Jessica Hausner im Gespräch

Oktober 17, 2014 in Film

VON MICHAELA MOTTINGER

„Amour fou“ eröffnet die Viennale

Birte Schnöink, Christian Friedel Bild: © Stadtkino Filmverleih

Birte Schnöink, Christian Friedel
Bild: © Stadtkino Filmverleih

Nach der Weltpremiere im Rahmen der Un certain Regard Sektion beim Filmfestival in Cannes und erfolgreicher Tournee durch die Festivals dieser Erde kommt Jessica Hausners (Hotel, Lourdes) neuester Film Amour Fou auch nach Österreich. Er ist am 23. Oktober Eröffnungsfilm der Viennale. Im Anschluss an die Viennale wird der Film am 7. November regulär in den Kinos starten. In den Hauptrollen sind Christian Friedel (Das weiße Band) und Birte Schnöink (eben ausgezeichnet mit dem Boy-Gobert-Preis für Nachwuchsschauspieler) zu sehen; für die exzellente Kameraarbeit zeichnet Martin Gschlacht (Lourdes, Im Keller) verantwortlich. Inhalt: Berlin zur Zeit der Romantik. Der Dichter Heinrich hat den Wunsch, durch die Liebe den unausweichlichen Tod zu überwinden: seine ihm nahe stehende Cousine Marie lässt sich aber partout nicht davon überzeugen, zu zweit dem übermächtigen Schicksal entgegenzutreten, und gemeinsam mit Heinrich den eigenen Tod zu bestimmen. Doch die junge Ehefrau eines Bekannten, Henriette – als sie erfährt, dass sie sterbenskrank sei – findet Gefallen an dem Angebot. Eine romantische Komödie, frei inspiriert durch den Suizid des Dichters Heinrich von Kleist 1811.

Jessica Hausner im Gespräch:

MM: “Amour Fou“ hatte Weltpremiere in der Reihe „Un certain Regard“ in Cannes, wurde auf neun Internationalen Filmfestivals von Toronto bis Melbourne gezeigt, ist Eröffnungsfilm der diesjährigen Viennale. Hätten Sie Ihrem Werk, diesem leisen Kammerspiel,  vorab diese Strahlkraft zugetraut?

Jessica Hausner: Warum nicht? Wenn der Film spannend ist. Ich gehe immer davon aus, dass, wenn ich etwas erzähle, es so mache, dass es jemanden interessiert. Also hoffe ich immer darauf, dass meine Filme erfolgreich sein werden und Leute das gut finden.

MM: Ihre Geschichte ist frei inspiriert von der Heinrich von Kleists. Was war Ihr Interesse an diesem Stoff?

Hausner: Weniger die Doppelselbstmordgeschichte, als man glauben möchte. Das statt am Anfang der Arbeit: Doppelselbstmord aus Liebe. Das war der Aufhänger. Was mich daran interessiert hat, bis ich letztlich auch auf Heinrich von Kleists Biografie gestoßen bin, war, die Absurdität, die so einem Plan inne wohnt. Wieso wollen zwei Menschen miteinander sterben, wenn der Tod einen doch sicher von einander trennt? Das war ein Widerspruch in sich, der mich interessiert hat. Welchen seiner Wünsche projiziert man auf einen anderen? Und mit welchem Ausgang? Ich habe verschiedene Stoffe recherchiert, etwa „Norway today“, die waren mir alle zu wenig lustig, zu theatralisch, zu tragisch, und das liegt mir nicht. Ich bin da nicht weiter gekommen.

MM: Und bei Kleist …

Hausner: … hat mich dann interessiert, dass er auf der Suche nach einem Sterbepartner verschiedene Leute gefragt hat: zuerst seinen besten Freund, dann seine Cousine, die wollten beide nicht. Dann hat er endlich Henriette Vogel gefunden, die dachte, dass sie sterbenskrank ist, und sowieso sterben muss. Ich fand das in sich so unromantisch, so banal, dass es mich interessiert hat: Das romantische Bild einer Liebe wird hier in Frage gestellt.

MM: Es ist also Ihre Ironie, dass Sie den Film „romantische Komödie“ genannt haben.

Hausner: Ja. Es ist damit gemeint, dass der Film keine Tragödie ist. Deshalb ist die Sprache meiner Figuren auch sehr lakonisch. Sie sagen endgültige Sätze einfach so vor sich hin. Das untragische Sprechen von tragischen Inhalten ist berührender als umgekehrt. Und manchmal sogar komisch.

MM: Wie sehen Sie Heinrich? Ich finde ihn egoistisch, überspannt, von dieser damals en voguen Schwermut, einer der die Kant-Krise durchleidet … Christian Friedel spielt ihn fast zu sympathisch 😉

Hausner: Deshalb wurde er ja besetzt. (Sie lacht.) Er spielt die Szenen ganz untragisch, er bringt die richtige Leichtigkeit, den passenden Humor für den Film mit. Was den echten Kleist betrifft, habe ich keine Ansprüche, zu spekulieren, was in ihm vorgegangen ist. Die Figur in meinem Film ist auf eine Weise egoistisch, aber dieser Egoismus ist sehr allgemeinmenschlich, der ist nicht schlimmer als bei jedem anderen Menschen. Heinrich sucht jemanden, dem er wichtiger ist, als das eigene Leben. Das ist fast kindlich. Er meint’s nicht böse, er kann nur nicht aus seiner Haut, er möchte sein Bedürfnis verwirklichen: nicht alleine zu sterben. Henriette agiert kaum anders: Wenn sie denkt, dass sie sterben muss, sagt sie zu; wenn sie denkt, dass sie geheilt werden kann, macht sie einen Rückzieher.

MM: Henriette spielt Birte Schnöink …

Hausner: Birte übertreibt diese weibliche Schüchternheit, die im 19. Jahrhundert von Frauen gefragt war, nicht. Sie spielt sehr natürlich, so dass sie diese damals anerzogene Zurückhaltung gut darstellen kann.

MM: Als Henriette einmal in einer ihrer Stimmungsschwankungen ist, sagt sie zu Heinrich: „Es gibt kein anderes Leben als dieses hier“. Haben Sie dazu eine Privatmeinung?

Hausner: Man kann nicht wählen. Der Lebensweg, den man geht, ist eigentlich wenig veränderbar. Auch in unserer Zeit, in der Freiheit suggeriert wird, habe ich den Eindruck, dass man sehr wenig wirklich wählen kann. Viel mehr folgt man bestimmten Möglichkeiten, die sich einem bieten. Eine sehr beschränkte freie Wahl..

MM: Meine Lieblingsfigur ist die Mutter, die völlig realitätsbezogen in der Geschichte sitzt, und verbale Ohrfeigen verteilt.

Hausner: Ich fand die Mutter-Henriette-Henriettes-Tochter-Konstellation interessant. Wie da Lebensgrundsätze weitergegeben werden. Henriette ist eine Opferfigur, hat eine Passivität, die die Mutter nicht hat. Am Ende bleibt als Hoffnungsträger das Mädchen, das sich vielleicht vom Frauenbild ihrer Zeit emanzipieren wird.

 MM: Ist der Moment, wo unsere Existenzen an „Amour fou“ andocken, das ruhelose Streben nach dem idealen Glück?

Hausner: Ja, ich glaube schon. Jeder hat seine Sehnsucht im Kopf, manch einer geht daran kaputt. Was das Streben im Leben ist, kann man sich aber oft nicht aussuchen.

 MM: Die Bilder von Kameramann Martin Gschlacht sind sehr ruhig, in sehr gesetzten Farben. Wie arbeiten sie in punkto Bildgestaltung und Optik zusammen?

Hausner: Wenn ich das Drehbuch geschrieben habe, zeichne ich ein Storyboard. Da zeige ich Bild für Bild, welche Einstellungen ich machen möchte. Das ist eine sehr langwierige Arbeit, definiert aber schon die Bildgestaltung. Diese Komposition kann auch dazu führen, dass ich Szenen aus dem Drehbuch wieder streiche, weil das Bild mehr erzählt als der Dialog. Wenn das Storyboard fertig ist, verabrede ich mich mit Martin Gschlacht und wir besprechen es. Dann reden wir über die Farbigkeit des Films. Er ist ja auch für die Lichtgestaltung verantwortlich. In diesem Fall wollte ich die Konvention der „Kerzenbeleuchtung“ der herkömmlichen Filme, die im 19. Jahrhundert spielen, vermeiden. Er hat dann eben vorgeschlagen, dass man Licht von oben setzt, wie einen Kerzenleuchter an der Decke. So ergab sich ein sehr sanftes Oberlicht, das dem Film, glaube ich, einen sehr ungewöhnlichen Look verleiht.

 MM: Sie waren zuletzt Ende August beim Filmfestival von Venedig Jurymitglied. Wie  war der Seitenwechsel? Wie ist das, einmal zu bewerten, wenn man weiß, wie es ist, selbst mit seiner Arbeit bewertet zu werden?

Hausner: Ich fand’s eine angenehme Abwechslung, mal auf der anderen Seite zu stehen. Und es war auch interessant, in einem so konzentrierten Zeitraum zwanzig Filme anzuschauen und darüber zu diskutieren. Es war sehr interessant, die Jurykollegen waren sehr interessant. Ich hab’s wirklich genossen. Es war ganz gut, wieder einmal darüber zu reflektieren, was man selber gut und schlecht findet, und wie Filme auf andere wirken. Ich persönlich mag ja Filme, die etwas Seltsames an sich haben, etwas Irritierendes. Ich interessiere mich für die unlösbaren Rätsel des Menschseins.

MM: Sie arbeiten an Ihren Projekten länger als andere Filmemacher. Was geht in diesem Prozess wie vor? Wovon lassen Sie sich inspirieren?

Hausner: Ich sammle, trage Ideen mit mir herum, schreibe eine Seite darüber auf. Wenn ich in der Fertigstellung eines Films bin, hab’ ich meistens schon etwas Neues im Kopf. Dann drängt sich eine Idee in den Vordergrund, an der ich lange recherchiere, spreche im Fall von „Amour Fou“ mit Historikern, die mir über die Zeit an sich erzählt haben, Kleist-Forschern, Medizinhistorikern, wegen Henriettes Krankheit, lese Literatur von und über Kleist … schreibe dann noch einmal zwei Seiten Kurzinhalt – und wenn ich das habe, fange ich an, es auszuarbeiten. Das Ganze dauert so ein, zwei Jahre.

MM: Wenn Sie sagen „was Neues im Kopf“, darf ich nachfragen?

Hausner: Es gibt schon was, aber es ist noch nicht ganz spruchreif. Es könnte sein, dass es ein Mystery-Genre-Film wird. Ich bin noch nicht ganz sicher: Außerirdische oder Psychose. Es geht auf jeden Fall um ein seltsames Rätsel, das sich bedrohlich auf bestimmte Menschen auswirkt.

www.amourfoufilm.com

Trailer: www.youtube.com/watch?v=y8F37hJIf70

www.viennale.at

Wien, 17. 10. 2014