Aggregat Valudskis: Schmetterling im Eis
Februar 14, 2016 in Bühne
VON MICHAELA MOTTINGER
Der Bildermagier verzaubert mit Márquez

Martin Bermoser, Markus Kofler und Julia Schranz
Bild: Daniel Wolf
Der Eiszapfenluster an der Decke schmilzt in eine silberne Tasse. Das Tropf-Tropf der zerrinnenden Zeit ist nervenzermürbend wie chinesische Wasserfolter. Im Wortegewirr zeigen sich drei Wesen am Fenster, zwei Männer, eine Frau, sie drehen sich wie die Figuren einer Turmuhr. Bei Kerzenlicht geht eine Axt von Hand zu Hand, und Arturas Valudskis sitzt am Klavier und singt. Seine Kehle ist so rauh wie seine Verse. Die Geister der Gegangenen und der Kommenden haben den Gebliebenen aber die Stimme genommen, den Gestalten jenseits der Scheibe bleibt nur ein Stammeln.
Das Aggregat Valudskis, Julia Schranz, Martin Bermoser und Markus Kofler, zeigt in der Anti-Galerie Durchhaus einen Versuch über Gabriel García Márquez‘ „Hundert Jahre Einsamkeit“. Der Literaturnobelpreisträger führt in seinem Opus Magnum durch das Dorf Macondo. Von dessen Genesis bis zur Apokalypse. Von der politischen Utopie der Gründer, von der Vereinnahmung durch diverse staatsgewaltige Systeme, von Bürgerkrieg und Massakern schließlich zu Verfall und völliger Zerstörung. Valudskis packt sechs Generationen in 80 Minuten. Er fügt Texte seines Freundes, des litauischen Autors Juozas Erlickas, hinzu. Und macht sein Thema mit Valentin Rasputins „Abschied von Matjora“ universell. Rasputin schreibt in seinem 1976 erschienenen Roman, wie Menschen wegen der Errichtung des Irkutsker Stausees aus ihren Häusern vertrieben wurden. Weil die Bewohner von Matjora tatsächlich das Gemeineigentum lebten, waren sie dem Sowjetkommunismus ein Dorn im Auge. Sie bezahlten ihr Bekenntnis zum Kollektiv mit der Vernichtung ihrer Insel und mit Zwangsumsiedelung.
Valudskis hat das Vertrauen an das Funktionieren von Systemen, weltlichen wie religiösen, verloren. Wo der Mensch hingreift, muss er scheitern, sagt er, wie gut er es auch immer meinen mag. Um das zu erklären, schlägt er eine 15.000 Kilometer lange Brücke von Kolumbien nach Sibirien. Und lässt einen Priester – Valudskis wäre nicht Valudskis, würde er sich nicht am Glauben abarbeiten – wieder und wieder den Gottesbeweis antreten. Doch siehe, Christi Zeichen, der Fisch, ist nur noch eines für die beginnende Überschwemmung. Valudskis erzählt von Entwurzelung, von Vertreibung, von Versprechungen und deren Brechen, von der Sehnsucht des Menschen einen Platz zu finden, wo er irgend hingehört und bleiben darf. Das so zeitlos wie dieser Tage Zeitgeschehen. Der Theatermagier verzaubert mit betörenden Bildern, er lässt den Gedanken Spielraum – und er besticht wie stets mit seinen feinen Taschenspielertricks.
Unter Schmerzen wird ein Tischtuch geboren. Ein Löffel geht auf Wanderschaft. Für eine Kutschfahrt reichen ein Tisch und darauf ein Stuhl. Und fällt bei einer Enthauptung der Kopf, wird einfach das Sakko über diesem zusammengezogen. Das Aggregat Valudskis macht armes Theater, macht schwarzes Theater mit gleichfarbigem Humor, macht ein surreales Theater, dass mehr auf Körperarbeit denn auf Sprache setzt. Beinah eine halbe Stunde vergeht, bis die erste Diskussion beginnt, eine Art Nonsensegedicht, das um die Begriffe Hinsetzen – Niederlassen kreist. Die intensiven Gesichter von Schranz, Bermoser und Kofler sagen mit ihrer Mimik mehr, als es ein ellenlanger Monolog könnte. Ihr Über-den-Lebenskampf hat nur ein paar Dutzend Sätze. Und die sind so stockend vorgebracht, wie sich diese Figuren in Zeitlupengesten vorsichtig durch ihre Umgebung schieben. Es sind ungesunde Gestalten, wie von Godot in diese Welt gekotzt. Mit der Sprache, so scheint es, haben sie ihre Identität verloren. Sie sind Prinzipe, eine Sie und ein Er und die immerwährende Versuchung; das Paradies aber, es ist, wenn je existent gewesen, schon lang verloren. Das Aggregat Valudskis führt mit dieser Aufführung in das 101. Jahr von Dada.
Martin Bermoser gibt vor allem die Patriarchen, den Bürgermeister und den Oberst der Buendías, unbeugsam, wie in Stasis, wehren sie sich gegen die Vereinnahmung durch jegliche Institution. Markus Kofler kommt als in diesem Kontext „quirrliger“ Regierungsbeamter, Parteifunktionär oder Priester. Bestechend die Szene, in der die beiden Männer als Konservativer und Liberaler ihr Programm in eine potentielle Wählermasse schreien. Unverständlich, weil simultan, weil ohnedies klar, dass die beinah selben Sätze nichts aussagen. Schön auch die Szene, in der sich das Volk, Julia Schranz, an die Kirche-Kofler wendet und die über dessen gebeichteten Sorgen einschläft. Schranz wechselt durch das Binden des Kopftuchs im Nacken oder unterm Kinn von der Lateinamerikanerin zur Russin, formt die Kälte der in der Einsamkeit festgefrorenen Frau zur Härte gegen Störenfriede um. Sie ist auch ein skurriles Großmütterchen, vielleicht der im enigmatischen Titel erwähnte Schmetterling – und wenn sie fast am Ende die Zaghrouta singt oder wie ein Hahn kräht, denkt man, wie viele weitere dieser erste Menschenverrat nach sich gezogen hat …
Der vierte Darsteller ist das Durchhaus. Die Anti-Galerie, diese Abrisshöhle – keiner im Raum weiß, was hier einmal war, angeblich ein Postamt -, ist ein bestechender Aufführungsort. Offenbar zusammengesetzt in zwei Häusern, ist ein mit Glas überdachter Innenhof durch eine real existierende Fensterfront vom anderen Bereich getrennt. Ein „Bühnenbild“ wie dieses wird sonst für viel Geld erfunden. Les Tardes Goldscheyder, einer der Gründer des Künstlerkollektivs, ehemaliges Karlsplatz-Kind und bildnerischer Autodidakt, ist bei der Valudskis-Premiere anwesend. Seine im Raum verteilten Werke weisen aus, dass hier, wenn nicht Theater, seine wesentliche Kunst zur Form findet. Goldscheyders Gemälde, Zeichnungen, Objekte, Fundstücke der Werkwerfcommunity, sind so roh und poetisch, so extrem und konsequent, wie Valudskis Arbeit. Die Künstlersymbiose, auch sie ist gelungen. Das Eis hat seinen Aggregatzustand zu Wasser gewechselt, die Figuren verschwinden erneut hinterm Fenster, „Schmetterlinge fliegen zum Licht, warum können das Menschen nicht?“ singsangt die Schranz. Das Aggregat Valudskis hat das Publikum einmal mehr mit einer außergewöhnlichen Darbietung beglückt.
Arturas Valudskis im Gespräch: www.mottingers-meinung.at/?p=17254
INFO: Spielort: Anti-Galerie Durchhaus, 1010 Wien, Werdertorgasse 17. Spieltage: 17., 18., 19., 20., 24., 25., 26., 27. Februar, 20 Uhr. Karten: valudskis@gmail.com , Tel.: 0677 617 68 186.
www.facebook.com/Aggregat-Valudskis-1646800055587123
Wien, 14. 2. 2016
sehr geehrter herr mottinger,..
leyder kam icch noch niccht dazu micch persoenlicch bey ihnen fuer ihre aeusserst scharfsinnige, gut geschriebene und von eyner menschlicchen eynschaetzung strotzende beobacchtung die seynesgleycchen succht, kritik, an dem theaterstuekk „schmetterling im eys“ zu bedanken,..
sie haben sowohl das theaterstuekk selbst, als aucch die taetigkeyt unserer ‚kuenstler vereynigung‘
die durchaus niccht lose ist, in dem durchhaus, beschrieben; icch zweyfelte schon daran ob es ijberhaupt noch kulturbegeysterte journalisten in meyner heymatstadt gibt, welcche icch ijber alles liebe, die was noch mit aijjhnlicchem herzblut schreyben koennen wie wir autoren selbst,..
die wahrnehmung nacch aussen hin ist aber eyne extrem wicchtige und fijr das ijberleben der kuenstler und des hauses selbst, aucch notwendige.
icch wollte sie noch persoenlicch eynladen zu unserer gestrigen vorstellung 1oo jahre dada in wien, dazu zu kommen, habe es aber leyder gottes niccht mehr geschafft, weyl icch in unserer schnellebijgen computerisieten welt micch kaum rausseh und zu bloede war ihre e-mail adresse heraus zu finden,…
ich selbst bin so gut wie gar niccht mehr im internet und icch sehe mit grosser besorgnis eyner zukuenftigen welt entgegen in der die kinder mit nummern und chiffren aufwacchsen sollen und gekuerzten, der spracche und der intuiton schadenden kleynstausdrukk mundart wie „lol“, „roffle“ und „seeya“ auskommen sollen, stetig an ihrem metallenen mundstuekk haengend, dem handy und ihrem tablet ohne das sie niccht leben koennen, in ihren tascchen und ranzen verstekkt…
von der staendigen ruekkversiccherung wo die freunde stekken und in welccher lokalitaet sie sicch denn befinden, ganz zu schweygen,…
wir sind die letzte generation diie noch mit beynahe telepathisccher siccherheyt wusste, wo sie auf ijhresgleycchen trifft und wie sie den vielschicchtigen „feyndlicchen gruppierungen“
eyner dermassen vielgearteten jugendkultur entkommen kann.
icch erinnnere an die punks, skinheads, mods, rokkerbillys, psychs, skater und teds und hooligans, hip hop’s, die unser stadtbild bevoelkerten und welcche sicch beyleybe niccht alle verstanden, dafijr aber war es lebendig und voller elekrizitaet, und zwar eyner menscchlicchen ecchten und keyner 1984 george orwell entsprungenen candy phantasie,..
heute verschwindet die iugend hinter eynem eynheytsbrey von tecchno und goa, selbst die musik ist also ihrer menscchlicchen stimme beraubt und man bewegt sicch zu den klaengen von computerisierten mascchinen… nicchts gegen die goa-bewegung,.. aber wenn es das eynzige ist, ist docch relativ armseelig; nun zu unserer stehacchterl konumgesellschaft welcche kunst in den acch so renommierten galerien wie seycchte ware mit broetcchen und weynglas in haenden konsumiert, keyne bilder sicch leysten koennen, gaffen, als waere es eccht, und sicch dabey niccht zu bloede sind von seytenblikken journalien ablicchten zu lasen, saudumm grijnsend und nicchts bezahlend,…
ja was glauben sie denn, wer sie sind und wer wir sind, die unser leben in eyner miscchung aus selbstmord und kontemplation, unser leben verspruehend und sicch verausgabend, liefern.
wir hatten gestern zu unserer veranstaltung uns fijr eyne freywillige spende, nacch belieben, entschieden und was glauben sie, haben wir an der „abendkassa“ eyngebommen : sage und schreybe gezaehhlte 39,- euronen; icch selbst habe eyne stunde lang in eyner zwangsjakke sschwitzend aus dem stegreyf eyn buehnenstuekk improvisiert, mit schreybmaschine das soeben erfundene aufgeschriejben, waehrend icch in eyn sauteures mikro spracch, mit donnernder stimme wie eyne hagazussa zwiscchen zwey leytern sitzend,.. nicchts verlangend, nur gebend, aufopfernd fijr die stadt, welcche nur nimmt und nimmt,…
eyn anderer kuenstler reyste extra aus deutschland an,..aucch er muss wie selbstverstaendlicch mit nicchts als eyn wenig applaus wieder zuriikk; die micch mit ihrer wunderbaren musik begleytet haben,.. ebenfalls, fijr reynen gotteslohn.
fijr die viel besungene „ehre des kuenstlers“ ,welccher oft eynsam und an dunklen orten sicch waegend, am eygenen blute etrinkend, sicch findet; icch bin tief enttaeusccht und schwerstens getroffen von dieser scheynheyligen nonchallence mit err die weynglasgesellschaft unsere seelen mit sicch nimmt, nicchts lassend, nicchts gebend als ihren eyndrukk welccher niccht haellt; das haus muss docch leben-!! wir haben betriejbskosten wie jedes andere aucch,..
absinthe im werte von zweyhundert euros, das viele bier, die reysekosten des deutscchen, ganz zu schweygen davon, dass wir im laden ja ebenfalls fijr alles bezahlen muessen, wie jeder andere aucch; der schuster verlangt ebenso seyn geld wie der mechaniker, der baekker und selbst der staat will nocch seyn’anteyl haben,..
wie kann es seyn das ausgerecchnet drr kuenstler wie der hofnarr des koenigs nicchts kriegt als hingeworfene groscchen…?
wenn da keyn umdenken stattfijndet, werden sie weyterhin nebenher jobs macchen muessen, die ihre seele beleydigt und ihnen niccht steht.
auf kosten der kunst, welcche darunter leydet wenn eyner sicch niccht voellig in ihr verlieren kann,..
aber vielleyccht gilt das eh nicchts mehr heutzutage,.. wer weyss?
icch waere niccht boese wenn sie diesen aus dem herzen geschrieben brief als eynen offenen handhaben wuerden.., weyss icch docch kaum, an wen ausser dem herrgott icch micch damit wenden kann; icch weyss nur eynes genau, wem seyne stunde schlaegt, der wird es reuen,.. das er nur eynkassiert und genommen hat.
seyner stadt nicchts von sicch lassend, die bakken voll kaviar, die kehle voll weyn; rumstehend, schauend, sicch ablicchten lassen wollend mit den „grossen kuenstlern“, ja manccche besitzen sogar nocch die frecchheyt am ende um eyne gratis zeycchnung zu bitten und dann mit ihrem souvenier im dunkel der naccht zu verschwinden, den schatz zu hause an seyne kahle sinnlose wand zu heften,..
mit ganz lieben gruessen;
der wiener autodidakt, les tardes goldscheyder
Zeit: Samstag, 12. März 2016 um 07:55
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