mit der Polizei erschienen, enttarnt sich aber per Ausweis als einer aus ihren Reihen. Er ist ein Spitzel der Staatsmacht, der gönnerhaft Haftbefehl und Schenkung rückgängig macht und auf ein Tässchen Kaffee bleibt. Sardonisch lachend und sich im Spaß windend sitzt er zwischen den verkniffenen Gesichtern der Orgon-Familie, seht her!, der Betrüger bleibt der Sieger.

Róbert Alföldi hat am Landestheater Niederösterreich Molières Komödienklassiker durch diese neue Wendung am Schluss zur zeitpolitischen Satire gemacht. Eine wunderbare Möglichkeit, das 350 Jahre alte Stück zu modernisieren, ohne dem Original Gewalt anzutun. Beim St. Pöltener Premierenpublikum kam der „Gag“ zurecht gut an, es dankte Alföldis kluger Neuinterpretation mit großem Applaus.

Der Budapester Regisseur, bis Juni 2013 Intendant des Ungarischen Nationaltheaters, weiß, was es heißt, wenn einem der Urbi et Orbán entzogen wird. Wie seine Kollegen Árpád Schilling, Viktor Bodó und Kornél Mundruczó, deren jüngste Inszenierungen in den kommenden Wochen am Burgtheater, am Volkstheater und bei den Wiener Festwochen zu sehen sein werden, arbeitet er mittlerweile großteils im Ausland, am Landestheater Niederösterreich zum zweiten Mal. Nach dem regimekritischen Stück „Meine Mutter, Kleopatra“  setzte er nun eben den „Tartuffe“ in Szene. Und wie! Bei ihm haben die Pariser, vor allem die Pariserinnen, Paprika im Blut. Knappe zwei Stunden fegen die Darsteller mit Schwung über die Bühne, turnen sich temperamentvoll durch Wolfgang Wiens Versfassung, und lassen auch sonst keine Leibesübung aus. Das Publikum ist Teil ihres Spiels, immer wieder mit Licht im Saal miteinbezogen, und wer wissen möchte, wie es ist, von Pascal Groß gestürmt und geküsst zu werden, muss den Platz dritte Reihe, links außen, wählen.

Für die Rolle des Tartuffe hat man Albrecht Abraham Schuch als Gast eingeladen. Der junge deutsche Schauspieler war unter anderem in der Daniel-Kehlmann-Verfilmung „Die Vermessung der Welt“ als Alexander von Humboldt zu sehen. Als Molières Wasser predigender und Wein trinkender Kopfparasit ist er weniger Verführer als Verblender. Er ist weder charmant noch besonders bigott, und er hat es schon gar nicht notwendig, Anstand vorzutäuschen. Er ist kein verdeckter Heuchler, sondern ein offener Lügner, die Art neupopulistischer politischer Heilsbringer, die sich selbst noch im größten Unrecht ins Recht setzt. Weil angesichts ihrer Schlagzahl beim Sprechen vernünftige Argumente wie im Wind verpuffen. Und man ahnt, aus welcher Richtung dieser Wind weht. Schuch spielt sehr schön den immer von allen Angegriffenen, stets böswillig Beschuldigten, ob dieser Zumutungen durchwegs leicht Beleidigten mit Verschlagenheit in der Stimme und mephistophelischem Seitenblick. Wie man das (er)kennt: Während er im Haushalt Orgons selbst der Aggressor ist, beklagt er natürlich den „aggressiven Tonfall“ der anderen.

Auf deren Reaktionen richtet Alföldi sein Augenmerk. Im Zentrum seiner Molière-Essenz stehen die Erwiderungen auf und der Widerstand gegen Tartuffes Pläne, der verzweifelte Versuch der Familie Orgons den selbsternannten Moralapostel vom Sockel zu stoßen. Dabei sind die Rädelsführer die Frauen: Elisa Seydel als Gattin Elmire, Lisa Weidenmüller als Tochter Mariane und Swintha Gersthofer als Zofe Dorine. Sexappeal, Teenagerschnute und eine gehörige Portion Frechheit sind je nach Rangordnung die weiblichen Waffen ihrer Wahl, die Damen zeigen sich einmal mehr als vorzügliche Komödiantinnen, doch diesmal muss jedes Mittel versagen. Auch Michael Scherff als freigeistiger Schwager Cléante, Jan Walter als Sohn Damis, Pascal Groß als seine Liebe zu Mariane herausstotternder Valère und Julia von Sell, der als Madame Pernelle spät, aber doch die Einsicht kommt, können nichts mehr ausrichten. Und, wenn Cléante sagt, dass hier ein Frömmler mit falschem Wort vorgibt, um Werte zu kämpfen, „die auch wir verehren“, verschluckt man sich am Lachen. Wem wird in dieser Welt nicht alles Macht und Ämter angetragen.

Die Hauptrolle hat, in dieser Aufführung mehr als an anderen „Tartuffe“-Abenden, Tobias Voigt als Orgon. Er ist seit der Ankunft Tartuffes tatsächlich wie beschrieben von „wüstem Wahn befangen“, ein Fan mit staunend offenem Mund angesichts des bei ihm eingekehrten Wunders. Seiner Familie begegnet er als erschöpfter Despot, so viel Aufmüpfigkeit ist eben anstrengend, Tartuffe mit beinah hündischer Verehrung. Dass das clean-chice Bühnenbild von Ildikó Tihanyi (die Farbleitsystemkostüme sind von Fruzsina Nagy), ein weißer Kubus aus halbdurchsichtigen Schiebewänden, dessen Intrigen leicht durchschaubar machen, will er nicht sehen. Da bleibt der Ehefrau als Beweismittel nicht einmal der Beischlaf mit dem Bösewicht erspart. Voigt agiert ganz großartig, ändert Orgons Aggregatzustand je nach Gesprächspartner, wirft sich vor Zorn oder in Demut zu Boden, tobt oder schluchzt, dass es eine Freude ist.

Am Ende, siehe oben, muss er einsehen, dass die Familie mit ihrer Einschätzung Tartuffes ins Schwarze dieser schwarzen Seele getroffen hat. Aber ach, wer hört dieser Tage noch auf die Stimme der Vernunft. Und wenn endlich, ist es zu spät, da haben sich die rechtsschaffenen Politprediger die Sessel schon gesichert. Die Über-einen-Machthaber, sagt Alföldi, sind in der Regel selbst gewählt. Wer also in der Demokratie schläft, wacht unter Umständen in einer Diktatur auf.

„Tartuffe“ läuft bis 9. April am Landestheater Niederösterreich und ist am 5. und 6. April als Gastspiel in der Bühne Baden zu sehen.

Trailer: www.youtube.com/watch?v=V2oNYngAFy4

Róbert Alföldi im Gespräch: www.mottingers-meinung.at/?p=8301

www.landestheater.net

www.buehnebaden.at

Wien, 28. 2. 2016