Volkstheater: Die Vögel

September 15, 2014 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Sheer Heart Attack

Günter Franzmeier, Till Firit, Chor der Vögel Bild: © Lalo Jodlbauer

Günter Franzmeier, Till Firit, Chor der Vögel
Bild: © Lalo Jodlbauer

Regisseur Thomas Schulte-Michels ist wie „Queen“ (wobei er eindeutig die Rolle von Brian May übernimmt und alle anderen Freddie Mercury sein lässt): Mit jeder Inszenierung erfindet er sich neu, doch der Sound ist immer eindeutig als ein Schulte-Michels zu erkennen. More of most! Bombastisch, fantastisch! Herrreinspaziert, meine Damen und Herren! „Die Vögel“ von Aristophanes hat er sich diesmal als Eröffnungspremiere am Volkstheater vorgenommen. Er lässt das Haus zum 125-Jahr-Jubiläum abheben. Volkstheater – V wie Flügel. Allein schon seine Bearbeitung des 2500 Jahre alten Textes sticht. Von Euro-Junkies ist die Rede, vom Afro-Gesocks. Pisthetairos (Günter Franzmeier) und Kumpan Euelpides (Till Firit) sind nämlich weg aus Athen, um einen migrantenresistenten Ort zu suchen. Den finden sie bei den Vögel – keine Steuern, keine Schulden versprechen König Wiedehopf (Thomas Kamper) und sein Sekretär Marabu (Alexander Lhotzky). Na, da kann man doch bleiben. Und sinistre Pläne schmieden. Heißt: Ein Zwischenreich zwischen Menschen unten und Göttern oben schaffen und so beide in die Knie zwingen. Am Ende siegt der schlimmste Schurke. Pisthetairos. Und die Moral von der Geschicht‘: Moral hilft dir im Leben nicht.

Schulte-Michels arbeitet bei allem circensisch-caotischem Bühnentohuwabohu diesen Aspekt klar heraus: Ein freies Volk wird in eine Diktatur getrieben, von der man ihm auch noch einredet, sie wäre seine Idee gewesen. Der Kannibalismus ist selbst gewählt, die Knechtschaft sozusagen an der Urne angekreuzt, weil da zwei so schön reden und so viel versprechen können. Wo sollte man da anfangen mit historischen und aktuellen Querverweisen? Aristophanes‘ Athen-Schelte steht nur für den Anfang. Schelm, denk’s dir doch aus, sagt Schulte-Michels. Das „Würzelchen, das beflügelt“, davon hat der ganze Abend einen großen Bissen genommen. Auf der Wolkenkuckucksheim-Treppe, dem Verbindungsstück der Welten, nisten die schrägsten, die schrillsten Vögel seit der Erfindung der Laufmasche in Strumpfhosen. Kostümbildnerin Tanja Liebermann hat die Nähmaschine zum Durchdrehen gebracht, bunte Pussy-Riot-Wollmützen und Silberkleidchen erfunden, Federhüte und -boas, Tutus und Tatas. Und zwei, drei Untergatten, diesmal aber blütenrein. Ohne die kann Schumi nicht. Während also die Hetz und die Hatz losgehen, hat Schulte-Michels die Antike immer im Auge: Ein Chor zwitschert beziehungsweise krächzt mit „Schuhu“ Patrick Lammer einwandfreie, vielseitig zotige Lieder bis die Ohren bluten, Franzmeier und Firit alias Protagonist und Antagonist spielen mit den Worten Ping Pong. Und der Gewinner mit den meisten Silben pro Sekunde ist … Nicht immer ist wegen Glöckchengeläut, Trommelwirbel, Beckenschlag alles gut hörbar. Macht nichts. Wer den meisten Lärm macht, ist der Überflieger. Und globales Verständnis doch das Faustschlagwort der Stunde.

Die Volkstheatertruppe glänzt wie meist durch eine hervorragende Ensembleleistung. Man ist hier auf einander eingespielt; Franzmeier und Firit wie zwei Seiten einer Münze. Zahl‘, sagt die eine, sonst rollt der Kopf, sagt die andere. Alle anderen hat die Vogelgrippe voll erwischt. Sehr schön Wiedehopf-Kamper, dessen Federkrone wie die aus dem Weltmuseum entliehene Rache des Montezuma aussieht. Ein Indianer-Zombie. Oder er ist bei all dem Stress schon in der Schreckmauser. Man will doch nisten ohne Kolonisten. Und dann liefert erst Ronald Kuste als ungeratener Sohn ein Kabinettstück ab, bevor der Gesetzes-Macher-Mensch (Günther Wiederschwinger) auftaucht. Wunderbar: Die Bürokratie als Wiedergänger. So oft kann man sie den Vögeln gar nicht zum Zerhacken vorwerfen, dass sie totzukriegen wäre. Patrick O. Beck ist ein einwandfreier Prometheus; die blutige Leber notdürftig verbunden, verkündet er den Niedergang der Götter. Die schicken denn auch Unterhändler: Rainer Frieb als Poseidon, Haymon Maria Buttinger als Triballer und Erwin Ebenbauer als kochbegeisterten Herakles, der mit glänzendem Goldhaar und neckischem Negligée jeden Senioren-Drag-Queen-Wettbewerb gewinnen würde. Sie müssen Pisthetairos schließlich den Blitz des Zeus aushändigen. Von all den irren Szenen bleibt eine im Hirn hängen, in der es Schulte-Michels ins katholische Kuttenlager verschlägt. Wiedehopf, Marabu und Schuhu als Vorbeter in liturgischen Gewändern. Sehet die Vögel unter dem Himmel: sie säen nicht, sie ernten nicht  und euer himmlischer Vater nährt sie doch. Nein, nein, es erntet schon jeder, was er sät. Nur die Gerechtigkeit ist dabei keine Maßeinheit.

Oder am Volkstheater vielleicht doch. Schulte-Michels und seine Mitverschwörer haben viel Lust und Liebe in ihr Projekt gesteckt und wurden mit viel Applaus dafür belohnt. Jemand sollte mal mit Fürst Albert reden. Möglicherweise bepreist man den Spielmacher beim Zirkusfestival von Monte Carlo ja mit dem Goldenen Clown.

www.volkstheater.at

www.mottingers-meinung.at/thomas-schulte-michels-im-gespraech

Wien, 15. 9. 2014